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Bunte Gitarre, ernste Miene: Richard Hawley am Mittwoch in der Passionskirche.

© dpa

Konzertkritik: Richard Hawley in der Passionskirche

Richard Hawley spielt in der Passionskirche - und hat jede Menge Freunde aus seiner Heimatstadt Sheffield mitgebracht. Zusammen sorgen sie für ein berauschendes 50er-Jahre-Working-Class-Flair.

Sphärisches Intro wie Unterwasserblubbern zum umjubelten Aufmarsch der Akteure vorm Altar der Passionskirche. Die Musiker übernehmen den Sound: Singende Säge, gestrichener Kontrabass, Klavier, Mandola, weich geklöppeltes Schlagzeug. Zwitschern, Rauschen, Brummen, einzelne dunkle Töne einer Akustikgitarre. Langsam dämmert ein Song hinter der Klanglandschaft herauf: "As the dawn brakes over roof slates / Hope hung on every washing line" singt Richard Hawley mit seinem warmen, melancholischen Bariton.

Wieder ist es seine englische Heimatstadt Sheffield, der er im ersten Song seines neuen Albums "Truelove's Gutter" sowie im Konzert in grobkörnigen, liebevoll poetischen Bildern huldigt - als wären es Szenen aus einem Film von Ken Loach oder Mike Leigh. Und aus einer Zeit, als es noch so etwas wie den Stolz der englischen Arbeiterklasse gab. Hawleys Vater war Stahlarbeiter in Sheffield und an den Wochenenden ist er mit seiner Rock 'n' Roll-Band in den Tanzschuppen aufgetreten. Der Sohn erweist sich als würdiger Erbe.

Obwohl Richard Hawley erst 1967 geboren wurde, umgibt ihn, wie er da im dunklen Anzug steht, mit Buddy-Holly-Tolle, Brille und grüner Gretsch-Gitarre, ein Flair von 50er-Jahre-Working-Class-Sentiment. Vom Rock 'n' Roll der späten Nacht-Stunden. Von rührenden Juke-Box-Schnulzen und Tanzpalästen, an deren Decke sich glitzernde Spiegelkugeln und auf deren Tanzfläche sich halbstarke Paare drehen. Wo die Band einen sentimentalen Country-Walzer spielt: "Ashes On The Fire". Der die traurige Geschichte erzählt vom glühenden Liebesbrief, den sein verschmähter Absender nur noch als verkohlte Ascheschnipsel in der Tonne wiederfindet.

Hawley wechselt die Gitarren: orange Gretsch, schwirrend schwebende Twang-Sounds mit starkem Vibrato. Schwarze Gretsch. Braune Gretsch. Hawley liebt seine Gitarren und spielt sie exzellent. Nicht umsonst war er vor seiner Solokarriere der versierte Gitarrist von Pulp. Zu Zeiten als er passend dazu noch einen Britpop-Moptop zur Schau trug. Heute spielt er ein Surf-Gitarrensolo auf einer roten Gibson ES-335 im schönsten Stück des Abends: "Hotel Room" - eine Rückschau auf frühere, wildere Jugendjahre und eine zauberhafte Liebeserklärung für jetzt und vielleicht sogar die Ewigkeit. Es ist ein Song aus dem Jahr 2005 vom Album "Coles Corner" - auch so ein mythischer Ort in Sheffield, denen Hawley häufig in Songs und Plattentiteln ein Denkmal setzt.

Hawley wirkt sehr ernst und spricht nur wenig zwischen den Songs

Seine Verbundenheit zur Stadt, zu deren Schauplätzen, Menschen und Musikern ist so stark, dass er für sein Vorprogramm einen Freund aus Sheffield mitgebracht hat: den sehr angenehmen, mit starker Stimme, feinem Gitarrenspiel und Old-School-Folk überzeugenden Singer/Songwriter Neil McSweeney. Auch die meisten von Hawleys Mitspielern kommen aus Sheffield, sind alte Freunde von ihm: Colin Elliot wechselt zwischen Kontrabass und Bassgitarre und steht die meiste Zeit mit runtergezogenen Mundwinkeln ziemlich trübe dreinblickend da. Doch als die Band aus einer gewohnt ruhigen Passage plötzlich höllisch laut loskracht, freut sich der Bassist wie ein kleiner Junge, lacht die Kollegen an, bevor er wieder versteinert. Nur mimisch allerdings. Auf dem Griffbrett bleibt er stets lebendig und wanderlustig.

Auch Hawley wirkt sehr ernst und spricht nur wenig zwischen den Songs. Ein Lied allerdings widmet er seiner Berliner Lieblingskneipe: "Does anybody know The Old Berlin Bar?" Ob er die "Bierstube Alt Berlin" in Mitte meint? "Bei Heinz und Inge"? Shez Sheridan, ein weiterer alter Sheffield-Freund, spielt geschmackvolle Fills auf einer exotischen E-Gitarre, einer 12-saitigen Burns, Tenor- und anderen Akustikgitarren und lässt eine Lapsteel klingen wie sirrendes Glas. Dean Beresford bearbeitet sein Schlagzeug mit weichen Besen, Filzklöppeln, harten Stöcken oder mit bloßen Händen. Jon Trier spielt Klavier. Und Streichorchester aus dem Synthesizer, und David Coulter, den wir schon mit den Pogues gehört haben, mit Tom Waits und Marianne Faithfull, steuert nach Bedarf Violine, Ukulele, Akustikgitarre und Singende Säge zur feinen Ergänzung bei. Nur der Tontechniker zieht die Pegel irgendwann bedauerlich scharf über die Schmerzgrenze.

Immer schwebt Hawleys ausdruckstarke Stimme über dem harmonischen Gruppenklang, erzählt von den Freuden und Schmerzen des Lebens, und bleibt bei all den dramatischen orchestralen Arrangements, die gelegentlich an Burt Bacharach erinnern, völlig unprätentiös und natürlich, wie das vielleicht nur die ganz großen Crooner vorgemacht haben: Frank Sinatra, Roy Orbison, Scott Walker. Bis auf einen Song (Don't You Cry) präsentiert Hawley das komplette neue Album, ein paar ältere Stücke und als Zugabe eine hübsche Cover-Version von "Hushabye Mountain". Zwei Nummern von der geplanten Setliste bleiben allerdings ungespielt. Vielleicht war es Hawley selbst zu laut oder es zieht ihn vorzeitig in die "Alt Berlin Bar". Rauschender Beifall nach anderthalb Stunden.

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