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Konzertvorschau: Lyle Lovett: Amerika für alle

Klein und groß: Country-Außenseiter Lyle Lovett spielt mit seiner "Large Band" in der Passionskirche in Kreuzberg.

Wenn Jazz eine Temperatur hat, dann ist sie in „Tickle Toe“, dem alten Count-Basie-Klassiker, kochend heiß. Das Schlagzeug setzt kurz vor dem ersten Beat ein und reißt eine 19-köpfige Big Band mit, die sich durch ein dichtes, brodelndes Arrangement lavieren muss, ohne den Siedepunkt auch nur einen Moment zu unterschreiten. Saxofone, Trompeten und Posaunen brüllen, es swingt und smasht, in rasendem Tempo werden kurze Soli gespielt, und immer wieder schrauben sich die Musiker in flammend-melodische Girlanden hinein. Es ist genau das richtige Stück für eine Kapelle, die auf den Jazzstandard eindrischt, dass die Funken fliegen, und mehr sein will als Big.

Large Band nennt Lyle Lovett sein Ensemble. Der 51-jährige Texaner schart gern viele Musiker um sich, aber den Breitwandsound der Swing-Ära hörte man nie von dem Mann, der in den USA als Wegbereiter einer erneuerten Country- und Folk-Bewegung gilt. Seit nunmehr 20 Jahren arbeitet Lovett an einer All-America-Version, in der traditionelle Spielarten wie Blues, Gospel und Jazz ebenso anklingen wie die Fanfaren des Showbiz. Der Countryszene hat er jenseits des staatstragenden Mainstreams aus der Nashville-Hitfabrik ein neues, frisches, individuelles Gesicht gegeben. Die Large Band war dafür das perfekte Instrument. Schon 1989 hat Lovett ein Album mit ihr aufgenommen, an das er jetzt anknüpft.

„It’s not Big, It’s Large“ heißt die 13. Einspielung des auch als Schauspieler zu bescheidenem Ruhm gelangten Musikers. Den meisten Menschen dürfte er durch seine kurze Ehe mit Hollywoodstar Julia Roberts ein Begriff sein. Man kennt seine skurrile Gestalt aus Filmen wie Robert Altmans „The Player“, in dem er einen Detective spielt: ein großer, dürrer Mann mit schiefem Grinsen im Holzpuppengesicht und mit Haaren, in denen ein Vogel sein Nest nicht zu Ende gebaut hat. Als Songschreiber hat sich Lovett seine Meriten auf den Traumpfaden des ländlichen Amerika erworben, das seine glühendsten Erzähler in Texas findet. Übervater dieser Countryszene, zu der auch Steve Earle gehört, ist der 1997 verstorbene Townes van Zandt. Bei dessen Beerdigung hatte Lovett spielen dürfen, ihm hat er sein vielleicht schönstes, traurigstes Album, „Step Inside This House“, gewidmet.

Lovett stammt aus einer 50 000-Seelen-Stadt namens Klein in der Nähe von Houston, die von seinem Ururgroßvater mitgegründet wurde. Er lebt dort bis heute. 2002 wurde erzählt, Lovett habe sich auf der Farm seines Onkels schwer verletzt, als ihn ein Bulle umrannte. Die Nähe zum Vieh, der Staub und die rissigen Hände prägen auch Lovetts musikalische Welt, in der Frauen Rose heißen und irgendwann verduften und Slide-Gitarren, Geigen und Banjos ihren wimmernden Gesang anstimmen.

Unter den jüngeren Country-Barden ist Lovett der „schwärzeste“. Er hat mit dem Rhythm & Blues-Sänger Allen Toussaint und dem Bluesmann Keb Mo gesungen. Zur Large Band gehört ein dreistimmiger männlicher Gospelchor. So klingt der zweite Song des aktuellen Albums noch schwärzer als der jazzige Auftakt: ein siebenminütiges Medley aus dem Kirchenlied „I Will Rise Up“ und dem afroamerikanischen Prison-Song „Ain’t No More Cane“. Hier kommt die emotionale Gewalt des vermeintlichen Einzelgängers zum Tragen. Vier Männerkehlen singen von Sünde, Tod und Wiederauferstehung, und die Begleitmusiker geben sich hin, als würden sie gerade allesamt in den Himmel fahren.

Was im Pop oft schiefgeht, weil zu viele Stile einander die Schau stehlen, geht im Resonanzraum eines mit sich selbst hadernden Amerika auf: Nach Ballroom, Kirche, nach Landstraße und Holzschuppen zieht sich die Musik ins Intime zurück. Lovetts bezaubernder „Alley-Song“ wendet das Bild eines Mannes, der über die Liebe nachdenkt, zur allgültigen Geste.

Der Lovett-Sound ist smooth und elegant, aber zu schrullig und zu klug, um nach Stangenware zu klingen. Die lakonischen Texte haben den zeitlos-melancholischen Anklang des Storytelling, obwohl er seine Geschichten meist nur andeutet. „Ich würde nach Hause kommen/Wenn es ihr wichtig genug wäre/Ich würde mich ändern/Wenn ich wüsste, wie man anders sein kann“, heißt es.

Nicht immer ist alles schiefgelaufen in der Liebe, an der oft das ganze Leben hängt. Manchmal ist auch alles so toll, dass es andererseits auch nur wieder bergab gehen kann („All Downhill“). Typisch für den hin- und hergerissenen Cowboy-Blick ist die starke Verankerung in das, was er Heimat nennt, und der ständige Aufbruch („This Travelling Around“). „South Texas Girl“ schließlich rundet das Album mit einer Reminiszenz Lovetts an seine Kindheit ab. Mutter und Vater erklären die Welt, die der Steppke aus einem 58er Ford Fairlaine heraus an sich vorbeiziehen sieht.

„It’s not Big, It’s Large“ von Lyle Lovett ist bei Warner erschienen. Am heutigen Mittwoch spielt er mit seiner Large Band in der Passionskiche, 20 Uhr.

Barbara Mürdter

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