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Tanzbär. Herbert Grönemeyer regelt den Schiffsverkehr im nicht ganz ausverkauften Stadionrund.

© imago stock&people

Konzertkritik: HRBRT! Grönemeyer gibt den Tanzbär

Breitbeinig bollert der Sound - die Texte kaum verständlich. Seliges Lärmknäuel: Herbert Grönemeyer rockt im Berliner Olympiastadion.

Ein leises Kopfschütteln. Dann noch eins, zwei, drei. Der Blick gefasst und selig. Ein Tränchen im Augenwinkel würde jetzt gut passen. Aber auch so hat jeder im Rund des Olympiastadions verstanden, was dieses Gesicht auf den großen Leinwänden zum Ausdruck bringen möchte: Der Meister ist gerührt, wirklich gerührt. Die Menge reagiert mit einer warmherzigen Jubelwelle, von der er sich zurück in den hinteren Teil der Bühne spülen lässt. Hier findet er schließlich die Worte wieder: „Es ist schon etwas außergewöhnlich Besonderes hier zu spielen,“ sagt Teilzeit-Berliner Herbert Grönemeyer zu Beginn seiner langen Zugabenrunde.

Deutschlands größter Rockstar in Deutschlands monumentalstem Stadion. Dass ihm dieses XXL-Format am besten taugt, wird an diesem warmen Sommerabend mehr als deutlich. Gleich zum Start knallt er die ersten drei Lieder seines aktuellen Albums hintereinander weg. Das breitbeinige Bollern und Röhren dieser Stücke, kann im Wohnzimmer eine ziemlich anstrengende Angelegenheit sein, im Stadion finden die Songs nun zu ihrer wahren Bestimmung. Selbst der seltsame Gothic-Touch von „Kreuz meinen Weg“ fügt sich plötzlich sinnvoll ins Bild. Auf jeden Fall stimmt der Druck. Und um den ging es dem 55-Jährigen ja bei „Schiffsverkehr“. Er wolle wieder unbeschwert losrocken wie in den Achtzigern, hatte er angekündigt. Und so schrubbt er zum Auftakt beim Titelsong programmatisch eine E-Gitarre.

Entsprechend krawallig ist der Sound. Auf den Tribünen kommt nur ein Lärmknäuel an, in dem Nuancen fast nicht auszumachen sind. Weder die dreiköpfige Background-Gesangsgruppe noch die vier Bläser, die gelegentlich an den Bühnenrand treten, sind klar herauszuhören. Weitgehend unverständlich bleiben auch die Texte, was bei den neueren Stücken sogar eher ein Vorteil ist, weil man so nicht ins Grübeln kommt über Zeilen wie „Monotonie ist wie ein Schuss ins Knie und weiter bringt sie einen nie“ oder „Ohne Regel kein Verkehr“. Und die älteren Sachen kennen hier sowieso alle auswendig, was Grönemeyer sich immer wieder zunutze macht, wenn er die rund 55 000 Fans ein paar Zeilen seiner Klassiker singen lässt.

Schon früh spielt er „Halt mich“, „Bochum“ und „Musik nur wenn sie laut ist“, das durch seinen Laut-leise-Aufbau viel Zug entwickelt. Sobald die Arrangements etwas reduzierter sind, funktioniert es auch klanglich besser, etwa wenn die Akustikgitarre in „Was soll das“ das Tempo vorgibt. Während dieses immer noch mitreißenden Achtziger-Hits zucken Blitze über den Berliner Himmel. Doch das Gewitter dreht wundersamerweise ab – bald flackern nur noch die Lichter der Showbühne, die ab der zweiten Konzerthälfte endlich richtig zur Geltung kommt. Im Hellen hatten die wie Schiffssegel angeordneten Leinwände ein wenig verloren gewirkt, genau wie die Scheinwerferaufbauten und die geschwungenen Laufstege ins Publikum.

Herbert Grönemeyer ist viel unterwegs, boxt in die Luft, gibt den Tanzbär, macht selbstironische Sprüche über sein Aussehen und sagt ein paar nette Sachen über seine Lieblingsfußball-Vereine (Bochum und Hertha). Und als er ein Gummibärchen platt tritt, pult er es liebevoll von der Sohle ab und klebt es anschließend auf sein Synthie-Klavier. Ja, er ist immer noch gut in der Rolle des Kumpeltyps aus dem Ruhrgebiet, der das Herz am rechten Fleck hat.

„HRBRT“ steht in großen weißen Buchstaben auf der hinteren Bühnenwand – als Gruß an alle, die ihm immer vorgeworfen haben, sein gepresster Gesang bestehe nur aus Konsonanten. Damit hat er trotzdem alle Westernhagens, Lindenbergs und Maffays weit hinter sich gelassen. So hält sein Album „Mensch“ aus dem Jahr 2002 mit über drei Millionen verkauften Exemplaren immer noch den deutschen Bestseller-Rekord, „Schiffsverkehr“ rauschte kurz nach seiner Veröffentlichung auf Platz eins der Charts. Von den zehn Stücken der Platte spielt Grönemeyer acht im Konzert. Die Ansage vor „Auf dem Feld“ nutzt er zu einem Statement gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan und bei „Deine Zeit“ spricht er kurz über Demenz – die Krankheit seiner Mutter. Die Ballade spielt er allein am Klavier, leider kommen noch Streicher aus der Dose hinzu – ein überflüssiger Geschmacksverstärker.

Ein toller Dreisprung gelingt Grönemeyer und seiner Band jedoch kurz vor dem Zugabenteil: „Alkohol“ verwandeln sie in einen Extra-Longdrink mit fiepigem Saxofon-Solo von Frank Kirchner, „Mensch“ groovt eckig und kurzzeitig im Reggaerhythmus und „Bleibt alles anders“ wird zur Hardrock-Hymne, bei der Grönemeyer am Ende schreiend an der Bühnenkante kniet. Großer Sport im Olympiastadion. Danach folgt noch fast eine Stunde lockeres Auslaufen im Laserlicht. Hrbrt wirkt glücklich, seine Fans auch. Selig machen sich alle auf den Heimweg.

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