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© Domino

Musik: Irrfahrt unter der Diskokugel

"Tonight: Franz Ferdinand": Auf ihrem dritten Album feiern die Schotten die Nacht.

Wenn sich ein Gelegenheitskoch, ein angehender Maler, ein ehemaliger Jazzbassist und ein Aktmodell zwecks musikalischer Berufsbildung zusammentun, kommen meist mehr Ideen dabei heraus als gut sind. Zumindest für ein Pop-Album. Aber bei Franz Ferdinand hat es funktioniert. Als das kunstsinnige Rock-Quartett aus Glasgow vor fünf Jahren sein Debüt veröffentlichte und mit einer Flut von Einfällen, Geistesblitzen, riskanten Übergängen und verstolperten Genialitäten versah, war die Begeisterung groß. Das ist ja Rock ’n’ Roll – und es ist Tanzmusik. Wie kann das zusammenpassen?

Zwei Platten später steht dieselbe Frage wieder im Raum. „Tonight: Franz Ferdinand“ heißt der neue Wurf, mit dem sich die Band nach beinahe zweijähriger Abwesenheit auf die verebbende New-Britannia-Welle schwingt . Für einen letzten Surf. Oder für ein amphibisches Unternehmen, das sie an unbekannte Ufer spült. Sie hätten zwar nicht versucht, sagt Bassist Bob Hardy, etwas Neues anzufangen, aber immerhin „das Alte zu vermeiden“. So klingen die zwölf Songs des heute erscheinenden Albums (siehe nebenstehenden Soundcheck) sofort vertraut. Als wäre ein Smash-Hit wie „Turn It On“ eigens dazu ersonnen, an das mächtige – auch lange nachwirkende – „Take Me Out“ anzuknüpfen. Es reicht nicht heran. Wie überhaupt unzweifelhafte Dancefloor-Feger vom Schlage eines „Matinee“, „Michael“ oder „Do You Want To“ nicht zu finden sind.

Aber alles andere ist da: die zackigen, abgehackten Rhythmen, die abrupten Tempowechsel, die dialogischen E-Gitarren und der distanzierte Gesang junger Männer, deren Lebenslauf jeden Personalleiter begeistern würde. Virtuos balancieren Sänger Alex Kapranos und seine Kompagnons Nick McCarthy, Paul Thomson und Bob Hardy auf der Schattenlinie zwischen Rockriff und Diskobeat. Vielleicht sogar virtuoser denn je. Einen swingenden Schlagzeug-Groove, wie ihn Thomson im Auftaktstück „Ulysses“ vorführt oder der dengelnde Afro-Shuffle, mit dem „Send Him Away“ anhebt, waren dem Stil-Repertoire der Band bislang fremd. Zarte, warme oder sanfte Tonlagen, die wie die undefinierbare Präsenz einer Haut rötung erscheinen, gehörten nicht gerade zum Ausdrucksspektrum der Viererbande. Die wurde von der englischen Presse auch schon als „herzlose Stilisten“ gescholten.

Der Mangel an unzweifelhaften Hits verrät es: Diesmal gelingt Franz Ferdinand das Alchimistenkunststück der Vermengung von Ingredienzen, die eigentlich nicht zusammenpassen, nicht ganz so überzeugend. Der Ideen gibt es viele. Sie streben auseinander. Der unschuldige, blinde Furor vergangener Zeiten ist dahin, der sie radikalste Kurswechsel hat vollführen lassen, weil die Hitze des Tuns die Brüche überblendete.

Eine schlechte Platte ist „Tonight“ trotzdem nicht. Nachdem die Band 2004 mit ihrem unbetitelten Debüt in den Pop-Olymp schoss, mit „You Could Have It So Much Better“ im Jahr darauf ein weiteres Knaller-Album folgen ließ und dann abtauchte, strebt sie nun nach Verfeinerung. Was mit den Entstehungsbedingungen der Platte zu tun hat. Nach knapp 6 Millionen verkauften CDs konnten Franz Ferdinand machen, was sie wollten. Während ihre Epigonen sich abstrampelten. bezogen die Pop-Millionäre ein altes, von der Kommunalverwaltung aufgegebenes Rathaus am Stadtrand von Glasgow. Sie mauerten die Fenster zu und schafften sich ihre eigene kleine Dunkelkammer. Zuerst nur, um zu proben. Nachdem jedoch ihre Ambition, Teil der Popwelt zu werden, daran scheiterte, dass sie mit Englands Star-Produzenten Brian Higgins nicht zurecht kamen („Er hat keinen Wert auf Geräusche und Rückkopplungen gelegt“), richteten sie in dem Gemäuer ein eigenes Studio ein. Der Lichtmangel war es dann wohl, der bald alle Texte von der Nacht handeln ließ und auch die Soundfärbung ins Diffuse flackernder Stroboskopeffekte und verrauchter Bars drängte.

„Die Geschichte einer Nacht“ nennt Paul Thomson das Resultat. Und tatsächlich kann man den Song-Reigen als eine virtuelle Reise durchs Partyleben lesen. Eine musikalische Drift von Vagabunden, die ziemlich planlos Gelegenheiten aneinander reihen, Verabredungen nicht einhalten und sich zu mehr Witz und Originalität anspornen.

Sie finden das anstrengend? Genau, ist es auch. Denn die Party, die da beschworen wird, findet ohne erkennbaren Grund statt. Weshalb man den Nachtschwärmern auch relativ ungerührt beim Flirten und Posen zusieht, und dabei, die „Twilight Omens“ – so ein Songtitel – zu deuten. Ein Glücksversprechen ist an das Geschehen nicht gekoppelt. Dabei zu sein, ist schon die ganze Attraktion. Das Drama beschränkt sich auf kleinere Eifersüchteleien. Demonstrativ stellt Songrwiter Kapranos die Liebesunfähigkeit des Personals aus. Da wird das Foto des Mädchens geküsst, das man gerade begehrt, nur um die chemischen Substanzen zu schmecken. „Tonight“ ist weit weg von ironischer Brechung all der Räusche, die unter Diskokugeln ausgelebt werden. „C’mon what you got this time, c’mon let’s get high“, wird in „Ulysses“ die Irrfahrt eingeleitet. In einem Interview bestätigt Kapranos: „Es geht darum, sich zu verlieren, und es zu genießen.“

Man könnte beinahe vergessen, dass Langeweile in einer anderen Ära als nagender Schmerz, als Verurteilung zur Tatenlosigkeit begriffen wurde. Ins Blickfeld von Franz Ferdinand gerät sie nur als etwas, zu dem man gerade keine Zeit hat. Und das ist verteufelt zeitgemäß. Eine beseeltere Musik ist aus dem bratzenden Gewummer antiquierter Synthesizer, denen sich Franz Ferdinand bedienen, vielleicht gar nicht zu gewinnen. Und die euphorisierten Refrains und schäumenden Melodien sagen viel mehr aus über die zu füllende Leere. Auch die Disco ist eine innere Landschaft.

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