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Konzertkritik: Tish Hinojosa im Institute for Cultural Diplomacy

Es gibt Konzerte, die man sich regelrecht erarbeiten muss. Doch, was tut man nicht, um die texanische Singer/Songwriterin Tish Hinojosa einmal live zu erleben. Und es lohnt sich.

Erstmal irrt man durchs ausgestorbene Kudamm Karree und sucht den Aufzug in den dritten Stock. Und jetzt? Endlose Gänge. Ist man hier noch richtig für Tish Hinojosa? "Doch", sagt jemand, "ist richtig hier. Tish ist schon da!" - "Und den Stuhl muss ich selber mitbringen?" Der Kalauer liegt auf der Zunge.

Es ist wie auf einer Party, wo man zu früh kommt, noch niemand da sonst, und man steht ein bisschen blöde rum, während die Gastgeber noch Stühle rücken, Bierkästen schleppen und selbst schon nervös werden: ob da überhaupt noch jemand kommt?

Wir sind im Institute for Cultural Diplomacy. Und weil in einer Institution, die sich einsetzt "für globalen Frieden und Stabilität durch kulturellen Austausch", nicht einfach nur so ein Konzert stattfinden kann, musste vorher schnell noch ein akademischer Rahmen gezimmert werden: eine Gesprächsrunde zum Thema "Transatlantic Spirit". Dabei wollte man doch nur ein Konzert von Tish Hinojosa hören. Man muss es sich erarbeiten.

In der Mitte des Podiums sitzt Mark Donfried, Leiter und Gründer des Instituts, ein cooler junger Mann mit Rockstar-Appeal und Zopf. Als rekordreifer Schnellsprecher stellt er die Gesprächspartner vor: Leonard Lott aus Florida, seit Jahren in Berlin, Betreiber des Schöneberger Gitarrenladens "Berlin Guitars" und Konzertveranstalter aus Leidenschaft. Und: Tish Hinojosa aus Austin Texas, Tochter mexikanischer Einwanderer, Musikerin, "die sich in ihren Songtexten mit der sozialen und mentalen Situation von Migranten, mit interkulturellen Unterschieden und den Begriffen 'Heimat' und 'Fremde' befasst hat".

Der smarte Mark erzählt in Höchstgeschwindigkeitsamerikanisch, dass es doch vielleicht nicht ausreiche, den Austausch der Völker und unterschiedlichen Kulturen lediglich der Wirtschaft und Politik zu überlassen. Sondern dass es doch gerade die Kultur sei, die Brücken schlage, und da doch ganz besonders die Musik. Ob seine Gesprächpartner da zustimmen würden? Doch ja: Musik als "internationale Sprache".

Sie sprechen über Musik und nationale Identität. Dass, wenn man in Frankreich das Radio einschalte, einem französische Musik entgegenschalle, dass es in Deutschland jedoch meistens englischsprachige Musik sei. Und ob das nun gut sei oder nicht? Ob der Staat die Kultur subventionieren solle? Und ob es demokratisch sei, wenn in Deutschland vorwiegend die klassische Kultur gefördert werde, Oper, Theater, klassische Konzerte, nicht aber Rock und Pop. Dass es in Holland mehr Auftrittsmöglichkeiten gebe für amerikanische Singer/Songwriter als im übrigen Europa, weil dort jeder perfekt englisch spreche, konstatiert Lott. Und dass sicher irgendwann Vinyl wieder das angesagte Plattenformat werde, sagt Tish.

Noch Fragen aus dem Auditorium? Inzwischen haben sich doch noch ein paar Leute eingefunden. Nein, keine Fragen. Also jetzt das Konzert. Endlich.

Warum als Vorprogramm der talentierte Berliner Gitarrist Chris Deschner nur zwei Stücke spielt, "Cherokee Moon", den Titelsong seines feinen letzten Albums und den alten Pete-Seeger-Gassenhauer "Turn Turn Turn", ist nicht ganz klar.

Jetzt hat man es sich redlich verdient: Tish Hinojosa kommt mit ihrer Gitarre. Eine attraktive Frau von 54 Jahren mit schimmernd schwarzen, langen Haaren, einem langen rotbraunen Rock und hohen Stiefeln. Das Gespräch von vorhin habe sie inspiriert zur Auswahl der Setliste. Ein spanisch/mexikanischer Song zu ruhigem Fingerpicking auf der Akustikgitarre und gleich noch einer: "Bandera Del Sol" zu rhythmischer Schraddelgitarre. "Aquella Noche".

Als Kind sei sie stark beeinflusst worden von der Musik ihrer Eltern, mexikanischer Volksmusik und Pop, erzählt Tish. Bis sie später eine Leidenschaft für Countrymusik entdeckt hat. Eine Weile hat sie in Nashville gelebt, wo ihr die Countryproduktionen zu glatt poliert waren und sie nach Austin, Texas weiterzog.

Und so mischen sich in ihren Songs leiteinamerikanische Klänge mit US-amerikanischer Wurzeligkeit. Folk, Bluegrass, Texmex, Rock 'n' Roll. Angenehm lässig und ungekünstelt klingt ihre schöne Stimme, die mit jedem Song an Ausdruck gewinnt, der gelegentlich an Linda Ronstadt erinnert. Ein reizvoller Querschnitt durch Tish Hinojosas musikalisches Schaffen der letzten zwanzig Jahre. Doch nach elf Songs ist es leider auch schon wieder vorbei.

Gerne würde man Tish Hinojosa bald wieder hören. Mit längerem Programm, an einem anderen Ort, mit besserem Sound. Und vielleicht auch noch mit ein paar Mitmusikern für zusätzliche musikalische Farben.

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