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Konzert-Kritik: Geisterfahrer: Oasis in der Arena

Rock ’n’ Roll, nichts weiter: Oasis tauchen in der Berliner Arena in psychedelische Welten ab.

Am Anfang steht ein Versprechen. Oasis haben es vor 14 Jahren gegeben. Und sie wiederholen es jeden Abend: „Tonight I’m a Rock ’n’ Roll Star“ – Liam Gallagher nölt es auch diesmal ins Mikrofon, als die Band, die sich vormals als die „größte Band der Welt“ betrachtete und Recht damit hatte, in der nahezu ausverkauften Arena Treptow vor ihr Publikum tritt. Während die Musiker auf vier Videoleinwänden als digital-zerfließende, überlebensgroße Pixelsilhouetten erscheinen, sägen scharfkantige E-Gitarren erste Melodien aus dem, was schon immer Oasis’ Markenzeichen war: ein harter, zäher und mürrischer Rocksound. Der Sänger steht schief und leicht vorgebeugt vor dem Mikrofonständer wie ein altenglischer Aristokrat mit Hüftschaden. Wie hingeschneidert für den Satz: „It’s just Rock ’n’ Roll.“ So lautet das Mantra, mit dem der Auftaktsong in sich zusammenfällt. Rock ’n’ Roll, weiter nichts.

Die Attribute eines Rockstars stehen Liam von jeher gut. Der lange schwarze Schal, die vorgereckte Unterlippe, der abschätzige Blick, hochgeschlagene Kragen und schlingernde Gang. Alles kleidsam. Alles nur äußerlich. Hat er überhaupt etwas mit der Musik zu tun? Dass sich die Geister an diesem Pfau scheiden, gehört zur Oasis-Folklore, seit die Burschen aus Manchester 1991 zusammenfanden. Man muss durch das Wechselbad von Abscheu und Bewunderung jedes mal wieder durch. Und fragt sich, warum schmeißt Bruder Noel Gallagher diesen Rockstar-Dandy, der sich so viel Mühe gibt, seine Working-Class-Herkunft zu parfümieren, nicht einfach raus?

Er kann es nicht. Jeder, der nur ein bisschen mit der Familiengeschichte dieses ungleichen Geschwisterpaars vertraut ist, weiß das. Seit Mutter Gallagher eines Abends ihre drei Söhne packte und vor dem gewalttätigen Trinker reißaus nahm, der ihr Mann war, übernimmt der Zweitgeborene Noel die Rolle des Familien oberhaupts und Beschützers. Das hält ihn nicht davon ab, in beißenden Tiraden über Liam herzuziehen – der Mitschnitt eines Streits schaffte sogar in die britischen Charts – aber ihn fallen lassen, das bringt er nicht fertig. Auf der Bühne würdigen sich die Gallaghers keines Blickes. Frostig ist nicht das richtige Wort für das Nebeneinander dieser explosiven Typen. Noel ist mit einem dummen Bruder geschlagen, der ihn liebt. Das ist sein Drama. Und Liam muss sich eingestehen, dass seine Bewunderung unerwidert bleibt. Außerdem weiß er immer weniger, was er auf der Bühne soll.

Dass Liam den stoischen Ernst seines Bruders ausbalanciert, der da oben zur Unterhaltung des Publikums nicht mehr beisteuert als einen Fingerzeig, dürfte ein schwacher Trost sein. Seit Oasis sich psychedelisch-wabernden Lärmwänden zugewandt hat, steht Liam noch mehr auf verlorenem Posten. Das Sitargezirpe und blecherne Orgeln geht an dem Sänger vorbei, der zum Statisten einer hypnotischen, in Akkordspiralen kreisenden Geisterfahrt wird. Vom neuen Album „Dig out your Soul“, das im vergangenen Herbst erschien und erstmals wieder an die Oasis-Erfolge von vor zehn Jahren anschließt, werden vier Songs ins allgemeine Best-of-Programm eingeflochten. Zu dem böse stampfenden Beat von „Waiting For The Rapture“ oder dem hitzigen „Schock of The Lightning“ rollen im Bühnenhintergrund schäumende Wellen über die Bilderwände. Ordnungen sind in Auflösung begriffen, Refrains gibt es nicht mehr, stattdessen endlos wiederholte Wortschleifen. Das ist ein spannender Kontrast zu den überschaubaren und so gewaltigen Song-Quadraturen wie sie die Hits „Wonderwall“, Morning Glory“, „Supersonic“ oder „Lyla“ vorführen.

Am irritierendsten an Liams tänzelnder Erscheinung wirkt, dass Noel mit den Jahren zum besseren Sänger seiner eigenen Songs geworden ist. Dass ihm diese Lieder heilig sind, verrät jede Faser seines Körpers. Die Jacke bis zum Hemdkragen geschlossen, warnt er: „Please, don’t put your life in the hands of a rock ''n'' roll band/ They throw it all away.“ Es ist das Signal für die Menge, den Refrain zu „Don’t Look Back in Anger“ zu übernehmen. Das sagt viel: Hier, ich gebe euch das Größte, das ich je geschaffen habe.

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