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Konzertkritik: Howe Gelb im Admiralspalast

Es geht um die Liebe, um Schienenstränge, Reflexionen über ein Glasauge. Howe Gelb, bekannt durch seine Band "Giant Sand", trat wieder in Berlin auf - und wird von Mal zu Mal besser.

Man weiß vorher nie, was kommt, wenn Howe Gelb kommt. Immer sind seine Auftritte voller Überraschungen, Wendungen, unerwarteter Momente. 2006 hatte er in der Passionskirche mit großer Band und Gospelchor noch den smarten, weltlichen Rock 'n' Roll-Prediger gegeben. Diesmal pflegt er eine Art einsamen Beatnik-Boho-Stil: mit Trilby-Hut und knittrigem Second-Hand-Anzug.

Der Songwriter aus Tucson setzt sich, die etwa hundert Fans im kleinen Saal 101 vom Admiralspalast bilden einen andächtigen Halbkreis. Er düdelt Bluesiges auf der alten Gibson-Halbresonanzgitarre, bricht ab, brummelt Unverständliches, grinst seinen einzigen Begleiter an, der einen bizarr geformten, selbstgezimmerten Kontrabass zupft. Weich und jazzig. Gelb singt dicht am Mikrofon: leise, tief und knurrig, flüsternd fast, Sprechgesang mit den gemischten Stimmfarben von J.J. Cale, Leonard Cohen, Lou Reed.

Gerade erzählt er noch etwas über Mikrofone - er hat zwei davon, in die er abwechselnd singt: ein halliges und ein trockenes - und schon ist er in einem neuen Song, und auch schon wieder raus und in einem anderen Song, einer neuen Geschichte. Locker perkussives Fingerpicking, das zwischen Folk, Jazz, Blues, Ragtime und Boogie wandert. Variantenreich, lässig, ruhig. Und plötzlich knallt der Wüstenfuchs aus Arizona den klobigen Wanderstiefel auf ein Effektgerät, die Gitarre heult auf in doppelter Lautstärke, verzerrt und krächzig, zu ein paar Takten Heavy-Metal-Kreischen. Ein weiterer Stiefeltritt, und es ist, als wäre nichts geschehen: Klare, warme Gitarren-Läufe.

Gelb grinst. Es geht um die Liebe, um Schienenstränge, Reflexionen über ein Glasauge. Vermeintliche Weihnachtlieder mit Dylangenuschel. Ältere Songs von seiner Band "Giant Sand", und neue von deren letztem Album aus dem vorigen Jahr: "Provisions". Es gibt keine Setliste, und bei manchen spontan gewählten Stücken, die er offenbar länger nicht gespielt hat, muss Gelb überlegen, wie es weitergeht. Wenn er die Harmonien einer Bridge vergessen hat oder Texte, dann denkt er sich einfach etwas Neues aus. Was auch immer er tut, wenn er alten Songs aus dem unerschöpflichen Repertoire unerwartete Wendungen gibt, sein exzellenter Bassist folgt ihm überall hin, in jeden unvorhergesehenen harmonischen Ausreißer.

Gelb setzt sich an den Flügel, spielt bluesig jazziges Bar-Piano, singt ein paar Lounge-Balladen. Und es ist eine Freude, einmal erleben zu können, was für ein feiner Pianist er auch ist. Und wie hübsch er melancholisches Moll in strahlendes Dur wendet und wieder zurück. Dann Hut weg, Gitarre her. Boogie und Swamp Rock à la Tony Joe White, Soul, Heavy-Metal-Folk, charmant verschmitzter Humor und eine traumhaft umphrasierte Version vom alten Elvis-Hit "Can't Help Falling In Love". Howe Gelb wird von Mal zu Mal besser.

H.P. Daniels

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