zum Hauptinhalt
Neil Young

© Davids/Domanski

Konzertkritik: Neil Young: Der Schmerztherapeut

Laut, hart, gewaltig: Neil Young lässt die Berliner O2-World vibrieren.

Da verbarrikadiert er sich also im Studio. Nimmt ein Album auf, das aktueller nicht sein könnte mit seiner ökologischen Vision von stromgetriebenen Straßenkreuzern und dem Grabgesang auf die Motorstadt Detroit samt insolventer Automobilriesen – und dann spielt er keinen einzigen Song von „Fork in the Road“. Wundert sich also auch nicht, wo das Geld geblieben ist, das er für sich und vor allem seinen behinderten Sohn angelegt hatte („Where did all the money go / Where did all the cash flow?“). Will nicht, dass man ihn mit der Feststellung hört, dass „einen Song zu singen, die Welt nicht verändert“. Warum nur behält er all das mal wieder für sich?

Neil Young ist ein Mann von eigenem Format und für seine Umwelt eine schwere Prüfung. Mit Schaudern denkt man an die achtziger Jahre zurück, als sein Frust darüber, sich mit seinem Sohn Ben nicht verständigen zu können, in eine Reihe unzugänglicher Alben und Auftritte mündete. So schlimm ist es nicht mehr, aber man weiß nie, woran man bei ihm ist. Wer von den Anwesenden in der gut besuchten, aber keineswegs ausverkauften O2-World zur Vorbereitung im Internet die Setlists seiner Tour studiert hatte, durfte sich auf ein gediegenes Evergreens-Konzert gefasst machen. Das hätte immerhin zur ersten Veröffentlichung seiner breit angelegten „Archives“-Serie gepasst, mit der Young nach Jahren des Sich-Zierens nun seine Bestände öffnet (Volume I, 1963 – 972).

Doch dann sträubt sich der Mann auch gegen die Selbstarchivierung. Die Electric Band, die aus altgedienten Weggefährten sowie seiner Ehefrau Pegi besteht, hat allerlei Kram auf der weitläufigen Bühne verteilt. Darunter einen langsam rotierenden Ventilator, ein Indianer-Totem, ein rotes Telefon. Im Hintergrund, verborgen von Verstärkern, hantiert ein Maler an Leinwänden. Zu sehen ist das Ergebnis dieser Rockinspiration nicht. Es spielt auch keine Rolle in dem Lärminferno, das mit den Akkorden von „All Along The Watchtower“ auf die Menge niederfährt. Da sind sie plötzlich, die Manager und Machthaber, die sich von anderer Leute Schweiß ernähren. Und als ob das als Unmutsäußerung nicht schon genügte, rollt Young dem verdutzten, in Schockstarre verharrenden Publikum gleich noch den nächsten Koloss entgegen: „I read the news today oh, boy“, singt er die Beatles-Zeilen aus „A Day In The Life“: „A crowd of people stood and stared.“ Die symphonisch anschwellende Dramatik des „Sgt. Pepper’s“-Songs übersetzt Young in E-Gitarren-Gebratze, das an Brutalität seinesgleichen sucht.

Für diesen vibrierenden, berstenden Klang wurde das Wort Grunge erfunden: Schmutz. Als sich Young mit geöffnetem Hemd und im Ventilatorwind zerzausten Grauschopf über sein Instrument beugt, ihm explodierende, wegbrechende Töne entreißt, ahnt man, dass etwas Schreckliches passiert sein muss in der Welt. Neil Young ist der Bote des Schreckens.

Beinahe profan dengelt nach dem brachialen Auftakt das konventionelle „Mansion On The Hill“ dahin. Auch wird die seichte Country-Weise von dem ehrlichen Mädchen eingeschoben, das in einem Diner bedient und auf den „magischen Kuss“ wartet. Ach, Neil, sie hängen ihm nach, all die Zurückgelassenen auf dem desert highway.

Young wird dieser zahmen Seite seines Werks mit derselben Hingabe gerecht, wie er die Gewaltorgie gleich darauf wieder vorantreibt. Mit keinem Wort werden die Geschehnisse im Iran oder sonstwo erwähnt. Young spricht nicht. Er ist laut und sehr sehr hart. In einer Art Schmerztherapie stapft der 63-Jährige über seine Effektgeräte, als wären es glühende Kohlen. Mit jedem Ton sagt er, dass seine Musik ohnehin wichtiger ist als alles, was er sagen könnte. „I sing a song“, heißt es einmal, „I know that some of you don’t understand.“

An diesem Abend brennt dem Hippie und Vietnamkriegsprotestler eine Sicherung durch und man ahnt, dass sich dank Neil Youngs Gitarrenschamanismus so etwas wie ein morphisches Schlupfloch öffnet, ein Kanal für kollektives Leid. Absprachen mit seiner Band scheint es nicht zu geben. Oder sie werden kurzerhand über den Haufen geworfen. Die Begleitmusiker an Gitarren, Bass und Keyboards wissen oft erst, was kommt, als Young es bereits spielt. Mit Handzeichen dirigiert er die deshalb etwas zu devoten, wenn auch ungemein pointierten Mitstreiter durch das Labyrinth. Tief im Innersten muss er beschlossen haben, das Konzert nur einem Zweck zu widmen: das Grundstürzende seiner Gitarre auszuloten.

Kaum ein Popmusiker besitzt so viel Sinn für tragische Konstellationen wie er. In einer Traditionslinie mit Aischylos’ „Persern“ werden Tod, Verzweiflung und Ratlosigkeit oft aus der Perspektive der Unterlegenen besungen, wird die Empathie an ihrer Sollbruchstelle belastet. „They killed us in our tepee“, heißt es in „Pocahontas“, und im Nerven zerreibenden „Cortez The Killer“ kommen die Schiffe des Eroberers über den Ozean auf uns zugesegelt, auf die Kinder von Montezuma. Das Stück ist, wie Young es noch immer spielt, ein gewaltiges Gemälde des Untergangs. Es bezieht seine Kraft aus der Trägheit, mit der die Gitarre immer heftiger aufbegehrt. Kommen die Schiffe nicht näher? Müsste man nicht endlich was unternehmen, zumindest Furcht empfinden? Youngs drängende Lärmwalze, in die wunderschöne Melodien eingebrannt sind, spannt die Lust an der Aggression mit dem innigen Bedürfnis nach Ruhe zusammen. So stellt „Cortez The Killer“ den Höhepunkt einer Konzertdramaturgie dar, die sich bei aller Irritation zu Beginn als erstaunlich schlüssig erweist. Aus seinem unerschöpflichen Repertoire fischt Young Songs heraus, in denen es ums Sterben geht. Sei es, dass mit „The Needle And The Damage Done“ der Heroin-Song schlechthin als Menetekel aufglimmt oder mit „Tonight’s The Night“ der Tod seines Roadies besungen wird. Oder sei es, dass Young sein Publikum noch einmal zu der Stelle am Fluss führt, wo er sein „Baby“ erschossen hat.

Große Konzertabende schenken einem Erkenntnisse, die man gar nicht mehr machen zu können glaubte. Youngs Berliner Gastspiel war ein solcher. Dieser selbsterklärte Goldschürfer meint es ernst mit seiner Suche nach den edlen, unverdorbenen Charakteren und unbekannten Helden. So offenbart das furiose Wüten sein humanistisches Herz.

Am Ende übergibt Neil Young seinem Assistenten die zerschrotete Gitarre. Keine Saite ist mehr heil. Der mitleidige Blick des Roadies sagt alles. Er schüttelt den Kopf.

Neil Young, Archives Volume I, 1963- 1972, 8 CD-Box, erschienen bei Warner.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false