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© Davids

Konzertkritik: Elton John: Träume in Trümmern

„The Red Piano“ in Berlin: Elton John zelebriert in der O2-World einen Abend großer emotionaler Wahrhaftigkeit.

Wenn Schönheit und Schmerz einander berühren, kann daraus – manchmal jedenfalls – große Kunst entstehen. Wie unfassbar hübsch und unendlich traurig sie war, die berühmteste Blondine der Weltgeschichte, als sie ein letztes Mal mit der Kamera flirtete. Sie wirft Kusshändchen, drapiert Tücher um ihre nackten Brüste, schlürft Schampus und schminkt die Tränen aus ihren Augen. Sechs Wochen später ist sie tot. Oben, auf der gigantischen, knapp dreihundert Quadratmeter großen Videowand stellt ein Model Marilyn Monroes legendäres „Last Sitting“ für den Fotografen Bert Stern nach. Darunter sitzt ein kleiner dicker Mann allein an seinem Flügel und singt: „Loneliness was the toughest role you ever played / And pain was the price you paid.“

„Candle in the Wind“ ist eigentlich ein längst zu Tode genudelter Schmachtfetzen, doch so wie Elton John seine Ballade in der mit 11 000 Zuschauern fast ausverkauften Berliner O2-World zelebriert, wird daraus ein Moment großer emotionaler Wahrhaftigkeit. Mucksmäuschenstill wird es, vier, fünf Minuten lang ist die Halle mit nichts anderem gefüllt als mit der schmachtenden Stimme des Sängers, seinen sanft rollenden Klavierakkorden und dem Gefühl einer unentrinnbaren Trauer. Denn nicht von Lady Diana singt er, „Englands Rose“, für deren Beisetzung er seinen Song umgedichtet hatte. Sondern von Norma Jean, für die er ihn ursprünglich schrieb, und die für ihn, den Jungen aus der 22. Reihe im Kino, immer viel mehr gewesen sei als „just our Marilyn Monroe“.

Ein Abend, der mehr wurde als ein Hit-Potpourri

Ähnliches ließe sich über den Musiker selbst sagen. Die Welt kennt den vor 61 Jahren als Reginald Kenneth Dwight in der englischen Grafschaft Middlesex geborenen Mann als Sir Elton John, eine Art Betriebsnudel des Pop-Business mit übergroßer Brille und stets etwas zu guter Laune. Seitdem er 1969 sein erstes Album veröffentlicht hat, ist ihm immer wieder Kunsthandwerkertum und Oberflächlichkeit vorgeworfen worden. Dass er irgendwann in Las Vegas, der Welthauptstadt des schönen Scheins, landen würde, erscheint geradezu folgerichtig. Dort hat Elton John als Nachfolger von Celine Dion seine Show „The Red Piano“ vier Jahre lang im Caesars Palace präsentiert, bevor er damit zu einer kleinen Tournee aufbrach. Es sollte eine „Fun-Produktion“ werden, so der Sänger, die Höhepunkte aus seiner vierzigjährigen Karriere versammelt. Dass der Abend mehr wurde als ein Hit-Potpourri, hat der Star dem Celebrity-Fotografen David LaChapelle zu verdanken, den er mit der Ausstattung beauftragte. LaChapelle, mindestens so exzentrisch und schwul wie John selber, ist ein Meister in der Kunst der Zuspitzung, in dessen neobarock überkandidelten Bildwelten das Glamouröse direkt neben dem Grässlichen siedelt.

So thront Elton Johns rotes Piano auf einer sternenförmigen Plattform inmitten von abgestürzten Neonreklamen, deren Botschaften wie „24 hours Botox“, „Money to loan“ oder „Horny?“ sinnlos vor sich hinblinken. Jugend, Schönheit, Sex, alles ist eine Ware. Der amerikanische Traum als Trümmerlandschaft. Wer mag, kann darin einen Kommentar zur aktuellen Kapitalismuskrise erkennen. LaChapelle hat am Schönklang von Sir Eltons Songs gekratzt und die Abgründe dahinter entdeckt. Zu „Daniel“, das man mit seiner fröhlich pfeifenden Synthie-Fanfare für eine harmlose Hymne auf den Piloten eines Touristenflugzeugs halten könnte, zeigt er Bilder von Bombereinsätzen im Vietnamkrieg. Bei „Someone Saved My Life Tonight“ legt ein Alter ego des Sängers seinen Kopf in den Backofen und dreht den Gashahn auf. Und zu „The Bitch Is Back“ tanzt Pamela Anderson wenig jugendfrei an Stripshow-Stangen.

Der Star als "Rocket Man": Sein Hit handelt von der Angst vor der Einsamkeit

Ein Höhepunkt des Abends ist eine beinahe zehnminütige Version von „Rocket Man“. Zu wimmernden Bassläufen seufzt John mit angerautem Falsett: „It’s lonely out in space, on such a timeless flight.“ Das Lied beschreibt die Ängste des Sängers, nachdem er 1973 mit seinem epochalen Doppelalbum „Goodbye Yellow Brick Road“ die USA im Sturm erobert hatte wie vor ihm nur die Beatles. Der Astronaut, der in die Einsamkeit des Weltalls katapultiert wird, das ist er selber. Auf der Videowand sieht man dazu, wie Justin Timberlake als Elton-John-Doppelgänger mit aufgeklebten Siebziger-Jahre-Koteletten einer Backstage-Hölle voller Plattenfirmenfuzzis, Groupies und Presseheinis zu entfliehen versucht. Aus der Rock’n’Roll-Fraktion wurde dem Pop-Artisten John schon deshalb mangelnde Authentizität vorgehalten, weil er sich seine Texte jahrzehntelang von seinem Co-Autor Bernie Taupin schreiben ließ. Die großartige „Red Piano“-Show beweist nun: Mit größerer Schonungslosigkeit hat kaum ein anderer Superstar über sich Auskunft gegeben.

„Music Magic“ ist auf den Rücken des Fracks gestickt, in dem Elton John auf die Bühne schlendert. Es ist der Harry-Potter-Mantel eines musikalischen Magiers. Das Älterwerden ist seiner Stimme gut bekommen. Sie klingt nun dunkler und voller und verleiht so den Songs eine größere Tiefe. Begleitet wird der Sänger von einer fünfköpfigen Band, langhaarigen, in Ehren ergrauten Rockergesellen, die sich am hinteren Bühnenrand aufgebaut haben. Drummer Nigel Olsson ist schon seit 1969 mit John unterwegs. Nicht allen Stücken tut es gut, dass sie mit Boogie-Woogie-Läufen auf dem Piano oder aufheulenden Gitarrensoli ausgewalzt werden. Die letzten Lieder werden weitgehend inspirationsfrei runtergerockt. Das ist aber längst egal, denn zu diesem Zeitpunkt hat sich die Bühne bereits mit gigantischen aufblasbaren Frauenbeinen, Lippenstiften und Hotdogs gefüllt. Zu „I’m Still Standing“ pumpen sich phallische Bananen auf, ein etwas platter Gag. Der Wahnsinn, so viel steht fest, geht weiter.

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