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Konzertkritik: Imogen Heap im Lido

Imogen Heap spielt abwechslungsreiche Musik. Wenn sie immer wieder mal eine Piano-Ballade singt, ohne jegliche Effekte, nur Klavier und Gesang, erinnert sie mehr an Joni Mitchell als an die gelegentlich so nervensägigen Manierismen von Kate Bush oder Björk, mit denen sie so oft verglichen wird.

Imogen Heap ist eine hübsche große Frau mit fludrigen Haaren und einem schwarzen Kleid mit gefiedertem Kragen, kurzen Ärmeln, und einem Headset als Mikrofon, das sie unabhängig macht von starren Stativen und Standpunkten. So kann sie schon munter mit dem Publikum plaudern, während sie gerade erst die Bühne im Kreuzberger Lido betritt. Locker und ungezwungen, als begrüße sie ein paar alte Freunde zu einer kleinen Gesellschaft bei sich zu Hause. Mit einem Weinglas in der Hand.

Doch will sie niemandem zuprosten zum Empfang. Das großkelchige Glas ist das erste Musikinstrument des Abends - Tonerzeuger, Spielzeug - von den unzähligen, die noch kommen werden. Imogen reibt mit dem Finger über den Glasrand. Runde Bewegung, runder Ton: ein helles Quietschen, gläsernes Schreien. Doch scheint sie unzufrieden zu sein mit dem Klang: "Forget about the glass!" Sie trägt es wieder raus, so einen Ton könne sie ja schließlich auch anders erzeugen. Sie singt ihn einfach: wie schreiendes Glas. Nimmt ihn auf und verknüpft ihn in einer Endlos-Schleife mit ihren elektronischen Instrumenten. Sie singt eine kleine Melodie. Schichtet die eigene Stimme mehrmals übereinander zu einem ätherischen Chor, schachtelt Klänge ineinander, plingelt mit Glöckchen, hechelt Rhythmus dazu. Alles wiederholt sich, zieht Schleifen, wird immer dichter geknüpft, immer fester. Und dann ist es ein richtiger Song: "First Train Home", vom dritten und jüngsten Album "Ellipse". Mit Melodie und Poesie - einem verschlüsselten Text aus Leben und Alltag der 32-jährigen Londonerin.

Heap hatte klassisches Piano studiert, bevor sie ihre Leidenschaft für die schrägeren Klänge und für die elektronischen Spielzeuge entdeckte: Rhythmusmaschinen, Computer, Looper, Vocoder, Hall und Echos, Knöpfe, Schalter, Tastaturen. Wobei der Ursprung, der Ausgangspunkt, meistens ein natürliches Instrument ist. Stimme, Klavier – und da kommen noch ein paar Mitmusiker: eine Geige, eine Bratsche, eine elektrische Gitarre, drei Leute, die immer auch mal Glockenspiel und diverse Schlagzeuge bedienen.

Lässig läuft die Songschreiberin zwischen all ihren Geräten, den ganzen Instrumenten und ihren Begleitern hin und her, gibt freundliche Anweisungen, schichtet um, schachtelt neu. Und singt dabei immer weiter, als wäre es nichts. Gelegentlich erklärt sie auch mal etwas, wie es funktioniert. Oder warum gerade einmal wieder etwas nicht richtig funktioniert.

Zwischendrin setzt sie sich ans Piano, eine gläserne Konzertflügelattrappe mit elektronischem Inhalt, dessen aufgeklappter Deckel wie der transparente Flügel einer Libelle wirkt, so zart wie die abwechslungsreiche Musik der Imogen Heap auch manchmal sein kann. Wenn sie immer wieder mal eine Piano-Ballade singt, ohne jegliche Effekte, nur Klavier und Gesang, der mehr an Joni Mitchell erinnert als an die gelegentlich so nervensägigen Manierismen von Kate Bush oder Björk, mit denen sie so oft verglichen wird.

Und immer wieder beiläufige, freundliche Plaudereien mit den Fans. Die sie dann höchst charmant bittet, in drei verschiedenen Gruppen einen kleinen Chor unter ihren a-cappella-Gesang zu legen. Obwohl das keine einfache Aufgabe ist, klappt es ganz wunderbar, wenn statt Heaps geloopter eigener Stimme, die begeisterten Fans den Part übernehmen.

Ein Song heißt "Canvas": Wie auf eine Leinwand malt die Musikerin ihre Klanglandschaften. Erst vorarbeiten, grundieren, und dann entstehen darauf ganz eigene Farben und Formen. Imogen Heap versteht es trefflich, die Elektronik zu nutzen für einen warmen Ausdruck von Gedanken und Gefühlen. Beeindruckend und beglückend.

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