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Konzertkritik: Jonathan Richman: Melancholie ist die beste Medizin

Traurige Lieder halten jung: Jonathan Richman begeisterte im Festsaal Kreuzberg.

Man könnte meinen, er hätte eine Wette verloren: Beim Support-Auftritt von Susanne Piesker sitzt Jonathan Richman mit seiner akustischen Gitarre ziemlich verloren im Bühnenhintergrund. Schwer vorstellbar, was er zu den an die Achtziger-Jahre-Geißel Kristiane Allert-Wybranietz erinnernden Betroffenheitspoemen der seltsamen Liedermacherin beisteuern könnte. So lässt er die Gitarre ratlos schweigen und sieht dabei zum ersten Mal so alt aus, wie er tatsächlich ist: 57 Jahre.

Doch seine restjugendliche Ausstrahlung kehrt sofort zurück, als er eine halbe Stunde später mit seinem Drummer Tommy Larkins zurückkommt und den schelmischen Instrumental-Hit „Egyptian Reggae“ anstimmt. Der Funke springt im rappelvollen Festsaal Kreuzberg sofort über und trägt Jonathan Richman auf einer Welle der Begeisterung davon. Er revanchiert sich mit hinreißenden Variationen von Klassikern und jüngeren Stücken.

Aus dem Repertoire einer über 35-jährigen Songwriterkarriere kann er zwar nur Auszüge vorstellen, aber es dürften für jeden ein paar Lieblingslieder dabei sein. Vielleicht die gelallte Meditation über „Pablo Picasso“ und seine Wirkung auf Frauen oder „No one was like Vermeer“ mit seiner Lobpreisung des gleichnamigen Malers, die einem sofort Laune macht, mal wieder in die Gemäldegalerie zu gehen. Oder sein mit extrabreitem Ami-Akzent gesungenes Französisch in „The Lovers are here and they‘re full of sweat“, auf das er in dem selbstironischen „My affected Accent“ indirekt nochmals Bezug nimmt.

Richmans Texte durchweht oft die Melancholie desjenigen, für den sich die Welt viel zu rasant verändert („Old World“) und der sich den vermeintlichen Erfordernissen der Gegenwart nicht anpassen mag („You can have a Cell Phone that‘s OK but not me“). Und obwohl sich dieses Gefühl noch in Habitus und Minenspiel niederzuschlagen scheint, ist seine Wirkung doch das schiere Gegenteil: Wonnige Heiterkeit ist der Normalzustand nach einem Jonathan-Richman-Konzert.

Was auch an der Musik liegt: Die hat sich im Laufe der Jahre von einer Feelgood-Variante des Velvet-Underground-Krachs zu einer archetypischen Einfachheit und Eingängigkeit entwickelt, der nichts Einfältiges anhaftet. Reduziert auf akustische Gitarre und karges Getrommel entfalten die Stücke einen Drive, dem man sich kaum entziehen kann. Bei „Springtime in New York“ schlawinert Richman ein kleines Solo zusammen, dessen anrührendes Fake-Virtuosentum all die breitbeinigen Gitarren-Aufschneider des Rock bloßstellt.

Nach anderthalb Stunden gibt‘s als Zugabe eine ins Jonathan-Richman-Idiom übertragene, ergo gute Laune verbreitende Coverversion von Leonard Cohens „Here it is“, komplett erst mit Larkins‘ pseudomürrischem Trommelsolo („Tommy, play something on the Cymbals!“ – „What?“) und hinreißender Tanzeinlage des sympathischsten Liedermachers seit Erfindung der Gitarre.

Jörg W, er

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