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© Davids/Jakubaszek

Kraftwerk im Kraftwerk: Die Menschlich-Maschine

Kraftwerk treten in der Autostadt Wolfsburg auf und versuchen, einen Verlust zu überwinden: den Ausstieg von Florian Schneider.

Von Markus Hesselmann

Es geht los mit der „Mensch-Maschine“ und irgendwann stehen natürlich auch „Die Roboter“ wieder auf der Bühne. Alles wirkt wie gewohnt und geliebt bei Kraftwerks Mitternachtskonzert im alten Heizkraftwerk der Wolfsburger VW-Fabrik. Und doch ist nichts, wie es war. Florian Schneider macht nicht mehr mit, Gründungsmitglied der Düsseldorfer Band und seit 1970 mit Ralf Hütter in einem kreativen Duo, das als unzertrennlich galt. „Ralf und Florian“ hatten die beiden ihr drittes Album 1973 so schlicht wie prägend genannt.

Nun steht der Mann, dem David Bowie 1977 von seinem Berliner Album „Heroes“ das Lied „V2 Schneider“ zu Füßen legte, nicht auf der Bühne. Der in sich zurückgezogene Schneider wollte nicht mehr auf Tournee gehen, der extrovertiertere Hütter sehr wohl, hieß es zur Begründung. Jetzt tourt Hütter ausgiebig mit drei neueren Kraftwerkern – live sind zwei davon für den Sound zuständig, einer kümmert sich um das Visuelle. Dies ist der erste Auftritt in Deutschland nach Schneiders Ausstieg.
Wer bei Kraftwerk alles wörtlich nimmt und der von der Band propagierten Ästhetik folgt, könnte nun sagen: Es ist unwichtig, wer bei ihren Konzerten an den vier Pulten auf der Bühne steht. Diese Aufgabe könnten genauso gut Roboter übernehmen, wie sie es ja im gleichnamigen Stück auch tun. Denn viel machen Kraftwerk nicht da vorn. Mit herkömmlichen Popkonzerten haben ihre Auftritte nichts zu tun.

Autobahn live

Doch wenn dann Ralf Hütter live singt, „Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn“, oder die Akkorde des „Trans Europa Express“ ganz menschlich auf seiner Tastatur greift oder die so simple wie melancholische Melodie beim „Model“ unter seinen Fingern zerrinnt, dann ist sie eben doch da, die persönliche Aura. Jeder will sich gerade im Zeitalter der multimedialen Reproduzierbarkeit sein ureigenes Bild von diesem Moment machen. Die Displays der Handykameras wippen im maschinellen Beat. Alle wollen ihr Original, hier und jetzt. Das mag eine Illusion sein, aber die Sehnsucht danach ist real. Kraftwerk bedienen genau diese Sehnsucht. Die Zurückgezogenheit der Bandmitglieder, ihre Blockade gegen jede Preisgabe von Persönlichem, ihr Versteckspiel hinter der Maschinenästhetik lassen diese Sehnsucht nach dem erlösenden Moment noch anschwellen.

Jeweils 1200 Fans wollten am Wochenende bei Kraftwerks drei Auftritten im Rahmen des „Movimentos“-Kulturfestivals in der Autostadt Wolfsburg dabei sein. In wenigen Tagen waren alle Tickets vergriffen – trotz mühevoller persönlicher Registrierung fast wie bei der Fußball-WM 2006. Ein Schwarzmarkt wurde dadurch verhindert. Aus zehn Ländern reisten die Fans in die norddeutsche Provinz, um ihre Helden zu sehen.

Neues Material im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Aber man hört und sieht auch an diesem Abend wieder, dass Kraftwerk fortwährend ihre Kunst verfeinern: Hier ein noch krachenderer Bass, wie bei „Tour de France“, dort eine noch ausgefeiltere 3D-Grafik, die einem die „Nummern“ direkt vor den Augen zum Tanzen bringt. Gerade bei dieser liebevollen Kleinarbeit aber wird der Tüftler Florian Schneider fehlen.

Nun schalten wir das Radio an

Denn eigentlich werden Kraftwerk noch gebraucht. Oder besser gesagt: Ihr Projekt einer Pop-Ästhetik, die mit dem Lebensgefühl in unserem Land etwas zu tun hat. Das wird deutlich, wenn man tatsächlich in diesen Tagen auf der Autobahn fährt – zum Beispiel nach Wolfsburg – und sich dabei aus der Berliner Radio-Eins-Schutzglocke herausbegibt. Wenn man dann tatsächlich das Radio einschaltet, dann klingt aus dem Lautsprecher der Normsound der „SAWs“ und „ffns“ dieser Republik: Jederzeit dieselbe Phil-Collins-Pat-Benatar-Billy-Joel-Soße.

Kraftwerk wollten die deutschen Beach Boys sein. Aber eben nicht, in dem sie deren Stil kopierten, mit dem Surfbrett auf dem Rhein. Sie wollten für Deutschland das sein, was die Beach Boys für die USA sind: Ikonen des Lebensgefühls. Kraftwerk sind es geworden: voller Melancholie und voller Menschlichkeit.

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