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PJ_Harvey

© Universal

Konzertkritik: PJ Harvey: Die Trauertänzerin

Nichts zum Mitsingen. Fast nichts zum Mittanzen. Aber hammerhart und zauberschön: PJ Harvey im Berliner Astra Kulturhaus.

Das kommt davon. Da hast du, sei ehrlich, die laute, wilde, frühe PJ Harvey überwiegend geschwänzt, die "Hammerbraut", wie ein Freund sie in einem Wort nennt, weil du ja schon diese anderen Hammerbräute und Hausheiligen im sachte einstaubenden CD-Regal hast, Patti (Smith) und Courtney (Love) zum Beispiel, und jetzt das. Schleichst dich ins Berliner PJ Harvey-Konzert, weil du den einen oder anderen und bestimmt auch den dritten "White Chalk"-Titel hören willst, der deinem altersbedingt etwas melodiöseren Melancholiebedürfnis so bezaubernd entgegenkommt, diese engelhaft herbeiflirrende Stimme und dazu die irrwitzigst herbeigeklimperten Harmonien, und jetzt das. Hast das Konzert letztes Jahr im Friedrichstadtpalast versäumt, wo Polly Jean genau dies Zauberzeug zum schönsten Besten gegeben haben soll, allein am Klavier und ab und zu die Drum Machine dazu und sonst gar nichts. Naja, und jetzt das.

Du hättest es dir denken können, schon als der lustig bebrillte Gitarrist Howe Gelb aus Tucson/Arizona inmitten eines beträchtlichen Equipments das Vorprogramm im neualt vergammelten Astra Kulturhaus bestreitet, mal mit Zupf- und vor allem mit Brüllblues. Da erwarten also allerhand Mikros allerhand Leute und statt eines Klaviers steht seitab das, ach, nicht von PJ Harvey zu bedienende Keyboard. Da ahnst du, dass eine Hammerbraut heute abend am Start sein würde und sonst gar nichts, abgesehen natürlich von ihrem Uralt-Mitstreiter und Produzent und Compositeur John Parish und drei ausgesucht vorzüglichen eher seriösen Herren am klassischen Rockzock-Instrumentarium: Bass, Stromgitarre und ein Schlagzeug, das so diszipliniert wie dauerexplosiv zeitweise gar mit Paukenschlägeln bedient werden würde. Und mittendrin, nicht zu vergessen, das irrste Instrument: ihre Stimme.

Und, hey, natürlich spielen sie kein einziges Stück aus "White Chalk", wie auch, kann man denn wispern mitten im Wahnsinnssound dieses Abends? Und sie spielen auch nix ansatzweise Zarteres, das PJ Harvey ja auch schon in früheren Jahren drauf hatte, irgendwas Schönes aus "To Bring You My Love" zum Beispiel, das deinem gelegentlichen I-Pod-Rumträumbedürfnis entgegenkommt. Aber hey, das ist hier heute nix für deine Ohrstöpselchen, sondern das fettere Programm vom allerneuesten Album "A Woman A Man Walked By", das Polly Jean komplett mit John Parish aufgenommen hat, und dazu allerhand hammerharte Sachen von "Dance Hall At Louse Point", das haben sie schon 1996 gemeinsam eingespielt und das hast du nun ganz bestimmt nicht im CD-Regal. Und dann geht dort vorne das trockenste Gewitter der Welt los, und du bist total hingerissen!

Gib's zu: Es liegt auch an der Erscheinung dieser Sängerin, die du noch nie, nie, nie live gesehen hast, und sie ist ziemlich genau so zurechtgemacht wie die PJ Harvey aus dem berückenden Video zu ihrem "A Woman A Man Walked By"-Opener "Black Hearted Love", das die Firma Youtube freundlicherweise immer noch führt. Also: Dasselbe schwarze Glockenärmelkleidchen und vielleicht auch die Finger- und Fußnägel so schwarz lackiert wie die Lippen rot, nur die Hüpfburg für die Zauberfee mitten im Nachtzauberwald musst du dir wegdenken, die Zeitlupe und den Wunderregen. Und sogar barfuß soll sie auch den ganzen Abend da oben unterwegs sein, weshalb ein fusselhaariger Roadie vorher unter kollektivem Johlen die Bühne staubsaugt. Aber egal, sind die 1500 Leute etwa wegen PJ Harveys Barfüßigkeit gekommen?

Es rumpelt und rumst und wummert und dröhnt also ganz gewaltig diese 80 Minütchen lang, PJ Harvey strahlt und lächelt immer wieder, wenn sie sich artig für das leidenschaftliche Dankesgekreisch bedankt, ja, es ist eine frenetische Lebensbejahung in allem, aber sage niemand, dass darin nichts Finsteres wäre! Ein wildes, wütendes und doch auch ewigzartes Trauern durchpulst PJ Harveys Texte, vom uralten "Rope Bridge Crossing" bis zum neuen "Passionless Pointless", und es durchpulst vor allem diese unvergleichlich dahinschreitende, selten wirklich rockende Musik: keine Trauermärsche, sondern Trauertänze sind das wie im dreiviertelgetakteten "Leaving California" - und sogar im synkopisch elektrisierenden Titelsong von "A Woman A Man Walked By", in dem sie ihr Publikum, "I want your fucking ass!", lachend ansext und dessen Text über einen bösartigen und früh verglatzen Hühnerlebereiermann den Leuten auch Angst macht, funkelt eine Vergeblichkeitswut. Und die Gitarrenmaschinerie feuert und befeuert sie immer wieder von neuem.

Nichts zum Mitsingen. Fast nichts zum Mittanzen - abgesehen vielleicht von John Parishs wie hingefetzt abgeröhrter Zugabe "False Fire", in der ausnahmsweise und in aller Eile all das zu Ehren kommt, was man sonst so kennt: Breaks, Refrains, das ganze Ordnungsamt aus der Krachmacherstraße eben. Ansonsten müssen Headbanger leider draußen bleiben. Das hier ist etwas, das dich anders unter Strom setzt, von Anfang an, erst listigfreundlich einladend, und irgendwann bist du ganz umfangen von dieser so unverwechselbar nach außen gewendeten Melancholie. Und während die Herren an den Instrumenten präzis und gelassen und energisch ihre Arbeit tun, gibt PJ Harvey dem Mikro am liebsten den Rest. Auch ihre Stimmbänder: Hochspannungsdrähte, runtergezaubert in eine ewige Mädchenkehle. Und wenn das Mikro denn doch um eine Beanspruchungspause bettelt, tänzelt die Sängerin eben ein paar Schrittchen in die Tiefe des Raumes, als wär' da nichts weiter; tänzelt einmal langsam um sich selbst, Blassgrünauge des Sturms.

Jetzt aber Schluss mit dem donnerstagabendlichen Angewurzeltsein an der schönsten Stelle der Welt! Mach es wie die Zuschauerin fünf Stehplatzreihen oder auch zwei Meter vor dir, du erinnerst dich an ihre Handsilhouette vorm Bühnenlicht, die plötzlich aus dem allgemeinen Kopfgewirr auftauchte, schöner Schattenriss, und sich für ein paar Sekunden sachte hin und her bewegte. Sie winkt nicht. Sie streichelt die Luft.

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