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Kammerakademie Potsdam

© Elmar Schwarze

Klassik: Die Pirole heben ab

Es ist ein spannendes Experiment: Zwei Chefs leiten das Orchester. Vom wundersamen Erfolg der Kammerakademie Potsdam.

Vielleicht war es ja tatsächlich Glück im Unglück. Just in dem Moment, als Potsdam endlich einen modernen Konzertsaal bekommen sollte, entschloss man sich in der brandenburgischen Landeshauptstadt, das lokale Sinfonieorchester abzuwickeln. Die 77 Musiker starke „Brandenburgische Philharmonie Potsdam“ war eines jener soliden Provinzensembles, die so wichtig für die musikalische Grundversorgung vor Ort sind. Im Vergleich mit der Klassikszene im dreißig Minuten entfernten Berlin allerdings konnten die Potsdamer natürlich nicht mithalten. Weil aber auch den kulturfeindlichsten Abgeordneten in der Stadtverordnetenversammlung klar war, dass ein neuer 725-Plätze-Saal ohne Hausensemble ziemlich peinlich wirkt, entwickelte man eine Mogelpackung: Man engagierte das Berliner „Ensemble Oriol“ und verstärkte es durch das lokale „Persius Ensemble“, eine Formation aus den Reihen der abgewickelten „Brandenburgischen Philharmonie“. Kostenpunkt: eine knappe Dreiviertelmillion Euro statt wie bisher 3,5 Millionen Euro.

Schon das erste Konzert der neuen „Kammerakademie Potsdam“ im Spätsommer 2001 machte deutlich, was für ein Potenzial die Truppe mitbrachte und wie gut der neue, frische Geist zum coolen, wahrlich großstädtisch wirkenden Nikolaisaal passte, den der französische Architekt Rudy Ricciotti hinter historischer Fassade in der Wilhelm-Staab- Straße beim Stadtkanal entworfen hatte. Unter der künstlerischen Leitung von Peter Rundel, ab 2002 dann von Sergio Azzolini erarbeitete sich die Kammerakademie schnell einen guten Ruf als vielseitiges, neugieriges Ensemble. Für die Konzertreihe im Schlosstheater des Neuen Palais beispielsweise formiert sich jeweils ein „Barock Consort“ aus den Reihen der Musiker, die dann auf historischen Instrumenten spielen.

Extreme Flexibilität wird den 13 Geigern, vier Bratschisten, drei Cellisten und vier Kontrabassisten, den sieben Holzbläsern und dem Perkussionisten nicht nur in stilistischer Hinsicht zugemutet: Von einer Festanstellung können sie nur träumen. Die 730 000 Euro, die von der Stadt jährlich überwiesen werden, reichen gerade einmal für eine Bezahlung pro Projekt. Eine soziale Absicherung gibt es nicht: Wer krank wird, bekommt keinen Cent. Dennoch hält das Kernensemble zusammen, hat sich mit Verve das Vertrauen der Potsdamer und eine staatlich vorgegebene Auslastung von 85 Prozent erspielt und leistet darüber hinaus Jugendarbeit weitgehend ehrenamtlich.

Im vergangenem Herbst 2006 haben die Musiker das mutige Projekt einer künstlerischen Doppelspitze gestartet: Der Spezialist fürs 18. Jahrhundert und Fagottist Azzolini bildete dabei ein künstlerisches Team mit dem Dirigenten und Cellisten Michael Sanderling. Dass Azzolinis Nachfolger ab der kommenden Saison Andrea Marcon sein wird, der Gründer des Venice Baroque Orchestra und einer der profiliertesten Vertreter der jungen „Alte Musik“-Generation, zeigt, wie attraktiv die Arbeit mit der Kammerakademie ist. Gemeinsam gestalten die beiden Chefs 2007/08 einen Beethoven- Sinfonien-Zyklus. Zur Saisoneröffnung am 25. August wird Peter Sodann den Sprecherpart in Strauss’ „Bürger als Edelmann“ übernehmen, im September sind Auftritte mit den drei Jungstars Julia Fischer, Daniel Müller-Schott und Martin Helmchen nicht nur in Potsdam, sondern auch in Hamburg und Stuttgart geplant, außerdem wird Marcon im November Rossinis Oper „Die seidene Leiter“ fürs Schlosstheater einstudieren.

So wie mit zwei künstlerischen Leitern können die Musiker auch gut mit zwei Namen leben: Parallel zur Arbeit als Kammerorchester der brandenburgischen Landeshauptstadt hat sowohl das Potsdamer Persius-Ensemble kontinuierlich seine Konzertreihe „Musik und Architektur“ weitergeführt als auch das Berliner Ensemble Oriol seinen Saisonzyklus im Kammermusiksaal der Philharmonie. So kommt es, dass hier am Donnerstag ein 20-jähriges Jubiläum gefeiert werden kann. Unter der Leitung von Christian Tetzlaff spielen die „Pirole“ (so lautet die deutsche Übersetzung des lateinischen Wortes „Oriol“) Mozarts Sinfonia Concertante und die Streichorchesterfassung von Anton Bruckners F-Dur-Quintett.

Dass zwei Tage später im Rahmen der Brandenburgischen Sommerkonzerte dieselben Stücke auf dem Programm eines Gedenkkonzerts zur Oder-Flut 1997 in Neuküstrinchen stehen, die Musiker dann aber mit Sebastian Breuninger und unter dem Namen „Kammerakademie Potsdam“ auftreten, gehört zu den Unschärfen der künstlerischen Doppelexistenz. Die hauptstädtischen Projekte werden durch Zuschüsse der Berliner Senatskulturverwaltung verwirklicht, Auftritte im Brandenburgischen durch Geld aus der Potsdamer Stadtkasse. Natürlich wäre es nur logisch, die längst auch überregional hochgeschätzte Formation zur länderübergreifenden Institution zu machen – doch Fusionsprojekte zwischen Berlin und Brandenburg sind auch 2007 noch so heiße Eisen, dass sie keiner der Verantwortlichen gerne anfasst.

Infos unter www.kammerakademie-potsdam.de, www.ensemble-oriol.de und www.persius-ensemble.de

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