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Maerzmusik-Festival: Des Müllers Lust

Mummenschanz und Multikulti: Ein Abschlussbericht zum Berliner Maerzmusik-Festival, das auch vom BVG-Streik gebeutelt wurde.

Musik vor Ort, an wechselnden Orten, Reisen und Wandern bestimmten die diesjährige Maerzmusik: eine bunte Mischung aus ernsthaftem, auch akademischem Bemühen um das Gegenüber von Musikkulturen und schlichtem Multikulti. Beispiel Stefano Gervasoni: Der 1962 in Italien geborene, von Nono und Lombardi geförderte Komponist fährt alle Schikanen zeitgenössischen Komponierens auf, um den Fado, den portugiesischen Klagegesang, mit Neuer Musik aufzuladen. Das Ensemble Modern ist mit Gitarre, Akkordeon und Cymbalon aufgestockt, abwechselnd tragen Fado-Sängerin Cristina Branco und Bariton Frank Wörner von Gervasoni arrangierte Fados und Eigenkompositionen vor.

Nur leider wird alles Ursprüngliche dabei doch sehr domestiziert. Und die neuen Stücke wachsen kaum über bestes Handwerk hinaus, einschließlich komplexer, in ihrer Überambitioniertheit ziemlich wirkungsloser elektronischer Effekte. Die bis zur Unkenntlichkeit gefilterten Stimmklänge, mit denen hier die Brücke zwischen Tradition und Moderne geschlagen werden sollte, wurden gar nach Maßgabe eines Forschungsprojekts am Pariser Ircam zur Ausdruckskraft des gesprochenen Worts entwickelt.

Steht Gervasoni also für den hochgezüchteten Intellektuellen, der die Realität mit Techniken, Modellen und seriellen Verfahren vergeblich zu bannen sucht, so ist der Spanier Mauricio Sotelo auf den ersten Blick nicht nur ein bescheidenerer, sondern auch erfolgreicherer Mittler zwischen den Traditionen. Auch er ist Nono-Schüler, aber die Verbindung der spanischen Flamenco-Tradition mit der Moderne ist für ihn zunächst keine technische Frage. Wie selbstverständlich hält er am Ausdrucksgehalt dieser Musik fest, schon sein Gitarrenstück „Como Llora el Aqua“ (Wie das Wasser weint) zeigt sich als im kubischen Aufriss gehärtete Flamenco-Adaption, die Juan Manuel Canizares der Gitarre mit Stolz und Feuer abringt. Sein danach vom Flamenco-Sänger Arcángel und dem Smith-Quartett aufgeführtes Werk „Audéeis“ nimmt auf derart verschiedene, vielfältige Entwicklungsstadien des Flamencos Bezug, dass der Laie das zunächst wohl kaum nachvollziehen kann.

Jedenfalls sind farbige Mikrotonalität, kunstvolle rhythmische Schichtungen und ein sich aus einer Keimzelle entwickelnder Kompositionsablauf hier kein Selbstzweck: Maßstab bleibt stets Sotelos Ausdruckswille. Und der hat spanische Wurzeln. Eher auf dem Karneval der Kulturen als auf einem Neue-Musik- Festival hätte man hingegen die „Cantos Robados“ (Gestohlene Lieder) von Fátima Miranda vermutet. Sie lässt Tonband, Klangschale oder die wie eine Rockgitarre malträtierte indische Tampura unerhört lange Töne aushalten. Dazu singt sie einen Mischmasch aus 1000 Idiomen, durchaus gekonnt.

Mehr als eine exaltierte Performance freilich kommt dabei nicht heraus. Die Hartnäckigkeit, mit der Maerzmusik-Chef Matthias Osterwold und auch der Intendant der Berliner Festspiele, Joachim Sartorius, an solcherlei Mummenschanz festhalten, ist fast rührend. Dafür gesellten sich zum auch vom BVG-Streik gebeutelten Festival noch zwei unauffällig fernab vom Thema angesiedelte Konzerte von schöner Eindringlichkeit.

In der Villa Elisabeth trug der thüringische Autor Lutz Seiler seine eigenwillig bodenständigen und subtil trotzigen Gedichte vor. Steffen Schleiermacher hat einige davon ebenso eigenwillig in Musik gesetzt und sich jeder geschmeidigen musikalischen Diktion dabei konsequent verweigert. Zuvor vertonte die New Yorker-Berliner Pianistin Heather O’Donnell den verregneten Sonntagmorgen mit sehr poetischen Klavierminiaturen des kaum bekannten Spaniers Frederic Mompou, einer hörenswerten Randfigur des 20. Jahrhunderts.

Ulrich Pollmann

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