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McCartney

© Universal

McCartney: Am Ende ist noch lange nicht Schluss

Heute feiert Paul McCartney seinen 65. Geburtstag – und schenkt der Welt mit „Memory Almost Full“ ein fantastisches Album.

Langsam dämmert es auch dem letzten John-Lennon-Fan, dass es falsch war, Paul als den „weichen“ oder auch „nicht so coolen“ Beatle einzuschätzen. Ja, er hat „Michelle“ geschrieben, aber eben auch „Helter Skelter“ – das prototypische Grungerock-Stück, falls es je eins gab.

Stellen wir uns Liverpool in den frühen sechziger Jahren vor. Was unterscheidet die Beatles von hunderten Konkurrenzgruppen in der Stadt? Die anderen Bands spielten die Rock’n’Roll-Hits des Tages nach. Die Beatles machten das natürlich auch in jener Zeit, bevor sie die besten Songschreiber seit Cole Porter wurden. Aber sie taten noch etwas anderes. Sie spielten B-Seiten. Sie spielten Lieder aus Musicals („’Til There Was You“ aus „The Music Man“) und Südamerikanisches („Besame Mucho“). Mit anderen Worten: Die Beatles waren schon eklektisch, also spielerisch und augenscheinlich willkürlich aus allen möglichen Stilen auswählend, etwa zwanzig Jahre bevor es der Rest der Welt wurde. Und es war der freundliche, forschende Geist McCartneys, der sie dorthin führte. Lennon wäre glücklich damit gewesen, Larry-Williams-Nummern zu covern und dann, nach acht Jahren oder so, einen Supermarkt zu leiten. Sorry, John, aber ich habe hier eine These zu untermauern. Lennon war die Erdung, das gesunde Misstrauen. Paul war das Pop-Genie, der Anti-Zyniker.

Gentleman-Wertung klar gewonnen

Nirgends wird das deutlicher als auf seiner neuen CD „Memory Almost Full“ (Concord/Universal) – ein Satz, der vor einem überfüllten Telefon-Speicher warnt und der sagt: „Erstens, hey, ich gehe mit der Zeit; zweitens, Achtung, hier wird zurückgeblickt.“ Gibt es versteckte Botschaften an Heather Mills, die Frau, die von seinen Kindern als Erbschleicherin empfunden wird und nun mit einer Kamera durch seine Villa zieht, um jedes Stück seines Eigentums für die Scheidungsverhandlungen zu dokumentieren? Irgendetwas im Stil von „Hey, die einbeinige Schlampe hat mich abgezockt!“?

Überhaupt nicht. Im Gegenteil. „Gratitude“, Dankbarkeit, heißt die Heather-Hymne. „Ich sollte aufhören, dich zu lieben, nach allem, was du mich hast durchmachen lassen“, heißt es da, „aber ich will mein Herz nicht wegschließen, ich will dir meine Dankbarkeit zeigen ... ich war einsam, lebte mit einer Erinnerung, aber meine einsamen Nächte endeten, ja, ich wurde geliebt von dir.“ So bekräftigt er – frei übersetzt – fast trotzig, was sie einmal verbunden hat, als ob er sie erinnern wollte und sich selbst ein letztes Mal wärmen. Man vergleiche das einmal mit der Art, in der zum Beispiel Bob Dylan auf seiner Trennungsplatte „Blood on the Tracks“ mit seiner Ex verfährt: „Du bist eine Idiotin, Baby, es ist ein Wunder, dass du dir überhaupt die Nase putzen kannst!“ Paul gewinnt hier auf jeden Fall die Gentleman-Wertung.

Und es wird unbekümmert musiziert. Leichter, pauliger als auf dem Vorgänger „Chaos and Creation in the Backyard“. Wie das Debüt-Album eines 65-Jährigen. Zur Hälfte im Alleingang aufgenommen, der Rest mit einer sehr guten Band. Das Programm wird eingerahmt von zwei gewollt schlichten „Tanz“-Stücken: „Dance Tonight“ zum Auftakt, das Pauls neue Mandoline in den Mittelpunkt stellt und mit dem er sich als perfekter Party- Schmeißer empfiehlt („Ihr könnt alle zu mir kommen, und ihr könnt machen was ihr wollt“).

Die schönsten Pop-Harmonien zurzeit

Den Abschluss bildet „Nod your Head“. Einfach, albern, effektiv. Zwischendrin gibt es köstliche Kabinettstückchen wie das verschrobene „Mr. Bellamy“, in dem der Sänger von sich selbst als einem spleenigen Alten fantasiert, der partout nicht den Dachboden verlassen will. In „See Your Sunshine“ wird eine Frau verherrlicht (Heather? Linda? Egal.) in den schönsten Pop-Harmonien zurzeit. Und mit „Only Mama Knows“ bekommt man, eingerahmt von melodramatischen Streichern, Pauls besten Rocker seit langem geliefert, vielleicht seit „Jet“.

Sein Privatleben mag in Trümmern liegen, sein Leben als Künstler scheint sich soeben erneuert zu haben. Wenn McCartney zurückblickt, was er hier meistens tut, wird er nie elegisch, niemals weinerlich. „Es ist mir peinlich, wenn ich ,Let it be’ sehe, wie ich dort rauche – oh, schaut nur, wie lässig ich bin“, bemerkte er in einem Interview. Obwohl er eine Sinfonie geschrieben – allerdings nicht arrangiert – hat, war dieser Künstler immer allergisch gegen Prätentionen, gegen allzu melodramatische Gesten. Deshalb gerieten ihm Lieder, die unter unbegabteren Händen im Kitsch versackt wären („Eleanor Rigby“, „She’s Leaving Home“), zu schlichten, stimmigen Meisterwerken.

Nur einmal gönnt er sich das volle Pathos. Die Unsicherheit aller menschlichen Arrangements, der Blitzschlag, der das „Haus aus Wachs“ zerstört. Wieso nicht. In „The End Of The End“ plant Paul ganz unsentimental seine eigene Beerdigung. Die Gäste sollen singen, Witze und Geschichten erzählen. Da wäre man gerne dabei. Aber nicht allzu bald.

Der Autor ist Musiker und hat 15 Alben veröffentlicht, zuletzt „Ich werde sie finden“ (Begafon). Er lebt als „elektrischer Liedermacher“ in Hamburg.

Bernd Begemann

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