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© dpa

Interview: Rocko Schamoni: "So einfach war das damals"

Punk und die Erinnerungskultur: Rocko Schamoni spricht im Tagesspiegel-Interview über seinen autobiografischen Roman, Steuererklärungen und revolutionäre Songs.

Herr Schamoni, Sie haben in „Dorfpunks“ Ihre trostlose Jugend an der Ostsee verarbeitet und damit die Romanvorlage für den gleichnamigen Kinofilm geschrieben. Beunruhigt es Sie, dass Punk darin das letzte bisschen Heldentum ausgetrieben wird?

Heroismus hat der Punk für mich mit 14 gehabt, als Punks für mich Götter waren. Als wir kurz darauf selbst Punks wurden, traten wir schon mit der Ansage an, die die Stranglers formuliert hatten: Weder du noch irgendeiner auf der Welt soll ein Held sein oder bleiben ...

„No More Heroes“, so hieß der Song.

Wir versuchten, uns auf breiter Phalanx gegen etwas aufzustellen, was uns erdrückt hat. Dabei haben wir uns nicht als Helden gefühlt. Der Film erzählt wie das Buch nur davon, dass sich ein paar Jugendliche Freiräume schaffen und sich erfinden. Mehr passiert da nicht.

In der aktuellen Erinnerung ist Punk der wichtigste kulturelle Bezugspunkt.

Jede Generation räumt zwanzig Jahre später auf. Wir hatten das Glück, dass wir am Ende nicht so zersplittert und gestrauchelt am Boden gelegen haben wie die 68er-Generation. Aber auch wir ziehen Bilanz. Natürlich entstehen Zerrbilder dabei, auch nachträgliche Heroisierungen, die ich peinlich finde. Dass diejenigen, die sich früher bloß verweigert haben, jetzt heroisiert werden, hat mit den Schwierigkeiten zu tun, in der Gegenwart Helden zu finden, die man entsprechend verkleistern kann.

Der Film erzählt die Geschichte eines Sommers, in der Ihr Alter Ego Roddy Dangerblood mit seinen Freunden eine Band gründet, scheitert, sich in ein bürgerliches Mädchen verliebt, scheitert, und am Ende sind Sommer und Punk vorbei.

So einfach war das damals.

Ich glaube, ich kann für die Mehrheit sprechen: Die Typen, die in den Achtzigern angetrunken auf die Tanzfläche einer Dorfdisko hüpften und alle anderen wild herumschubsten, haben genervt. Blöde Selbstdarsteller mit kaputter Energie.

Anfangs war das eine Bündelung von Leuten, die ihre Fantasien konkret umgesetzt haben. Ich hatte das vorher nicht erlebt, dass Menschen das gesamte Erscheinungsbild und die Inhaltlichkeit ihres Seins selbst bestimmt haben. Alles wurde selber gemacht: Die Musik, die Fotos, Klamotten, Hefte, Namen, Frisuren. Die erste englische Punk-Generation von 1977 hat uns das vorgelebt. Und wir griffen es auf, viel zu spät, aber wir hielten es genau so. Was drei bis vier Jahre später passierte mit dem Aufkaufen von Bondage-Klamotten, Massenware aus London und dem Gerede, wie Punks sich zu benehmen hätten, war ein Abziehbild. Es gab immer mehr Idioten.

Wie tief war der Graben zwischen den Punk-Ideologen und den Ästheten?

In unserer Kleinstadt gab es zwei ältere Punks, die sehr großen Wert darauf legten, dialektisch zu denken und Marx’ „Kommunistisches Manifest“ zu lesen. Wir Jüngeren waren eher hedonistisch orientiert. Durch die permanente Moraldusche, die wir abbekamen, merkten allerdings auch wir, dass da was dran ist. So gab es die permanent vor dem Bruch stehende Gemengelage, aus der Künstler wie die Goldenen Zitronen und ich hervorgingen. Wir haben einerseits politisch gedacht, andererseits Glanz und Spaß in die Linke hineingetragen, die versteinert in ihren Gesprächszirkeln verharrte.

Wie stark waren Sie an der filmischen Adaption des Romans beteiligt?

Sehr wenig. Der Produzent hatte die Sorge, dass eine zu große Nähe unweigerlich zu Spannungen geführt hätte. Also ließ ich das Buch los.

Hatten Sie Angst vor einer Entwertung des Romans?

Die Gefahr besteht immer. Aber selten ist ein Film besser als das Buch. Meist ist er anders. Mich erinnert der Film nicht mehr an mich. Die Landschaft ist dieselbe, die Typen sind andere. Gut für mich.

Plötzlich sieht Roddy Dangerblood aus wie ein Kinostar.

Dazu bin ich als Gestalt nicht interessant genug, als dass man einen Film über meine Jugend hätte drehen müssen. Die Schauspieler sind von der Straße weg engagiert worden. Einige von denen haben die Nacht bei irgendeinem Rave auf’m Acker verbracht, bevor sie zum Set kamen. Die leben, was sie sind.

Sie meinen im Gegensatz zu Ihnen, der Sie sich eine neue Vita schufen und neue Namen erfanden?

Ich habe Roddy Dangerblood oder Rocko Schamoni nicht erfunden. Ich habe sie kreiert. Erfunden klingt nach Schall und Gaukelei. Aber darum ging es nie. Wir brauchten diese Namen, weil es unsere waren und nicht die, die andere für uns erfunden hatten. Es ist erstaunlich, wie der Staat reagiert, wenn er bemerkt, dass die bürgerliche Gestalt hinter einem Namen in eine Parallelwelt abtaucht. Wie die Systeme des Staates realisieren, dass da ein Maskensystem auftaucht.

Sie führen mit dem Finanzamt Debatten darüber, wer Rocko Schamoni ist?

Ich bekam zwei Steuererklärungen, nachdem die Steuerbehörde aus meinem Auftauchen in der Presse geschlossen hatte, dass es Rocko Schamoni gibt. Es hat Jahre gedauert, bis sie die Doppelexistenz wieder entflochten haben.

Man kriegt Sie nie richtig zu fassen.

Das ist die Idee.

Es würde zu weit führen, alle Tätigkeiten aufzuführen, denen Sie bereits nachgegangen sind. Als Romanautor haben Sie den dritten Karriereabschnitt eingeleitet. Platten wollen Sie nicht mehr machen. Stattdessen schreiben Sie Bücher über eine verkorkste Jugend.

„Dorfpunks“ zu schreiben, folgte der Idee, mal ein Buch zu schreiben. Das Problem ist, dass all diese Bereiche Spektren besitzen, die irgendwann abgearbeitet sind. Mein Kunststudium habe ich abgebrochen, als ich merkte, dass es nur darum geht herauszufinden: Wo ist mein Platz im Kunstmarkt? Da kannte ich die Grenze. Vor allem die soziale Grenze, innerhalb derer Szenen funktionieren, Deals eingefädelt und Eitelkeiten in diesen Cliquen bedient werden. Wenn ich das durchschaue, wird es langweilig, und ich finde es abstoßend.

Sie wollen immer wieder den dilettantischen Impuls?

Ich finde es bewundernswert, wie die Surrealisten die Technik aus dem Weg geräumt haben, um mit den Inhalten zu kommen. Aber dann ist irgendwann doch wieder Technik wichtig. Für die hole ich mir jemanden, der sie besser beherrscht, als ich es je könnte.

Das heißt, Sie finden nie heraus, wie gut Sie wirklich sind?

Es geht nicht um das Solo. Das Solo ist nur dazu da, die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass der Song läuft. Was in dem Song drin ist, das kann die Welt verändern.

Das Gespräch führte Kai Müller.

Rocko Schamoni, 42, wuchs in Lütjenburg an der Ostsee auf, wo er eine Töpferlehre absolvierte. Er zählte neben den Goldenen Zitronen und den Toten Hosen zu den Begründern des Fun-Punk.

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