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© AFP

Konzertkritik: Lily Allen: Zuckersüß und garstig

Am Abend nach ihrem Geburtstag singt Lily Allen im Postbahnhof unbequeme Wahrheiten für Jungs, die's im Bett nicht bringen.

Normalerweise ist man als Konzertbesucher wenig begeistert, wenn der Protagonist nicht in Bestform ist. Bei Lily Allen wäre man fast enttäuscht, wenn es anders wäre. Am Tag vor ihrem ausverkauften Auftritt im Postbahnhof wurde die Britin 24, und es wäre ja wohl noch schöner, wenn die Hauptvertreterin des partygeilen „New Ladyism“ wegen schnöder Tourverpflichtungen keinen draufmachen dürfte. Zumal man den stimmlichen Substanzverlust kaum bemerkt.

Allen, die in einem ausgeleierten, ärmellosen T-Shirt der Südstaatenrocker Molly Hatchet gänzlich unglamourös aussieht, hat einen Haufen astreiner Popsongs im Ärmel, deren Stärken neben ausgeprägter melodischer Eingängigkeit vor allem in einer wunderbar aufsässigen „Ihr könnt mich mal“-Haltung liegen. Und dafür braucht Lily Allen nicht das Stimmvolumen einer Amy Winehouse oder Duffy.

Ob sie die vierköpfige Begleitband braucht, sei dahingestellt. Oft hat man den Eindruck, dass der Flow der Stücke durch deren überambitioniertes Muckertum eher leidet, wobei sich besonders der Drummer mit brachialem Gebolze negativ hervortut. Andererseits muss man anerkennen, dass das Quartett auch komplexe Breakbeat-Passagen wie in „Back to the Start“ oder die akustischen Arrangements von „Littlest Things“ und „Chinese“ mit Bravour meistert.

In dem knapp 70-minütigen Programm gibt es durchaus Leerlauf, aber auch etliche Höhepunkte. So ist „Fuck you“, die an den ehemaligen US-Präsidenten adressierte Krawallhymne mit ausgestrecktem Mittelfinger, textlich zwar noch dem standardisierten Bush-Bashing der letzten Jahre verhaftet, aber ein Stimmungshighlight mit hohem Mitmachfaktor.

Am besten ist Lily Allen, wenn die Songs von persönlichen Erfahrungen befeuert sind. So besitzt „It‘s not fair“, die saftig groovende Schmähung der sexuellen Inkompetenz männlicher Liebhaber, hohes Identifikationspotenzial unter ihren weiblichen Fans.

Als Zugabe, für die sich Lily Allen mit einem halb durchsichtigen Etwas sogar ein wenig schick gemacht hat, bringt sie „Smile“: Ihr größter Hit ist ein garstiges „Ich will dich leiden sehen“-Nachtreten in Richtung eines Ex-Freundes, garniert mit zuckersüßem Kieksgesang und schunkeligem Ska-Rhytmus. Dem folgt noch eine Ballermann-Version von Britney Spears‘ „Womanizer“ – Gruß an eine Krawallschwester im Geiste.

Am Merchandising-Stand kann man nachher Taschenaschenbecher mit Gravur kaufen. Kaum vorstellbar dass ein unartiges Mädchen wie Lily Allen, die im rauchfreien Postbahnhof natürlich Kette qualmt, so etwas Albernes benutzen würde.

Jörg W, er

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