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Faithfull

© Patrick Swirc

Interview: Marianne Faithfull: "Die wollten, dass ich sterbe"

Ein Gespräch mit Marianne Faithfull über Jazz, Sex, missliebige Kritiker und ihre ewige Freundschaft zu Keith Richards.

Miss Faithfull, wir möchten dieses Interview mit einem Witz beginnen. Kennen Sie den Witz mit dem Jazz- und dem Countrymusiker, die zum Tode verurteilt sind?



Nein.

Sie dürfen einen letzten Wunsch äußern. Der Countrymusiker sagt: „Ich möchte ein letztes Mal eine schöne langsame Countryballade singen.“ Darauf entgegnet der Jazzer: „Dann möchte ich zuerst sterben.“

Sehr schön.

In den Liner Notes Ihres neuen Albums schreiben Sie, dass Sie bei den Aufnahmen in einem New Yorker Studio viel Spaß mit den beteiligten Jazzmusikern hatten. Sie hätten Ihnen Miles-Davis-Witze erzählt.

Ich kann Ihnen einen erzählen, aber es ist ein echter Musikerwitz, sehr insiderisch. Und eigentlich funktioniert er auch nur mit der Reibeisenstimme von Miles Davis. Also, ein Musiker kommt aufgeregt zu Miles und fragt: „Ich werde Strawinski treffen, was soll ich ihm bloß sagen?“ Miles denkt nach, dann grummelt er (in tiefstem Bass): „Be flat“ (ein unübersetzbares Wortspiel aus dem englischen Begriff „flat“ für „flach“ und der im Jazz verbreiteten Tonart B-flat minor, b-Moll).

Ihr neues Album enthält Jazz-Standards wie „Black Coffee“ oder „Somewhere (A Place For Us)“ und einige Ihrer Lieblingspopsongs. Mit ihren verschwenderischen Streicher- und Bläser-Arrangements klingen sie ebenfalls sehr jazzig.

Mir gefallen diese altmodischen Arrangements. Ich wollte die Platte unbedingt so klingen lassen, diese Art von Sentimentalität hat gerade Konjunktur. In der digitalen Ära wissen viele Leute ja nicht mehr, wie großartig echte Bands klingen.

Einige Stücke stammen aus den zwanziger Jahren, andere, wie „In Germany Before The War“ von Randy Newman, klingen danach. Sind Sie eine Nostalgikerin?

Nein, aber ich liebe die Musik der Weimarer Republik. Wahrscheinlich, weil ich mit ihr aufgewachsen bin. Meine Mutter hatte österreichisch-ungarische Wurzeln, sie hörte Platten von Lotte Lenya und Marlene Dietrich. Deshalb arbeite ich so gerne mit dem klassischen Dirigenten Dennis Russell Davies. Mit ihm und dem Radio-Symphonieorchester Wien habe ich vor ein paar Jahren die „Sieben Todsünden“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill aufgenommen. Davies hat wie nur wenige Musiker aus dem klassischen Umfeld ein Gespür für Jazz, er kann swingen. In den deutschen Songs aus den späten zwanziger Jahren spürt man eine große Spannung. Das Groteske und Komische wird darin bereits vom kommenden Unheil überschattet. Diese Kunst ist definitiv nicht schön, das macht sie für mich so reizvoll.

Wenn Sie eine Zeitreise machen könnten – würden Sie in die Zwanziger aufbrechen?

Nein, dafür ist diese Zeit zu sehr von den aus dem Ersten Weltkrieg stammenden Ängsten und Schmerzen beherrscht. Ich würde lieber ins 18. Jahrhundert fahren, in die Ära der Aufklärung mit ihren fantastischen Kostümen, wie ich sie als Maria Theresia in Sofia Coppolas Film „Marie Antoinette“ getragen habe. Es muss eine Zeit großer persönlicher Freiheiten gewesen sein, die dann vom lustfeindlichen Viktorianismus gekappt wurden, in dessen Schatten wir bis heute leben. Ich würde allerdings darauf achten, als Adlige in dieser Zeit zu landen, nicht als Bäuerin.

Der Titelsong von „Easy Come, Easy Go“ stammt von Bessie Smith. Es ist ein 80 Jahre alter Blues, dessen Text vom Gegenteil handelt, vom Glücklichsein. „Some folks they always cry/Me not. I''m the happiest girl in the world“. Ist diese Haltung auch Ihr persönliches Credo?

Vielleicht. Wobei man bei Bessie Smith die Ironie nicht überhören darf. Ihr Leben war nicht einfach. Aber das Leben so zu nehmen, wie es kommt, ist die bestmögliche Einstellung. Ich versuche, immer alles Schlechte schnell hinter mir zu lassen. Keine Ahnung, ob das eine Philosophie ist, ich habe es immer so gehalten. Was nicht heißt, dass man seine Vergangenheit vergessen soll. Ich bin mir meiner bewusst, aber ich will nicht in ihr leben.

Würden Sie sich als glückliche Frau beschreiben?

Unbedingt. Als eine sehr glückliche Frau.

Dabei waren Sie jahrelang heroinabhängig, und vor zwei Jahren überstanden Sie erfolgreich eine Brustkrebstherapie. Sie sind eine der großen Überlebenden der Rock''n''Roll-Ära. Sehen Sie sich auch so?

Ich bin eine Überlebende. Aber jetzt geht es mir gut, und darauf kommt es an.

Bessie Smith litt unter Alkoholproblemen und starb 43-jährig nach einem Autounfall. Sehen Sie in ihr eine Seelenverwandte?

Nein. Mich mit einer schwarzen Sängerin im Amerika der Vorkriegszeit zu vergleichen wäre zynisch. Ihr Tod war schrecklich. Man ließ sie auf der Straße verbluten, weil das Krankenhaus für Weiße reserviert war. Aber es hat auch wunderbare Zeiten in ihrem Leben gegeben. Bis zur Prohibition war sie ein großer Star, sie feierte Triumphe. Man spürt in ihrer Musik etwas total Positives, selbst noch in „Nobody Knows You When You''re Down And Out“.

Als Sie in den sechziger Jahren begannen, spotteten Kritiker: Diese Sängerin sehe zwar niedlich aus, habe aber keine Stimme. Inzwischen interpretieren Sie Klassiker der großer Sängerinnen wie Sarah Vaughan oder Billie Holiday. Ihr Selbstbewusstsein ist enorm gewachsen, oder?

Ich war schon immer selbstbewusst. Die Kritiker hatten keine Ahnung, worauf es beim Singen ankommt. Ich weiß, dass ich technisch gesehen keine große Stimme besitze. Aber ich habe Talent, ich singe so, dass der Hörer sofort spürt, worum es in dem Song geht. Musik ist, wie wohl jede Form von Kunst, dafür da, Emotionen auszudrücken. Das kann ich gut. Außerdem ist meine Stimme mit der Zeit reifer und besser geworden. Was an Technik nötig ist, habe ich auf der Bühne gelernt. Viele Leute sagen auch, dass sie meine alte, rauchige Stimme mögen, weil in ihr mein ganzes Leben mitschwingt. Das kann ich natürlich nicht beurteilen.

Der vielleicht schönste Song auf dem Album ist „Ooh Baby Baby“, eine Soulsymphonie von Smokey Robinson, die Sie mit Antony Hegarty singen. Das Stück klingt wie ein einziger Flirt, wobei Antony mit seiner Falsettstimme sozusagen die Frauen- und Sie mit Ihrem dunklen Alt die Männerrolle übernehmen.

Die Aufnahmen mit Antony waren großartig, es war ein großer Flirt. Der Produzent Hal Willner hatte die tolle Idee, meine Stimme mit den Stimmen von Sängern wie Nick Cave, Rufus Wainwright oder Cat Power zusammenzubringen.

In dem Song heißt es: „Stronger, stronger, my heart is getting stronger / I can''t hold out much longer.“ Geht es um Sex?

Es geht um Liebe. Und im Soul ist Sex immer ein wichtiger Teil davon.

Sie haben einmal gesagt, Sex gehöre für Sie zu den vier wichtigsten Dingen des Lebens.

Habe ich das gesagt?

Die anderen Dinge seien: Filme drehen, Platten aufnehmen, auf der Bühne singen.

Sex wird überbewertet. Das merkt man, wenn man älter wird. Heute finde ich es viel schöner, auf die Bühne zu gehen und zu singen.

Den letzten Song auf dem Album „Sing Me Back Home“ singen Sie mit Keith Richards. Ist das Ihre erste Kollaboration mit ihm seit den siebziger Jahren?

Nein. Wir haben immer wieder kleinere Sachen zusammen gemacht. „Sing Me Back Home“ ist eine dieser sentimentalen Country-Balladen, die in den Südstaaten früher auf der Holzveranda gesungen wurden. Ein Jazzmusiker würde sich wohl lieber erschießen, als so etwas zu spielen. Aber ich liebe diese Songs, auch wenn ich kein rührseliger Typ bin, der mit alten Freunden Lieblingssongs anstimmt, um die Vergangenheit zu beschwören. Als wir uns entschieden, „Sing Me Back Home“ aufs Album zu nehmen, kam nur Keith als Sänger in Frage. Er und Gram Parsons brachten mir Ende der Sechziger diesen Song bei. Gram hat damals Keith in die Welt der Countrymusik eingeführt und auch beim Stones-Album „Exile On Main Street“ mitgemacht.

Miss Faithfull, erinnern Sie sich noch an ihr Konzert 1978 im Berliner Kant-Kino ?

Oh ja, das war ein toller Saal.

Wissen Sie noch, welche Stücke Sie gesungen haben?

Nein, wahrscheinlich Stücke aus meinem Comeback-Album „Broken English“, das kurz danach erschien.

Falsch. Sie haben Coverversionen wie „Riders On The Storm“ und „Sweet Jane“ gespielt. Im Tagesspiegel erschien ein heftiger Verriss von Barry Graves: „So ein Act tingelt normalerweise durch miese Spelunken“, „die Sängerin macht in schlechter Beleuchtung eine eher tragische Figur“.

So haben mich damals viele Kritiker gesehen. Aber mit meinem wirklichen Selbst hat das nichts zu tun. Für mich waren das überhaupt keine tragischen Jahre, ich habe hart gearbeitet und hatte viel Spaß.

Im Archiv unserer Zeitung finden sich aus dieser Zeit Geschichten mit Schlagzeilen wie „Marianne Faithfull brach zusammen“, „Faithfull tritt Entziehungskur an“.

Eine Frau wie ich wurde von den Männern damals am liebsten als Opfer gesehen. Aber ich war kein Opfer, seit „Broken English“ habe ich vor allem gezeigt, dass ich eine Künstlerin bin. Die Männer, die dieses Zeug geschrieben haben, wollten, dass ich sterbe. Dann wären ihre Schlagzeilen wahr geworden. Den Gefallen habe ich ihnen nicht getan.

Das Gespräch führte Christian Schröder.

Marianne Faithfull, 61, ist seit mehr als vierzig Jahren eine Rock’n’Roll-Berühmtheit. Ihren ersten Hit hatte die Tochter aus gutbürgerlichem Londoner Hause 1964 mit der Ballade „As Tears Go By“, die ihr damaliger Freund Mick Jagger mit Keith Richards für sie geschrieben hatte. Lange galt sie als Starlet und Sexsymbol, später machte sie mit Drogenproblemen Schlagzeilen. Erst seit ihr mit dem Album „Broken English“ 1979 ein Comeback gelang, wird sie auch von Kritikern ernst genommen. In den achtziger Jahren entdeckte Faithfull, die auch als Schauspielerin arbeitet, die musikalische Welt der Weimarer Republik für sich und veröffentlichte Hommagen an Kurt Weill und Bert Brecht. Gerade ist ihr neues Album „Easy Come, Easy Go“ (Naive Records) erschienen, auf dem die in Irland und Paris lebende Sängerin mit Gaststars wie Keith Richards, Nick Cave und Jarvis Cocker Jazzklassiker und einige ihrer Lieblingspopsongs interpretiert. chs

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