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Kagel

© dpa

Mauricio Kagel: Der Spieler

Er hat das Heitere wieder zurück in die Neue Musik gebracht. Zum Tod des Komponisten Mauricio Kagel.

Als er im Juni 2000 den Siemens-Musikpreis überreicht bekam, die höchstdotierte Auszeichnung im Klassikbetrieb, erklärte Mauricio Kagel, das ewige Gejammere über den Niedergang der Kompositionskunst sei doch müßig. Die Krise sei dauerhaft und müsse darum nicht in permanentem Ingrimm herbeigeredet werden. „Der gesammelte Pessimismus unserer Vorfahren genügt mir bis zum Ende meiner Tage.“

In der Tat war der am Heiligabend 1931 in Buenos Aires geborene Künstler kein Geist, der stets verneint. Kritik zu üben, vor allem an den eingeübten Ritualen bürgerlicher Ersatzreligion, das war seine Passion. Doch Kagels Stoßrichtung blieb immer eine positive, getragen von der Hoffnung auf eine mögliche Verbesserung der Verhältnisse.

Weil ihn das Konservatorium seiner Heimatstadt ablehnte, studierte Kagel Literaturgeschichte – und brachte sich das Komponieren selber bei. Nachdem er sich zunächst an Schönbergs Zwölftontechnik abgearbeitet hatte, öffnete sich dem jungen Avantgardisten eine neue Welt, als der Argentinier 1957 mit einem DAAD-Stipendium nach Köln kam. Hier gab es das elektronische Studio des WDR, hier gab es offene Ohren und Staatsknete für Experimente. Hier blieb er.

Hier wurde er 1974 auch Professor für Musiktheater. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Mauricio Kagel mit einer Reihe spektakulärer Projekte in unterschiedlichsten Medien zum Meister des „Instrumentalen Theaters“ gemausert. Sein „Staatstheater“, eine entlarvende Parodie des Musiktheaterbetriebs, wurde 1970 in Hamburg zum Skandal und konnte nur unter Polizeischutz aufgeführt werden. Im „Bestiarium“ wurde aufgeblasenen Plastiktieren die Luft abgelassen, was zu skurrilsten Verrenkungen führte. Im Kurzfilm „Solo“ spielt ein Dirigent ohne Orchester die Hauptrolle, in „Ludwig van“ (1970) zeigt die Kamera den Blickwinkel des Komponisten, der den Parcours seiner Jubiläumsfeierlichkeiten abhetzt.

So witzig, so dadaistisch Mauricio Kagels frühe Werke oft sind, so deutlich ist stets auch eine zweite Bedeutungsebene erkennbar: den Vorgang des Musizierens selber zum Gegenstand seiner Stücke zu machen. Später wandte er sich dann immer öfter traditionellen Formen zu, huldigte beispielsweise 1985 mit einer „Sankt-Bach-Passion“ dem Thomaskantor. Die Partitur hatte er mit dem Motto versehen: „An Gott verzweifeln, an Bach glauben.“

Mauricio Kagels große Zeit waren die siebziger Jahre. Nachdem sich eine ganze Generation daran gewöhnt hatte, beim Erklingen zeitgenössischer Musik automatisch ungewohnte, unbequeme Perspektiven einzunehmen und Hörgewohnheiten aufzubrechen, wirkten seine fortgesetzten Gedankenspiele oft nurmehr harmlos. Die Tragik aller Pioniere. Und doch hat der Komponist, der gestern mit 76 Jahren nach langer Krankheit in Köln gestorben ist, seinem Berufsstand einen nicht hoch genug einzuschätzenden Dienst erwiesen: Er hat das Heitere wieder zurück in die Neue Musik gebracht. 

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