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Konzertkritik: Britta: Hilfe, mein Drummer spielt Bass bei den Grether-Schwestern!

Das zehnjährige Bandjubiläum feiern die Berliner Indiepop-Heldinnen Britta im Prater mit Freunden und Wahlverwandten

Mag sein, dass dies nicht die Zeiten für aufwändige Jubiläumsveranstaltungen sind, gerade in der chronisch klammen Berliner Indie-Pop-Szene. Wenn aber die vermutlich am weitläufigsten vernetzte Band der Stadt ihr erstes Jahrzehnt glücklich überstanden hat, ist das mehr als ein normales Konzert wert. Dachten sich wohl auch Britta und haben ihren Geburtstagsabend im Prater unter das Motto „Britta und ihre Projekte“ gestellt. Britta-Sängerin Christiane Rösinger führt als gut gelaunte Moderatorin mit feiner Selbstironie durch einen abwechslungsreichen, kaum von nennenswerten Umbaupausen unterbrochenen Dreieinhalbstunden-Marathon, bei dem die fünf aktuellen Britta-Mitglieder in prägnanten Kurzauftritten ihre freundschaftlich verbandelten Projekte vorstellen.

Da finden sich etwa die solide lärmrockenden Wagner & Pohl mit Britta-Gitarristin Barbara Wagner, deren singende Partnerin Katharina Hein an Kim Gordon von Sonic Youth erinnert. Oder die putzige Garagenrock-Girlband Monstersong, in der Britta-Bassistin Julie Miess mit verschnupftem Gesang reizende Nonsens-Songs wie „Fast wie wir: Monster“ zum Besten gibt, während die Tochter von Chris Imler das Schlagzeug traktiert. Der wiederum ist Trommler in der Combo von Jens Friebe, der sowieso fast überall dabei ist: Als „fester Aushilfsschlagzeuger“ nimmt er den Platz der 2004 verstorbenen Britta-Mitgründerin und Namensgeberin Britta Neander ein, spielt außerdem Gitarre bei Monstersong und Bass in der Dilettanten-Formation Doctorella mit den Grether-Schwestern Sandra und Kerstin.

Ähnlich multitaskend veranlagt scheint der junge Österreicher Andreas Spechtl: Auch er ist als „Aushilfsgitarrist“ fest assoziiertes Britta-Mitglied, dazu spielt er beim melodramatischen Electronica-Trio Luise Pop und dem Mutter-Tochter-Freunde-Quartett Christane Rösinger & The European Rich Kids. Vor allem aber ist er Sänger und Gitarrist der Wiener Überflieger Ja, Panik, die im letzten Herbst für einen Tocotronic-artigen Mini-Hype sorgten. Kein Wunder, nicht selten klingen sie auch wie Tocotronic, dazu ein bisschen nach Spider Murphy Gang (die Orgel!) und den legendären Wiener Chaospoppern Drahdiwaberl, bei denen Falco mal Bassist war.

Als zu späterer Stunde auch noch alte Britta-Wegbegleiter wie Herman Herrmann (schon bei der Quasi-Vorgängerband Lassie Singers aktiv) und die Kurzzeit-Bassfrauen Heike Marie Rädeker (ex-18th Dye) und Malika auftreten und schließlich eine knapp 20-köpfige Mega-Formation zum rauschenden Finale aufspielt, droht man etwas den Überblick zu verlieren. Aber das ist bei einer gelungenen Familienfeier ja auch nicht anders.

Um nicht weniger geht es hier: Popmusik als Ausdrucks- und Bindemittel für die Wahlverwandtschaft von Menschen, die ein nichtlinearer Lebenslauf in die große Stadt gespült hat und die sich hier ein Zuhause parallel zur bürgerlichen Normen- und Wertegesellschaft geschaffen haben. Bei der emotionalen Zugabe trällern Britta den alten Lassie-Singers-Gassenhauer „Liebe wird oft überbewertet“. Freundschaft dagegen, so könnte das Fazit dieses schönen Abends lauten, kann man gar nicht hoch genug schätzen.

Jörg W, er

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