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Konzertkritik: Kante: Mal die Klappe halten

Auch instrumental noch intellektuell: Als Kante in der Volksbühne mal ganz ohne Gesang auftreten wollten.

Man wird die Volksbühne als Austragungsort von Popkonzerten in den kommenden Monaten vermissen. Wo sonst fände eine Vorgruppe wie die Ghost Bees, ein bezauberndes, von den Zwillingsschwestern Romy & Sari Lightman gebildetes Folk-Duo aus dem kanadischen Halifax, ein dermaßen ergriffen lauschendes Publikum? Einen Ort, wo der zarte Vortrag der zweistimmig gesungenen Balladen nicht durch Quatschen, Rumgerenne oder das in den meisten Berliner Konzertlocations übliche Bargelärme gestört wird? Erst die festliche Aura des Theaterraums schafft die nötige Konzentration für solche Kleinode.

Sie passt auch ausgezeichnet zur Hauptband: Kante aus Hamburg haben sich für den Volksbühnen-Ausstand etwas Besonderes ausgedacht. Ein rein instrumentales Set kündigt Bassist Peter Thiessen an, schließlich könne man auch als Diskursrock-Band mal die Klappe halten. Zwar wird das Konzept schon im Opener „Moon, Stars & Planes“ über den Haufen geworfen, weil Thiessen ein paar Zeilen auf Englisch singt. Aber sein tonloses Nuscheln darf als ergänzende Klangfarbe gedeutet werden. Wie kaum eine zweite Band bündeln Kante mäandernde Texturen und Ausflüge in reine Klangmalerei zu organisch groovenden Songs. Das verbindet lässig die Postrock-Abstraktionen von Tortoise mit dem Kammerpop der späten Talk Talk und dem Groove einer Jazz-Bigband. Unterstützt durch die voluminöse Posaune von Rainer Sell und das quirlige Saxofon von Carsten Netz, interagieren die fünf Kante-Mitglieder auf höchstem Niveau: Thiessens grabestiefes Kontrabass-Fundament wird durch die Gitarrenschraffuren von Felix Müller und Florian Dürrmann und Thomas Leboegs minimalistische Pianofiguren unterspült, während Schlagzeuger Sebastian Vogel die Verhältnisse zum Tanzen bringt.

Den Diskursrock können sie aber nicht lassen: Selbst instrumentale Songs kommen bei Kante nicht ohne intellektuellen Überbau aus. Sie handeln vom Sieg der kommunistischen Weltrevolution („New Babylon“) oder sind Hommage an einen James-Bond-Bösewicht („Baron Samedi“). Und wenn der Schauspieler Felix Goeser in „Der Engel der Verzweiflung“ Passagen aus Heiner Müllers gleichnamigem Theaterstück rezitiert, kann das bildungsbürgerliches Getue auch nerven. Zum Glück verflüchtigt sich jeder Klugscheißer-Verdacht schnell wieder, weil die Musik im Zweifelsfall eher nach geschmackvollen Krimi-Soundtracks aus den Sechzigern klingt. Am Ende singt Peter Thiessen Verse aus einem alten Stück von Billie Holiday. Seine erkältungsheisere Stimme wird umhüllt vom schwächer werdenden Pulsieren einer Klangmembran, mit der Kante das Konzert nach anderthalb Stunden zu einem ergreifenden Finale bringen.

Jörg W, er

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