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© promo

Melt-Festival: Schlaflos in Sachsen-Anhalt

Zwei Tage Melt haben bei den Besuchern Spuren hinterlassen. Zum Abschluss spielen heute Abend Oasis ihre großen Hits.

Sonntag, 14 Uhr:

Sie tanzen schon wieder – oder immer noch, so genau kann man das nicht sagen. Mehrere hundert Meltgäste hüpfen am frühen Nachmittag über den „Sleepless Floor“, die Open-Air-Bühne am Rand des Festivalgeländes, die seit Freitagnachmittag ununterbrochen bespielt wird. Wer nicht schlafen will oder kann, findet hier zu jeder Zeit Gleichgesinnte. Totenkopfflaggen wehen neben der Tanzfläche, „Zoo“ steht in großen Buchstaben über dem DJ-Pult. Es hätte auch „Freakshow“ heißen können, so mitgenommen sehen manche hier aus.

Den Auftritt von Oasis können heute Abend alle live verfolgen - auf der Festivalseite www.meltfestival.de wollen die Veranstalter ab 23 Uhr einen kostenlosen Stream schalten.

Sonntag, 2 Uhr: So lässt sich am ehesten das Melt-Gefühl beschreiben: Gerade noch war man drüben am Seeufer, wo Hell – früher nannte er sich DJ Hell – für die Raver auf der Technobühne auflegt, nun schlendert man vorbei an zwei riesigen, grell angestrahlten Schaufelradbaggern, und schon steht man vor der Hauptbühne und kann den Refrain von Bloc Partys „Banquet“ mitsingen. Hell und Bloc Party, Techno aus München und Rock aus London, so nah liegen beim Melt-Festival die Extreme beieinander, oft vermischen sie sich auch. „Melt“, zu Deutsch verschmelzen, der Name ist auch das Erfolgsprinzip des Festivals, das sich in zwölf Jahren von einem Nischen-Treff  in Sachsen-Anhalt zu einem der wichtigsten Festivals Deutschlands entwickelt hat.
 
Viele der auftretenden Bands mögen das Melt so sehr, dass sie nicht bloß für ihren Auftritt anreisen, sondern gleich mehrere Tage hier verbringen. Bloc Party zum Beispiel kamen schon am Freitag, bei ihrem eigenen Auftritt auf der Hauptbühne zählen sie nun die Acts auf, die ihnen bisher am besten gefallen haben: am ersten Tag Bodi Bill, am zweiten Animal Collective und Phoenix. "Wie gerne würden wir morgen Oasis sehen", sagt Sänger Kele Okereke, "aber da sitzen wir leider schon wieder im Bus nach London". Im Anschluss an Bloc Party spielt noch Digitalism, das Hamburger Elektro-Duo. Mit einem Bass, der so stark dröhnt, dass man noch 50 Meter von der Bühne entfernt die Druckwellen spüren kann: von der Magengegend bis hoch ins Gesicht, die Nasenflügel vibrieren. Stört hier aber keinen.


Sonnabend, 22 Uhr:
Er ist der coolste Raucher der Welt, er klemmt seine Zigarette hinterm Kapodaster fest. Und er trägt den Seitenscheitel immer noch, als hätte er ihn erfunden: Jochen Distelmeyer ist zurück. Zwei Jahre nach Auflösung seiner Band Blumfeld hat der Hamburger eine Solokarriere gestartet, der Auftritt auf dem Melt ist der erste vor großem Publikum. „Alles easy?“, fragt er zu Beginn ins Mikro, das hat er schon früher so gemacht, und überhaupt erinnert vieles an alte Zeiten: die Akkorde, die Texte von „Geistern und Dämonen“ und „den Menschen auf der Straße“, den Blumfeld-Bassisten hat Distelmeyer auch gleich mitgenommen. An einigen Stellen klingt er jetzt düsterer: „Manchmal denke ich, ich sollt’ ne Knarre kaufen – einfach so. Und damit durch die Innenstädte Amok laufen – einfach so.“ Aber dann vertreibt der 41-Jährige auf der Bühne pantomimisch die Wolken am Himmel und sagt oberlehrerhafte Sätze wie: „Das ist doch das wichtigste im Leben: Liebe und Partnerschaft“, und im Publikum rätselt man, ob das jetzt ernst gemeint war oder ironisch gebrochen oder ob man bloß wieder die Metaebene verpasst hat. Man kriegt den Distelmeyer aus Blumfeld raus, aber nicht Blumfeld aus Distelmeyer.

Auch Mediengruppe Telekommander  kündigen ein neues Album an. Trotz der knapp bemessenen 45 Minuten spielen die beiden Berliner, die sich Verstärkung am Schlagzeug mitgebracht haben, zwei Kostproben aus der im August erscheinenden Platte, das Publikum ist in Tanzlaune. Beim Hit der Gruppe „Kommanda“ gibt es unter der Zeltplane kein Halten mehr. Hundert Meter weiter spielen The Whitest Boy Alive auf der Hauptbühne – es ist ihr dritter Auftritt auf dem Melt, und Sänger Erlend Oye hat nicht vergessen, dass er 2008 noch in der kleinen Halle auf der Bühne stand und so viele Zuschauer kamen, dass die Securitys das Gelände abriegeln mussten – anderthalb Stunden vor Konzertbeginn. „Diesmal habt ihr alle Platz“, ruft er der Menge zu.


Sonnabend, 15 Uhr:
  Die Festivalgäste trocknen ihre Klamotten. Der befürchtete Regen war in der Nacht doch nicht ausgeblieben, gegen 3 Uhr hatte es begonnen, in dichten Strömen auf das ehemalige Braunkohletagbau-Gelände zu prasseln. Viele bangten, ob die für wenig Geld besorgten Zelte dem starken Regen standhalten würden.

Das Programm, das eigentlich bis in den Morgen gehen sollte, wurde vorzeitig abgebrochen. Das Berliner DJ-Team Moderat hatte besonderes Pech. Das Trio hatte sein Equipment gerade aufgebaut, als sich die Festivalleitung wegen des Unwetters zum Abbruch entschied. Auch die benachbarte Zeltbühne musste aus Sicherheitsgründen geräumt werden: Es brauchte acht Lautsprecherdurchsagen, bis die letzten Gäste Einsicht zeigten.

Der von vielen erwartete Dänen Trentemöller, der ab fünf Uhr auf der DJ-Bühne auf dem Schaufelradbagger als letzter Künstler angekündigt war, sollte wegen der widrigen Bedingungen kurzfristig in den außerhalb des eigentlichen Festivalgeländes angesiedelten Sleepless-Floor – die 24-Stunden-DJ-Bühne - verlegt werden. Leider spielte dort die Technik nicht mit, und auch Trentemoller musste kapitulieren.

Vor dem Unwetter hatten unter anderem Travis und Aphex Twin gespielt. Höhepunkt des Abends war allerdings der Auftritt der norwegischen Band Röyksopp, die es als erster elektronisch orientierter Act schafften, zigtausend Fans vor der Hauptbühne zum Tanzen zu bringen. Auf der Nebenbühne gelang es Simian Mobile Disco, die von Gossip schon aufgeheizte Stimmung noch zu übertreffen.

Am späten Nachmittag geht das Programm weiter – mit Auftritten von Phoenix, Mediengruppe Telekommander und Jochen Distelmeyer und einer neuen Zeltplane über der Nebenbühne.


Freitag, 22 Uhr:
Der erste Höhepunkt des Festivals ist der Auftritt von Gisbert zu Knyphausen:  Der Hamburger Liedermacher schafft es, das Zelt der Nebenbühne zu füllen - mit hunderten meist junger Fans, die jede Zeile mitsingen können. Weitere Überraschungen: Das befürchtete Unwetter bleibt zunächst aus, stattdessen fällt nur leichter Nieselregen vom Himmel. Donovan Jones, der Keyboarder von This will destroy you, ruft auf der Bühne zu vielfältigem Drogenkonsum auf - und keiner applaudiert. Entweder versteht das Publikum  Jones' texanischen Akzent nicht - oder Drogen interessieren hier keinen. Auch toll: Auf der Hauptbühne bringen das Berliner Kollektiv Jazzanova und Gastsänger Paul Randolph die Menge mit ihrem "Nu Jazz" zum Tanzen.

Die Foals haben leider abgesagt, dafür wird morgen Jochen Distelmeyer (Ex-Blumfeld) seinen ersten großen Soloauftritt nach zweijähriger kreativer Pause absolvieren. Einen  neuen Song mit dem Namen "Wohin mit dem Hass?" hat er diese Woche auf seine Homepage zum Probehören gestellt. Klingt sehr nach Blumfeld.

Freitag, 20 Uhr: Auf den Zufahrtsstraßen gab es kilometerlange Staus, die Zeltplätze sind voll, mehrere Handynetze zusammengebrochen. Könnte ein denkwürdiges Festival werden.


Freitag, 13 Uhr:
So voll war es auf dem Melt noch nie: 20000 Musikfans reisen heute zum Melt-Festival nach Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt. Bis Sonntagabend treten hier Rockbands und DJs auf sechs Bühnen auf - neben international bekannten Künstlern wie Oasis, Bloc Party, Kasabian und Phoenix  spielen auch viele deutsche Gruppen, aus Berlin sind unter anderem Jazzanova, Super 700 und The Whitest Boy Alive dabei. 

Da das Festival erstmals ausverkauft ist, raten die Veranstalter dringend davon ab, ohne gültige Eintrittskarte anzureisen. Auf der Popseite des Tagesspiegels werden wir täglich aktuell vom Verlauf des Festivals berichten.

Das Programm startet heute um 15 Uhr mit einem DJ-Set von Moderator Markus Kavka - da sind die meisten Festivalgäste aber noch auf der Anreise oder mit dem Zeltaufbau auf dem benachbarten Campingplatz beschäftigt. Am Abend spielen auf der Hauptbühne erst Röyksopp aus Island, dann Travis und Aphex Twin. Auf den Nebenbühnen geht das Programm bis zum nächsten Morgen weiter.

Von Florian Ernst und Sebastian Leber

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