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Interview mit Bootsy Collins: "Wir haben zu viele Maschinen"

Im Jet mit James Brown: Der Bassist Bootsy Collins über alten und neuen Funk, LSD und Lady Gaga.

Mister Collins, Sie bezeichnen sich auf Ihrem neuen Album als „Funk Teacher“, im Internet betreiben Sie eine Funk-Universität. Können Sie uns eine kleine Einführungslektion geben?

Für mich ist Funk mehr als nur die Musik. Es geht darum, etwas aus dem Nichts zu erschaffen. Nichts zu haben ist Funk. Denn dadurch ist man gezwungen, kreativ zu sein. Als ich klein war, wollte ich unbedingt eine Gitarre haben – wie mein acht Jahre älterer Bruder Catfish. Irgendwann traute ich mich, meine Mutter zu fragen, obwohl sie wirklich andere Sorgen hatte. Doch sie ging zu einem Laden, der ihr Kredit gewährte. Das war eigentlich völlig abwegig.

Wie teuer war die Gitarre?

29,95 Dollar. Ich hatte also endlich die Gitarre und wollte mit meinem Bruder spielen. Doch da merkte ich: Er braucht einen Bassisten. Das heißt, ich brauche vier Saiten für diese Gitarre. Ich nervte so lange herum, bis ich sie hatte. Da war der Geist des Funk am Werk. Und dieser Bass klang fantastisch. Alle liebten ihn.

Wer war Ihr erster Lehrer? Catfish?

Ja, er war mein Lehrer und meine Inspiration. Wir hatten keinen Vater im Haus, ich versuchte, so zu sein wie Catfish. Er war cool. Die Mädchen schauten auf ihn, weil er Gitarre spielte. Und dann erschien Jimi Hendrix auf der Bildfläche. Es war irre: die Musik, die Mode, die Wildheit. Ich startete in der besten Zeit, die man sich denken kann. Alle versuchten, etwas Neues zu machen. Alle fingen an, LSD zu nehmen. Und ich war froh, Teil dieser Welt zu sein. Es war eine fantastische Zeit für kreative Menschen.

Als Sie 17 waren, holte James Brown Sie und ihren Bruder in seine Band. Wie lief das ab?

Wir hatten bei King Records in Cincinnatti als Studiomusiker gearbeitet. James Brown, der dort ebenfalls aufnahm, hörte von uns. Um zu testen, wie gut wir waren, schickte er uns zusammen mit Hank Ballard auf Tour. Und danach mit Marva Whitney, einer seiner Sängerinnen. Ich glaube, nachdem wir beide Tests bestanden hatten, dachte er: Wenn ich eine neue Band brauche, weiß ich, wen ich anrufen muss. Und so kam es. Eines Abends wollte seine Band nicht auftreten.

Die Musiker wollten mehr Geld.

Genau. Also ließ James Brown seine rechte Hand, Bobby Byrd, bei uns anrufen. Wir dachten erst, das ist ein Scherz. Doch Brown schickte uns seinen Lear Jet. Wir packten unsere Sachen und flogen hin. Es gab keine Proben. Er holte uns in die Garderobe und sagte (imitiert Browns heisere Stimme): „Ich weiß, ihr kennt alle meine Songs. Wenn ich meine Hand senke, werdet ihr reinhauen.“ Wir gingen raus auf die Bühne und los ging’s mit „Cold Sweat“. Erst nach einer Woche hatten wir Zeit für Proben. Und wir probten, bis unsere Finger bluteten.

James Brown war bekannt für seine Strenge. Er ließ die Musiker sogar Strafen zahlen, wenn sie falsch gespielt hatten. Ist ihnen das auch mal passiert?

Er hat das anfangs ein paar Mal probiert. Aber wir hatten ohnehin nie Geld. Wir gaben ihm allerdings auch keinen Grund, uns zu bestrafen. Wir strengten uns wahnsinnig an. Denn wollten ihm beweisen, dass wir es draufhaben. Wir wollten besser als die Besten sein.

Mit James Brown fuhren Sie 1970 sogar zu Fela Kuti nach Nigeria.

Ja, wir waren in seinem Club in Lagos. Da gab es einen Rhythmus! Wow!

Den Afrobeat, den Kuti begründete.

Das war überwältigend. Wir waren genauso beeindruckt von den Musikern dort wie sie von uns. Sie hielten uns für etwas ganz Besonderes, behandelten uns wie Könige, aber ich fand ihren Sound wirklich deep – mehr als unseren. Und dann ließen sie dort auch noch Joints herumgehen, die groß waren wie Zigarren. So was hatten wir noch nicht gesehen.

Wie war es damals für eine Gruppe schwarzer Amerikaner, nach Afrika zu kommen?

Wir wussten gar nicht, was uns erwartet. Unsere Vorstellungen gingen eher in Richtung Tarzan-Filme. Dschungel und so weiter. Als wir dann ankamen, waren wir überrascht, dass sie echte Hotels hatten. Wir waren Straßenkids, die keine Ahnung hatten. Es war ein bisschen wie ein Schock – aber ein guter.

Kurz nachdem Sie aus Afrika zurückkamen verließen Sie und Catfish James Browns Band. Wie kam es dazu?

Die älteren Bandmitglieder schickten mich immer zu James Brown, um ihm zu sagen, was wir, oder vielmehr sie brauchen. Die meisten hatten Familie, ich war jung, mir genügte, was ich bekam. James Brown gab oft nach, wenn ich um etwas bat. So auch in Afrika, als ich ihm ausrichtete, dass die Band nicht spielen würde, wenn sie nicht mehr Geld bekäme. Zurück in den Staaten probierten sie es noch einmal. Sie wollten hundert Dollar pro Woche mehr. Diesmal antwortete er: „Kann ich nicht machen, mein Sohn. Ich weiß, dass sie dich vorschicken, aber es geht nicht“. Und weil ich gesagt hatte, dass wir ihn verlassen würden, wenn er ablehnte, musste ich mein Wort dann auch halten. Nicht alle Bandmitglieder kamen mit mir.

Aber die Trennung hatte auch Vorteile.

Ja, irgendwie war es Zeit zu gehen. Wir waren ein bisschen müde, immer das Gleiche zu machen. Inzwischen hatten wir Europa gesehen, hatten tolle Klamotten gekauft, die wir aber auf der Bühne nicht tragen durften. Also gründeten wir die Band House Guests und tourten ein bisschen herum, bis uns in Detroit das Geld ausging. Dort kamen wir auf die Idee, bei Motown nach einem Vertrag zu fragen. Aber so wie wir angezogen waren, haben sie uns gleich wieder rausgeschmissen.

Ein Mann, der tolle Kostüme mochte, war George Clinton, der Chef der Bands Parliament und Funkadelic, die auch in Detroit residierten. Wie kamen Sie zusammen?

Bei einem Gig kam eine Frau zu mir und sagte: Ihr müsst George Clinton treffen. Was ihr macht, passt so gut zu Funkadelic. Sie überredete mich, ihn zu besuchen. Wir redeten, er nahm uns auf, gruppierte seine Bands neu und erlaubte mir sogar, ein eigenes Album aufzunehmen.

Was für eine Art Bandleader war George Clinton verglichen mit James Brown?

Er war kein richtiger Bandleader, mehr ein Menschen-Regisseur. James Brown war ein Bandleader. Und er wusste genau, was er wollte. George Clinton ließ die Musiker mitbringen, was sie wollten. Sein Ziel war es, hervorzulocken, was jemand in sich hatte. Das konnte er wirklich gut. Mit ihm war es nicht wie in einer Vater-Sohn-Beziehung, sondern eher wie mit einem großen Bruder. Mit George konnte ich mich herumtreiben, das ging mit James Brown nicht.

Wenn Sie sich die heutige Popmusikszene anschauen, gibt es jemand, den Sie funky finden? Lady Gaga vielleicht?

In ihrer eigenen Art ist sie das. Aber Funk, wie wir ihn kannten, wird es nicht mehr geben. Damals war er roh, kam aus dem Nichts. Heute haben wir zu viele Maschinen. Wir können nicht mehr so roh sein wie damals. Nur die Leute aus dieser Ära können das noch transportieren. Heute ist es eine andere Art von Funk. In diesem Sinne ist Lady Gaga funky.

Das Gespräch führten Nadine Lange und Christian Schröder.

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