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Rock’n’-Roll-Noir. Kristof Hahn lieferte mit seiner Band Soundtracks für die Filme „Mein halbes Leben“ und „Eierdiebe“.

© Mike Wolff

Kristof Hahn: Langer Weg nach Westen

Stiller Star: Kristof Hahn ist seit 30 Jahren einer der besten Berliner Rockgitarristen. Jetzt tourt er mit den Swans.

„Der Hahn lebt!“, heißt es in einem Kommentar zu einem You-Tube-Video, das den Solo-Auftritt des Berliner Rockgitarristen zeigt, der sich in dreißig Jahren mit unzähligen Auftritten in der Stadt einen Ruf als begnadeter Saitenheld, Sänger und Songschreiber erspielt hat: Kristof „Justice“ Hahn. Sein Name steht für locker aus der Hüfte gefeuerte Gitarrensoli, lässig aufgefächerten Rock’n’Roll und geheimnisvolle Songs, hervorgegangen aus sagenhaften Sessions mit legendären Typen wie Chris Spedding oder Alex Chilton. Er spielte im Vorprogramm von Nick Cave, Marianne Faithful, Tom Verlaine oder Devendra Banhart, der ihn kurz vorher angerufen hatte. Und doch gilt Hahn als ewiger Geheimtipp, ein Außenseiter, dessen Musik an der Masse vorbeigeht.

Dabei läuft er ständig im Radio, seit Wolfgang Doebeling von Radio Eins seit über zwanzig Jahren seine Sendung „Roots“ mit Hahns Instrumental „Robert Mitchum“ beginnt. Es stammt von Hahns Solo-EP „Down By Love“, die 1986 auf Doebelings Label „Exile“ erschienen ist, das dieser gegründet hatte, um die ersten Singles von Hahns Neo-Western-Bands „The Nirvana Devils“ und „The Legendary Golden Vampires“ zu veröffentlichen. „Das war das Ghetto im Ghetto, denn wenn es eine Musik gab, die damals total uncool war, dann war es Country. Man konnte den ganzen verspäteten Krachtönern vor den Kopf stoßen, wenn man Songs von Hank Williams oder Johnny Cash spielte“, erzählt Hahn.

Seit 1989 ist er als Mitglied der New Yorker Destruktiv-Apostel Swans und deren Nachfolgeprojekt Angels of Light an der Seite von Michael Gira unterwegs, der neuerdings „wieder Lust am lauten Musizieren gefunden hat“. Seit Ende September ist Hahn mit den wiedervereinten Swans auf Dienstreise, die ihn am Montag in die Volksbühne führt. „Die Tour ist auf acht Monate angesetzt, wobei ich mich frage, ob alle bis zum Ende durchhalten. Michael lässt die Monitorboxen immer voll aufdrehen und trägt keine Ohrstöpsel. Dabei hört er schon fast nichts mehr“, sagt Hahn.

Der gebürtige Pfälzer, Jahrgang 1959, ist ein Überlebender aus den Tagen, als die Musik der Berliner Szene Avantgarde und Arroganz miteinander verband. 1980 kam Hahn aus München nach West-Berlin, „weil man da alle Nase lang irgendwo spielen konnte“. Seine erste Band hieß Südpol, eine Do-It-Yourself-Einheit mit dem Neutöner Frieder Butzmann und dem späteren Nick-Cave-Drummer Thomas Wydler, der ihm auch zur Seite stand, als er 1998 mit der Sängerin Viola Limpet die Band Les Hommes Sauvages gründete. Mit „Viva La Trance“ haben sie gerade ihr drittes Album auf dem hauseigenen Label Disques Sauvages veröffentlicht, das nach den Vorgängern „Playtime“ und „Trafic“ erstmals nicht nach einem Film von Jacques Tati benannt ist.

Wie die Vorgänger strotzt es nur so vor melodischem Einfallsreichtum, griffigem Songwriting und charmant-frankophiler Wärme. Gleich fünf Coversongs sind auf der Platte, darunter eine krachige Version von „Gottseidank nicht in England“ von den Fehlfarben und Lee Hazlewoods „Thunder and Lightning“, von Limpet im Duett mit Bela B. gesungen. Als Einflüsse kann man Gun Club oder die Wüstenrocker Thin White Rope heraushören, die die Band bereits zum zweiten Mal covert, aber auch Hahns Vorbilder John Cale, Ike Turner und Chris Spedding, der Rockgitarrist, auf den sich alle einigen können und der beim ersten Album selbst mit Hand anlegte, „was für ihn eine tolle Erfahrung war, mal wieder mit echten Musikern im Studio zu stehen, wo er sonst nur noch den Toningenieur trifft“.

Die Band bezeichnet ihren Musikstil als „Rock’n’-Roll-Noir“. Die Musiker sind Cineasten und lieferten Soundtracks für die Filme „Mein halbes Leben“ und „Eierdiebe“. Die Songauswahl und das Komponieren teilt sich Hahn mit Freundin Viola. Dabei greift er auf einen Fundus zurück, den er in der Vergangenheit mit dem französischem Lyriker Erik LeMarechal und der Band von Nikki Sudden angelegt hat. Oder auf sein verkanntes Meisterwerk „Shocked & Amazed“, das er 1990 unter dem Namen Koolkings in Memphis mit dem Rock’n’-Roll-Genie Alex Chilton aufnahm. „Im Anschluss an die Swans-Tour ’89 war ich Chiltons Tourmanager in Europa. Er meinte irgendwann: Weißt du was, lass uns eine Platte zusammen machen, komm nach Memphis und wir nehmen das auf.“ Auch wenn Daniel Brühl im Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ ein T-Shirt der Koolkings trägt, ist es ein Album für Eingeweihte geblieben.

Obwohl stets bemüht, Songs mit einem kunstvollen Anspruch zu schreiben, hatte Hahn nie Interesse an einem allzu glatten Sound. In Memphis nahm er mit dem Garagenrocker Jeff Evans an einem verkaterten Nachmittag mit einem Ghettoblaster für zwei Dollar Produktionskosten eine Single auf, deren Schepperfaktor ihresgleichen sucht. In den letzten Jahren hat er sich verstärkt der Lapsteel-Gitarre angenommen. Die spielt er unter anderem im Steel-Cello-Ensemble des australischen Klangkünstlers Bob Rutman oder mit der Sängerin Yungchen Lhamo, die vom Dalai Lama als „Stimme Tibets“ gepriesen wird. Als Ausgleich zu diesen meditativen Klängen wird er beim Auftritt mit den Swans in der Volksbühne gleich zwei dieser auf einen Keyboardständer geschnallte Instrumente zum Glühen bringen, bereit für den Eintritt ins Guinessbuch der Rekorde, als „lautester Hawaiigitarrenspieler der Welt“. Denn „das ist kein schöngeistiges Steelgitarrenspiel mehr, wie bei Calexico oder Hank Williams, sondern richtig barbarisch“.

Die Swans spielen am Montag, 13. 12., in der Volksbühne, 20 Uhr. – Record-Release-Party mit Les Hommes Sauvages am Samstag, 18. 12., im Crystal Club (Columbiadamm 9-11), 21 Uhr.

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