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Konzertkritik: Tommy Emmanuel in der UdK

Tommy Emmanuel ist ein Gitarrist, wie man ihn nicht alle Tage zu hören bekommt. Man spürt die Leidenschaft in jedem Ton, wenn sprudelnde Melodie-Kaskaden aus seiner kleinen akustischen Maton-Gitarre klingeln.

Der Abend fängt gut an: Im Vorprogramm spielt das vorzügliche Máirtín O'Connor Trio aus Irland rasante Jigs und Reels, Balladen, Swing und eine berauschende irische Interpretation von Georg Friedrich Händels "Ankunft der Königin von Saba" - mit Knopfakkordeon, Fiddle und Gitarre.

Um kurz nach neun kommt Tommy Emmanuel mit grauem Bürstenhaarschnitt, Jackett und Jeans drahtig auf die Bühne der gut gefüllten UdK gesprungen. Und sofort ringeln, dingeln, klingeln sprudelnde Melodie-Kaskaden aus seiner kleinen akustischen Maton-Gitarre, silbrig glitzernde Klangspritzer, wilde Flageoletts, rhythmisches Knattern. Die Bässe stapfen stur voran, während von den hohen Saiten keltische Tonfolgen trillern und sich schließlich alle erdenklichen musikalischen Stile ineinander mischen: Folk, Jazz, Country, Ragtime, Blues, Rock, Boogie, Anklänge europäischer Bildungsmusik.

So lässig schüttelt Emmanuel das aus den beiden Handgelenken, als wäre es nichts. Vibrato in der linken, Tremolo in der rechten Hand, atemberaubend flinke Läufe mit den linken Fingern, rhythmisches "Counterpoint-Picking" mit den rechten. Zwischendrin grabbelt er in der Tasche: nach Daumenpick oder Plektrum. Dann zieht und schiebt er wieder die Saiten, hämmert drauf, lässt sie schnalzen. Wandert mühelos durch Tonarten und Takte. Laut und leise. Gedämpft und brillant. Und es klingt, als spielte ein ganzes Orchester. "Are you God?" ruft ein erstaunter Fan. "No" antwortet Emmanuel, "God is God and Tommy is Tommy!"

Der 54-jährige Australier Tommy Emmanuel, der schon während seiner Kindheit mit dem Vater und den Brüdern als professioneller Musiker herumzog, ist allerdings ein Gitarrist, wie man ihn nicht alle Tage zu hören bekommt. Ein Virtuose, dem es nicht darum geht, prahlerische Technik und hohle Effekthaschereien vorzuführen, sondern um die reine Freude an der Musik, Ausdruck von Körper, Geist und Seele, das große Gefühlsspektrum: von rührender Melancholie bis zu überbordender Lebensfreude.

Man spürt die Leidenschaft in jedem Ton, jeder Geste, jedem Lächeln, jedem Saitenanschlag, Augenaufschlag, jeder Körperbewegung. In diesem lässigen Tänzeln, rhythmischem Kopfrucken, wie ein Truthahn auf Speed. Umwerfender Humor blitzt auf, wenn Emmanuel zwischendrin seine Gesten synchronisiert mit passen Geräuschen auf der Gitarre: schweres Schrappen, während er sich am Kopf kratzt.

Alles passt trefflich zusammen: die unterschiedlichen Stile und Songs. Instrumentales und Gesungenes. Emmanuels Eigenkompositionen - ein rührendes Lied über den früh gestorbenen Vater, die hübsche Suite "Endless Road" mit abwechselnd lyrischen Passagen und ratternden Flamenco-Einsprengseln. Huldigungen an den kürzlich gestorbenen Les Paul und an Emmanuels "musikalischen Vater" und Förderer Chet Atkins: "The great chief, who looks down on us tonight and says: 'Tune up, boys!'"

Traumhaft singt er Henry Mancinis hübsche alte Schnulze "Moon River", Nat King Coles Ballade "Walking My Baby Back Home", den schlagkräftigen Country-Song "Nine Pound Hammer" und spielt ein fulminantes, instrumentales Beatles-Medley ("Here Comes The Sun"/"When I'm Sixty-Four"/"Day Tripper"/"Lady Madonna").

Plötzlich glaubt man, eine Rhythmusmaschine zu hören, doch der Gitarrist benutzt kein einziges Effektgerät. Er kratzt schabt, klopft, wischt und quietscht auf Zarge, Decke und Saiten seiner entsprechend schrundig aussehenden Gitarren. Mit Fingern, Fäusten oder einem Jazzbesen. Ganz früher war Emmanuel auch mal Schlagzeuger. Sein Rhythmusgefühl ist makellos und mitreißend.

Und dann ist da auch noch ein Publikum, das richtig zuhören kann. Wo niemand quatscht, niemand trampelig die Songs zerklatscht, wo keiner sein Handy zum Fotografieren reckt. Wo es ein Gefühl dafür gibt, wann der passende Moment ist für stillen Respekt oder stürmischen Jubel.

Zum Schluss holt Tommy Emmanuel noch einmal das famose Máirtín O'Connor Trio auf die Bühne und singt mit ihnen eine zu Tränen rührende Version des alten Folksongs "The Water Is Wide". Ein wahrhaft beglückender Abend.

H.P. Daniels

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