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Strenge Tanzmeisterin. Janet Jackson beim Dirigieren ihrer Truppen.

© Eventpress Hermann

Konzertkritik: Janet Jackson: Diamanten in dicken Stiefeln

Sportlicher Hit-Parcours: Bei Janet Jacksons einzigem Deutschlandkonzert im Berliner Tempodrom sind die Choreografien eindringlicher als ihre Stimme.

Wahrscheinlich könnte sie einem wirklich eine Menge erzählen. Wie es war im strengen Elternhaus, mit den sieben hochgedrillten und musikalisch hochbegabten Geschwistern, der Jehova-Mutter und dem Peitschentrainer-Vater. Wann und warum sie anfing, ihr Image von bravem Pop auf sexy und selbstbewusst umzukrempeln, vorsichtig Frauenpower referierte, sich mit „Got Till It’s Gone“ gar zu Joni Mitchell bekannte. Ob sie höchstpersönlich an diesem typischen, extrem rhythmusbetonten Sound mitgemischt hat, der in „Rhythm Nation“ seinen Höhepunkt fand, und ihre ohnehin zarte Stimme zuweilen überdeckte. Was wirklich hinter „Nipplegate“ steckte, der einen Sekunde, in der das fernsehende Amerika komplett aus den Fugen geriet, weil eine erwachsene Frau ihre nur mit einem Stern beklebte Brust aus dem Kostüm kugeln ließ. Und natürlich, ob sie etwas mit dem Justin Timberlake hatte, der damals in der Superbowl-Show für jene „Wardrobe Malfunction“ verantwortlich gewesen war, wegen der sie eine – später zurückgezogene – Zivilklage erhielt.

Aber vermutlich würde sie das alles weglächeln. Janet, die Jüngste der Jackson-Geschwister, die im Tempodrom ihre „No 1-Hits“ spiel fügt am Ende doch nur wieder ihre schönen Hände zu einem Herzen zusammen, die kitschigste aller Gesten, und ruft „I love you!“ ins Publikum. Wer’s glaubt … Irgendwie existiert doch in Wahrheit gar kein richtiges, intensives Verhältnis zu Michaels Schwester, die stets mehr durch ihren beeindruckend zackig-industriellen Tanzstil als durch Texte oder Arrangements aufgefallen wäre. Dabei sind manche Songs gerade in diesen Aspekten perfekt, das macht der Ritt über den Hit-Parcours deutlich: „What Have You Done For Me Lately“, produziert von ihrem langjährigen Lieblingsteam Jimmy Jam und Terry Lewis, war und ist schlaues, dröhnendes Tanzflächenfutter, „Nasty“ ohnehin, und fast hatte man das irre und wahnsinnig teure Video zum Michael Jackson-Duett „Scream“ vergessen, das mal wieder zeigt, wo Lady Gaga überall gespickt hat.

Beim nahezu ausverkauften Konzert wird es auf eine großen Leinwand hinter der Bühne projiziert, über die auch jede Menge Bilder, und vor allem Ausschnitte aus Jacksons Film- und Fernsehkarriere flimmern, Szenen mit Tupac Shakur und Sitcom-Kollegen. In diesen Film- und Fernsehpausen rennt Janet hinter die Bühne, vermutlich um Pilates zu machen oder Power Yoga. Topfit ist sie jedenfalls, wenn sie dann wieder an Deck kommt, durchgehend in schwarzem Oberteil, diesen klobigen Bundeswehrstiefeln, die sie immer trägt, und einer schwarzen engen Jeans mit eigenartigerweise herunterhängenden Diamantenhosenträgern, die an die Szene in „Wie angelt man sich einen Millionär?“ erinnern, in der Marilyn Monroe das erste Mal ein Diadem sieht, und erfreut sagt: „I love finding new places to wear diamonds!“ Bei den anderen beiden Tänzerinnen, wie die vier männlichen Tänzer in scheußliche Jeansfetzen gehüllt, hebt und senkt sich der Brustkorb nach den Moves jedenfalls viel mehr als bei Tanzprofi Jackson, obwohl die ja auch noch singen muss.

Aber nicht besonders laut, und das ist auch der Grund, warum sie zuweilen seltsam aseptisch wirkt. In ihrer Stimme ist kaum einmal eine persönliche Färbung auszumachen, die die mit Elektronik und Keyboardteppichen zugemüllten Songs in eine emotionale Erfahrung verwandeln könnte. Ihr dünnes, gerades, tonhöhenfestes, in den Balladen immer wieder an Michael Jackson erinnerndes Organ ist selten eindringlich. Ihre ausgefeilten, durch wuchtige Massenszenen wirkenden Choreografien sind es dagegen. Vor allem aber der Beat, der tatsächlich aus einem einzigen Schlagzeug zu kommen scheint, hinter dem ein wahnwitzig guter Schlagzeuger sitzt.

Beim zuckrigen Balladenteil muss er sich zurückhalten, das Publikum auch. Es geht kollektiv Bier holen und im Untergeschoss wegbringen. Man freut sich lieber auf den nächsten Rhythmus: Die Rhythm Nation Berlins besteht aus Zehennagellackträgerinnen mit eindrucksvollen Schuhen, die mit goldenen Bändern bis zu den Waden hochgebunden sind, und Männern, die aussehen, als wären sie Friseur bei „DSDS“. Alle grooven mit, manche können sogar ihre Schultern fast so markant zucken lassen wie Miss Jackson, die eigentlich eine Misses ist. Noch besser als die Schultern kann Misses Jackson mit den Beinen wackeln, sie scheint überhaupt keine Knochen im Oberschenkel zu haben, dafür ausschließlich Muskeln. Das lernt man nicht im Gratis-Schnupperkurs „Street Dance“, dazu gehört eisenharte Disziplin. Am Ende kreischt das Publikum bei „If I Was Your Girl“ über eine fast schon rührende Onanie-Andeutungsgeste Janets, als wären wir in den prüden USA. Die Band inklusive dreier harmonischer Sängerinnen wird ebenso frenetisch beklatscht wie die Bilder von Michael und Janet aus den Siebzigern – schöne, lächelnde Kinder mit glänzenden Augen. Die Augen sind auf dem letzten Hochglanzfoto von Michael und Janet tatsächlich noch die gleichen. Der Rest ist neu.

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