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Konzertkritik: Arctic Monkeys: Atem raubend

Nikotinschwaden, gleißender Lärm, vertrackte Rhythmen: Die Arctic Monkeys in der großen Halle der Treptower Arena - samt formidabler Vorgruppe.

Als 2006 das erste Album der Arctic Monkeys binnen kürzester Zeit rasend schnell verkaufte, schlug die britische Gesundheitsbehörde Alarm: Die Abbildung eines jungen Mannes auf dem Cover mit Zigarette im Mund verführe Jugendliche zum Rauchen. Tatsächlich scheinen die Fans der Band Extrem-Raucher zu sein. Dermaßen zugequalmt mit dichten blauen Nikotinschwaden ist die große Halle der Treptower Arena, dass es einem schon den Atem raubt, bevor schwerer Drumbeat einsetzt, verzerrtes Gitarrenfeedback und ein düsteres Riff. Theatralisch öffnet sich der Vorhang, doch auf der Bühne sieht man nichts. Nur eine blendend weiße Wand aus Licht und Rauch, und ein paar Gestalten mit Gitarren, schwarze Schattenrisse, kaum zu erkennen, umso mehr zu hören. Gleißender Lärm und eine Stimme, die dunkle Gesangsschatten darüber wirft, wie ein Jim Morrison mit Sheffield-Akzent: "I heard the truth was built to bend / A mechanism to suspend the guilt / Is what you are requiring still / You've got to dance little liar" singt rätselhaft die Silhouette von Alex Turner.

Der Song stammt vom neuen Album "Humbug", wo der Sound insgesamt etwas düsterer geworden ist, nachdem sich die Jungs aus Sheffield, die bislang so stark beeinflusst waren vom rebellisch krachenden Klang der Jam, Oasis, Libertines, Franz Ferdinand, The Streets, diesem durch und durch britischen Arbeiterklassen-Jugendclub-Stil, in die kalifornische Wüste begeben haben. Für das bekanntermaßen immer schwierige dritte Album, haben sie löblicherweise etwas riskiert, sich nicht auf vertrocknenden Lorbeeren ausgeruht, etwas Neues ausprobiert: veränderte Klänge, experimenteller, dunkler. Aufgenommen haben sie in Joshua Tree, im Studio von Josh Homme von den Queens Of The Stone Age, der ihnen als Produzent zum älteren Bruder im musikalischen Geiste wurde.

Vielleicht, weil sie sich gut miteinander verstanden und gemeinsam eine hörenswerte Platte hinbekommen haben, bestreitet Josh Homme nun mit seiner anderen Band, den formidablen Eagles Of Death Metal, das Vorprogramm der Tour. Und zeigt, dass man für knackigen Rock 'n' Roll nicht mehr braucht als ein paar elektrische Gitarren, Schlagzeug, Bass, knallige Riffs, Energie, Charisma. Und vielleicht noch eine schwarze Pilotenbrille.

Die Arctic Monkeys meinen, mehr zu brauchen. Offenbar sind sie entschlossen, von den "netten Jungs von nebenan" zu entrückten Stadionrockern zu werden, mit all dem dazugehörigen Schnickschnack. Das grelle Gegenlicht wechselt zu rotem Geflacker und dem Geratter von "Brianstorm". Endlich sieht man die Band: niedliche Jungs mit schönen, langen Haaren, wie in den 60ern. Entzückte Mädchen schmachten, jubeln ihnen zu. "This House Is A Circus". Auf der Bühne lodert es lichterloh, orange, gelb, rot, als stünde alles in Flammen. Ein Song wie ein Nagelbrett und stroboskopisches Flattern zu "I Bet You Look Good On The Dancefloor", der ersten Single von 2005.

Manche Stücke haben vertrackte Rhythmen, die an Led Zeppelin erinnern, und die vor allem dem Drummer Matt Helders einiges abverlangen an Raffinesse. Gelegentlich wackelt es, trudelt das Tempo. "Crying Lightning" rollt mit einer schön twängenden Surf-Gitarre auf einem abgedunkelten Shakin'-All-Over-Riff daher. Andere Songs bestehen aus merkwürdig gestückelten Einzelteilen, die sich nicht so richtig zusammenfügen wollen. Da wabert eine Pink-Floyd-Orgel, die von einem scharfkantigen Stakkato-Riff zerrissen wird. Und plötzlich taucht eine zauberhafte Ballade auf, die nach Mersey-Beat der 60er-Jahre klingt. Und natürlich der wunderbare Nummer-Eins-Hit der zweiten Single: "When The Sun Goes Down".

Wenn Rhythmik und Melodik auch gelegentlich haken, ist das ganze Drumrum umso mächtiger aufgebrezelt: stilvoll und perfekt die Lichtarchitektur und die Dramatik der Effekte. Filmstreifen links und rechts der Bühne zeigen elegant in künstlerischer Verfremdung das aktuelle Geschehen als schicke Parallel-Videos und lenken ab vom Wesentlichen.

Nach neunzig Minuten tanzen die Fans zur bezaubernden Melodie von "Secret Door" in Schnee und Goldregen, der feierlich von der Hallendecke flattert. Ein bisschen sehnt man sich nach bodenständigerer Einfachheit. Höchstens noch nach einer schwarzen Pilotenbrille.

H.P. Daniels

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