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McCartney

© dpa

Konzertkritik: Paul McCartney: Ein Abend im Leben

Nostalgie mit Feuerbällen: Paul McCartney singt und plaudert in der Berliner O2-World.

Pulverdampf zieht durch die Halle, als die ersten Akkorde der Alles-wird-gut- Hymne erklingen. Ein feiner Schwefelgeruch hängt in der Luft, übrig geblieben vom Feuerwerk, mit dem der James- Bond-Titelsong „Live and Let Die“ zelebriert worden war. Jetzt aber sitzt Paul McCartney am Flügel, mit sanfter, leicht brüchiger Stimme intoniert er Trostverse: „When I find myself in times of trouble, mother Mary comes to me / Speaking words of wisdom, let it be.“ Von Feuerbällen und Vernichtungsfantasien in Sekundenschnelle auf Tamburingeraschel und Erbauungslyrik umzuschalten, das ist eine Kunst, die nur große Entertainer beherrschen. „Let It Be“, eine der abgenudelsten Nummern der Popgeschichte, wirkt plötzlich wieder herzerweichend. Am Ende steht McCartney hemdsärmelig an der Rampe und dirigiert die „Na Na Na Nanana“–Chöre zu "Hey Jude", die ihm entgegenschallen.

Paul McCartneys Konzert in der Berliner O2-World gerät zum umjubelten Triumph. Kitschmomente gehören dazu, aber der ewige Beatle bedient nicht bloß die Nostalgie. Er spielt „Drive My Car“, „Obladi- Oblada“ und „Back in the USSR“, zwischendurch aber auch Songs von den Wings und zwei Stücke seines aktuellen Elektrorockprojekts The Fireman, energiegeladenen Semiavantgardekram, der den meisten der 17 000 Zuhörer fremd sein dürfte. Auf der gigantischen Videoleinwand über der Bühne erscheinen dazu halbabstrakte Pinseleien aus der Hand des Sängers.

McCartney ist jetzt 67 Jahre alt, wirkt aber vitaler denn je. Jahrelang gab er den Weltmeister im Nettsein und kämpfte gleichzeitig verbissen um Anerkennung. Dass John Lennon von vielen Fans und Kritikern für das größere Genie gehalten wurde, fand er ungerecht. Doch als er um die Jahrtausendwende bei einigen Beatles- Klassikern die Autorenzeile „Lennon/McCartney“ in „McCartney/Lennon“ zu ändern versuchte, wurde ihm Denkmalschändung vorgeworfen. Und nachdem er dann mit dem Scheidungskrieg gegen seine dritte Ehefrau Heather Mills für Schlagzeilen in der Yellow Press gesorgt hatte, galt McCartney künstlerisch bereits als erledigt.

So feiert Sir Paul nun mit seiner – ein netter Titel – „Good Evening“-Tour die Wiederauferstehung. Der Abend beginnt – roll up, roll up – mit dem polternden Schlagzeug und den frenetischen Backgroundchören der „Magical Mystery Tour“. Ein Trip in die Vergangenheit, der schnell in Fahrt kommt. McCartney trägt einen dunkelblauen Anzug mit Bügelfalten und Stehkragen, eine maßgeschneiderte Reminiszenz an die Band- Uniformen, in denen die Fab Four in den Zeiten der „Beatlemania“ auftraten. Begleitet wird er von einer vierköpfigen, äußerst druckvollen Band, die er während des ganzen, knapp dreistündigen Konzerts nicht vorstellen wird.

Dabei ist McCartney durchaus in Plauderstimmung. „Wie geht es euch, alles dufte?“, fragt er, radebrechend die Deutsch-Kenntnisse aus seiner Zeit am Hamburger Star-Club reaktivierend. Hübsch auch die Anekdoten. Wie die Beatles an einem Freitag ihr „Sgt. Pepper’s“-Album veröffentlichten und wie Jimi Hendrix es bei einem Konzert am Sonntag bereits nachspielen konnte. McCartney, noch immer ergriffen: „Wie cool ist das denn?!“ Wenn er seinen Bass gegen eine Gitarre austauscht, hält er das Instrument einen Moment lang so in die Luft, als wolle er es gleich ins Publikum schleudern. Mit derlei Bühnenclownerien, für die er berüchtigt ist, hält er sich ansonsten zurück. Nur gelegentlich hampelt er hinter dem Mikrofonständer herum oder kratzt sich verlegen das Haar.

Für „The Long and Winding Road“ setzt sich Paul McCartney zum ersten Mal an den Yamaha-Flügel, die Streicherbegleitung kommt vom Synthesizer. Streicher und Bläser sind bei dieser Tournee bedauerlicherweise aus Kostengründen wegrationalisiert worden, umso erstaunlicher, dass an dieser Stelle überhaupt Streicher vorgesehen waren. Schließlich ist McCartney einst juristisch gegen Lennon zu Felde gezogen, weil er das „Let It Be“-Album ohne sein Wissen vom Produzenten Phil Spector hatte pompös nachbearbeiten lassen.

Der jahrelange Streit nach der Auflösung der Beatles ist vergessen, heute tut McCartney nur eines leid: dass er Lennon, dem 1980 erschossenen Mitstreiter, nicht gesagt habe, dass er ihn liebe. „If You Were Here Today“ heißt das Lied, das er für ihn singt, ein fiktiver, reichlich sentimentaler Dialog. Es wird ein Abend der Hommagen und Abschiede. Seiner Frau Linda, die 1998 starb, widmet McCartney den Wings- Song „My Love“. Und für den 2001 gestorbenen George Harrison spielt er „Something“, zunächst auf einer Ukulele, dann – ein großartiger Moment – kommt die ganze Band dazu. Frank Sinatra nannte das Harrison-Stück „das schönste Liebeslied der letzten fünfzig Jahre“ und kündigte es bei seinen Konzerten stets fälschlich als „Lennon-McCartney-Komposition“ an.

Paul McCartney hat, anders als John Lennon, nie unter Schreibblockaden gelitten. Als Lennon nach dem Tod des Beatles-Managers Brian Epstein in eine Depression fiel, lieferte McCartney die Songs für die „Magical Mystery Tour“. Zum Œuvre von Sir Paul gehören hunderte von Kompositionen, mehrere Dutzend davon sind zu modernen Volksliedern geworden. „Blackbird“, dieses zerbrechlich zarte Lagerfeuerliedchen, spielt er in der O2-World ganz allein an der Akustikgitarre. Weitere Höhepunkte: die Fünfminutensinfonie „A Day in the Life“ und „Band on the Run“ von den Wings, das sich vom Synthie-Intro zum Rockmonster zur Folkpopnummer verwandelt. McCartneys Abschiedsworte: „Tschuhuss, machts good!“

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