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Zentrum des Orkans. Win Butler im Tempodrom. Foto: Britta Pedersen/dpa

© dpa

Konzertkritik: Mit Vollgas über die Stadtautobahn

Stadionrock in der Halle: Arcade Fire geben ein umjubeltes Konzert im Berliner Tempodrom.

Der Indie-Rock ist in der Krise. Er „riecht schon ein bisschen komisch“, wie Albert Koch in der aktuellen Ausgabe des „Musikexpress“ schreibt. Denn der große Aufschwung des Genres mit starken Alben von Bands wie Franz Ferdinand, The Strokes, Bloc Party, Maxïmo Park und Kaiser Chiefs ist definitiv vorbei. Eine der wenigen Ausnahmen kommt aus Montreal: Arcade Fire, die mit ihrem Debüt von 2004 viel zur damaligen Euphorie beitrugen, haben gerade ihr umjubeltes drittes Album „The Suburbs“ herausgebracht.

Bei ihrem Konzert im ausverkauften Berliner Tempodrom beweisen sie, dass sie derzeit die unangefochtenen Weltmeister des Indie-Rock sind. Überwältigung von der ersten bis zur letzten Minute heißt das Programm. Dass hier eine ganz große Nummer abgezogen wird, signalisiert schon das imposante Gemälde im Bühnenhintergrund. Es zeigt eine einsame Straßenlaterne und zwei sich kreuzende Stelzenautobahnen – eine Anspielung auf die Vorstadttristesse, von der das neue Album handelt. Legt sich dort die besungene Eintönigkeit immer wieder lähmend über die Songs, herrscht live eine vibrierende Dauerspannnung.

Mit „Ready to start“ gibt die neunköpfige Gruppe das Tempo vor. Angetrieben vom Doppelschlagzeug und einem in den Vordergrund gemischten Bass prescht sie unwiderstehlich voran. Die nächste Attacke folgt sofort in Form des „Month of May“ – ein schreckliches Stück Beamtenpunkrock, das zum Glück schnell verpufft und den Weg freimacht für eine dramaturgisch geschickt aufgebaute Show von größter Perfektion.

Der Sound ist hervorragend. Selbst die drei Geigen bleiben erkennbar in dem Inferno, das die Band immer wieder entfesselt. Bei allem Dräuen, Donnern und Drängen bläst sie ihre Lieder nie zu sehr auf. Die Grenze zum Bombast ist stets in Sichtweite, doch überschritten wird sie nie. Nach einer halben Stunde Hochenergie-Rock nehmen Arcade Fire mit „Modern Man“, erstmals den Fuß vom Gaspedal. Ein transparentes Arrangement und eine gedämpfte Rhythmusgitarre, die an Tom Petty erinnert, geben Raum zum Durchatmen.

Die Bandmitglieder wechseln ständig zwischen den Instrumenten hin und her. Sänger Win Butler spielt Gitarre, Bass und Klavier, seine Frau Régine Chassagne Schlagzeug, Akkordeon und Klavier. Der Drummer darf auch mal an die Gitarre, und der zweite Gitarrist rennt innerhalb eines Songs von den Keyboards hinter das Schlagzeug. Dabei bleibt das musikalische Niveau immer hoch. Bei „The Suburbs“, Titelsong des Albums, setzt sich Win Butler ans Klavier und Régine Chassagne schlägt wieder synchron mit Drummer Jeremy Gara den Takt. Er ist das beste Stück der Platte und erstrahlt auch hier in seiner ganzen melancholisch Leuchtkraft. Das gilt ebenso für ältere Stück wie „Neighborhood #1 (Tunnels)“ oder „Intervention“.

Nur zwei Zugaben spielen Arcade Fire an diesem 90-minütigen Konzertabend: Régine Chassagne singt das Blondie-trifft- ABBA-hafte „Sprawl II (Mountains beyond Mountains)“ und dreht sich dazu in ihrem schwarz-weißen Glitzerkleidchen wie ein kleines Mädchen in der Bühnenmitte. Es ist nur der Auftakt des finalen Paukenschlags, für den tatsächlich noch eine zusätzliche Bassdrum hereingeschoben wird: Die Band spielt „Wake Up“ von ihrem Debütalbum „Funeral“ und tausend Kehlen singen „Wohoho“. Kein Wunder, dass „Wake Up“ ein Lieblingslied von Bono ist. U 2 ließen die Hymne oft vor ihren Shows laufen. Inzwischen sind Arcade Fire bereit, die Iren aus den Stadien zu verdrängen. Nadine Lange

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