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Madonna

© dpa

Madonna: Drahtige Königin

Optische Reizüberflutung im Sekundentakt: Madonnas sportlicher Auftritt in Berlin ist für die Queen of Pop vor allem eins: harte Arbeit.

Plötzlich stehen vier Madonna-Kopien auf der Bühne. Die Frisuren und Kostüme erinnern an frühere Inkarnationen der Queen of Pop. Steif und zombiehaft wirken diese Gestalten. Nach ein paar Sekunden stürmt das Original heran und attackiert die falschen Fuffziger. Der letzten Kopie wirft Madonna sogar einen Sack über den Kopf. „She’s not me“, heißt der Song, der sich eigentlich gegen Stilnachahmerinnen richtet. Durch die Live-Performance bekommt er noch eine andere Botschaft: Die wahre Madonna existiert nur in der Gegenwart. Die aktuelle Version überschreibt alle vorigen.

Der Wunsch immer auf der Höhe der Zeit zu sein, zeigt sich auch an ihrem neuen Album „Hard Candy“. Eingespielt mit den Super-Produzenten Timbaland und Pharrell Williams setzt es auf den derzeit angesagten High-Tech-R’n’B- Sound. Die neuen Songs stehen im Zentrum der „Sticky & Sweet“-Show. Und so ballern als erste Stücke „Candy Shop“ und „Beat goes on“ mit großer Bass- wucht ins Olympiastadion, das bei weitem nicht ausverkauft ist.

Madonna steigt von einem riesigen Thron herab zu ihren Tänzern. Lässt sich einen Schuh polieren und die hochgeschlossene Bluse abnehmen. Eine schwarze Korsage kommt zum Vorschein, dazu trägt sie schwarze Netzstrümpfe und kniehohe Stiefel. Ihre spektakuläre Oberarm- und Oberschenkelmuskulatur ist perfekt in Szene gesetzt.

Die gigantische Bühnenmaschinerie generiert optische Reizüberflutung im Sekundentakt. Umrahmt von zwei haushohen, glitzernden „M“s flackern die Videoanimationen, Scheinwerfer und Laser. Ein blitzend weißer Oldtimer rollt herein, prominente Duett-Partner singen von der Leinwand herab. Die zwölfköpfige Band spielt meist am Rand, damit die 16 Tänzer Platz für ihre ausschweifenden Choreografien haben. Eigentlich fehlt nur noch ein Feuerwerk, dann ist die Show auf dem Niveau der Olympia-Eröffnung in Peking.

Wie dort bleibt das Stadion trotz dunkler Wolken von Regen verschont. Allerdings braucht Madonna dafür keine Silberjodid-Raketen, sondern einfach nur Glück. Sie provoziert den Wettergott sogar ein wenig, als sie ihr eigenes Gewitter mit Donnergrollen und animierten Wassertropfen losbrechen lässt. Dazu singt sie auf einem Konzertflügel stehend die Ballade „Devil wouldn’t recognize you“. Als eines der reduzierteren Stücke klingt es einigermaßen passabel in dem von Mischungsproblemen geprägten Sound.

Für ihre älteren Hits hat Madonna sich neue Klangkostüme ausgedacht. So spielt sie „Borderline“ von ihrem Debüt aus dem Jahr 1983 in einer garagenrockigen Version, bei der sie selber eine der beiden E-Gitarren übernimmt. Die Kamera, die alle ihre Bewegungen auf zwei Großbildleinwände überträgt, zoomt auf ihre Hände: Seht her, Madonna kann sogar Barré-Griffe! Sicherheitshalber spielt der Band-Gitarrist stets die gleichen Akkorde wie seine Chefin. Zum Ende des Songs kommt sie zu ihm herüber, hält ihre Gitarre vor seine und fällt für das letzte Riff auf die Knie. Derartige Klischeeposen aus der Rockstar-Mottenkiste wiederholen sich noch einige Male. Die Queen of Pop hat sich offenbar in den Kopf gesetzt, nun auch rocken zu müssen.

Das Gitarrespielen gehört seit der „Drowned World“-Tour (2001) zu ihrem Live-Repertoire. Allerdings greift sie nun wesentlich häufiger in die Saiten, nicht nur zu Akustik-, sondern auch zu E-Gitarren. Durch diese Aneignung des größten Phallussymbols der populären Musik führt Madonna ihre Rolle der ultimativen Domina weiter und betont ihren absoluten Herrschaftsanspruch. Weil sie dies nun auf der abstrakten Ebene abwickelt, muss sie ihre Tänzer nur noch selten in Unterwerfungspositionen zwingen.

Das alles ist harte Arbeit. Dementsprechend ernst schaut Madonna drein. Über ihre angespannter Miene huscht höchstens für Sekundenbruchteile mal ein Lächeln. Dabei täte ein wenig Humor der Show durchaus gut. Mitunter denkt man beim Betrachten der olympiareifen Performance: Mensch, mach’ dich doch mal locker und genieß’ deinen tollen Job. Ein Beispiel könnte sie sich an der kleinen Roma-Kapelle nehmen, die sie mit sprudelnder Spielfreude bei einer Gypsy-Version von „La Isla Bonita“ unterstützt. Anschließend tragen die russischen Musiker ein Traditional vor und begleiten Madonna bei dem Evita-Song „You must love me“. Dieser sehr gelungene Konzertteil – inspiriert von Madonnas letztjähriger Zusammenarbeit mit der Gypsy-Punk Band Gogol Bordello – hätte gerne noch länger dauern können.

Doch die Meisterin muss zum nächsten Kostümwechsel. Währenddessen flimmert ein schnell geschnittenes Video zu den Themen Umwelt und Krieg über die Leinwände. Hier kommt es zu der Montage, die vorab einen kleinen Pressewirbel verursacht hat: John McCain erscheint in eine Bilderreihe mit Adolf Hitler und Robert Mugabe, wohingegen Barack Obama mit Mahatma Gandhi und Martin Luther King zu sehen ist. Schon bei der „Confessions“-Tour vor zwei Jahren hatte Madonna George W. Bush in eine Reihe mit Hitler gestellt, was aber im Trubel um ihren Auftritt an einem riesigen, spiegelbesetzten Kreuz unterging. Gemessen daran und an ihren früheren Tourskandalen (Masturbation, Bush- Wegbomben) ist die „Sticky & Sweet“-Show harmlos.

Im letzten Viertel des knapp zweistündigen Konzerts gibt die 50-Jährige noch einmal Vollgas: „Like a Prayer“ bringt sie in einer ruppigen Stampfbeat-Version, die gefährlich nah an Kirmes-Techno operiert. Das Stadion tanzt trotzdem – genau wie bei „Hung up“, in dem sie sich wieder als wilde E-Gitarristin betätigt. Ja, Madonna ist immer noch die Größte. Das wird sicher noch eine Weile so bleiben. Und falls die Organisatoren der Olympischen Spiele von London noch keine Idee für die Eröffnungsfeier haben, sollten sie mal bei der Wahl-Engländerin anrufen. Madonna könnte ihnen sicher eine hübsche Knaller-Show zusammenbasteln.

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