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The Kooks

© Timothy Norris

Musik: Konk im Kopf

Schöne Rocksongs von Rabauken mit Manieren: The Kooks aus Brighton lassen auf ihr Debüt ein großes Album folgen. Und im Gegensatz zum Debüt geht es nicht mehr nur um die ersten sexuellen Erfahrungen eines Pubertierenden.

Es fängt an, wie dutzende Rocksongs es vorgemacht haben: Schrammelgitarre, zwei Akkorde im Wechsel, nach vier Takten setzen Bass und Schlagzeug ein. Die Band, die sich nach einem David-Bowie-Song benannt hat, prescht durch vertrautes Terrain. „Always Where I Need To Be“ heißt das Lied gewordene Stürmen und Tosen, was man frei als Immer- am-richtigen-Ort übersetzen könnte. Doch Glück ist nur eine höchst unzureichende Beschreibung für den Überschwang, der diese Seinsgewissheit ausmacht. „Sie weiß nicht, wer sie ist“, jault Kooks-Sänger Luke Pritchard, „ich kann sie überall mit hinnehmen.“ Und das Schlagzeug schleudert blecherne Blitze in die Zeile „She just don’t care, don’t care.“

Was wie eine große Verführungsszene klingt, ist mehr ein Erstaunen vor der Fülle der Möglichkeiten. Eben noch hat die jugendliche Gang biederen Zweisamkeitsfantasien nachgehangen, da kann sie sich vor Mädchen, die sich ihr verwirrt und willig an den Hals werfen, nicht mehr retten. „Always Where I Need To Be“ markiert den Punkt, wenn man von allem zu viel hat. Mit den Kooks tritt der Brit-Rock in seine klassische Periode ein: das musikalische Vokabular ist ausformuliert, die schlampige Zügellosigkeit des Beginns längst in routinierten Abläufen verpufft – da ziehen die vier Burschen aus dem südenglischen Seebad Brighton den goldenen Schnitt.

Als das Kooks-Debüt „Inside In/Inside Out“ 2006 in England zeitgleich mit dem der Arctic Monkeys erschien, hätte das auch im Fiasko enden können. Doch zwei Millionen verkaufte Alben später sind sie die letzte Indie-Band, die durch das Nadelöhr springen und mit der uneingeschränkten Unterstützung eines Plattenmultis rechnen durfte. Ihre abgeschabte, ruppige Nachlässigkeit, die sich immer wieder zur bezwingenden Popmelodie aufschwingt, macht sie zur wichtigsten Band ihrer Generation.

Zur Veröffentlichung des zweiten Albums „Konk“ hat eine Laune des Zufalls Luke Pritchard in ein Berliner Hotelzimmer verfrachtet, dessen Teppich eine gigantische Dollarnote ziert. Ein Stuhlbein hat sich in George Washingtons Auge gebohrt. Pritchard, treibende Kraft hinter den Kooks, sieht müde aus. Das tut er eigentlich immer. Sein Lockenschopf ist verwuschelt, seine Stimme belegt. Er nippt an einem Whisky. Sätze fallen wie etwas sehr Überflüssiges von ihm ab. Er sei früh schlafen gegangen, nuschelt er, aber um vier Uhr morgens aufgewacht mit einer Idee für einen neuen Song im Kopf. Was er gemacht habe? Er zeigt auf sein Handy: „Ich habe ihn aufgenommen.“

Idee, Akkorde, zack - fertig. Auf diese Weise hat Pritchard, der sich zuweilen mit einer „Hitfabrik“ vergleicht, für das neue Album 80 Lieder geschrieben: „Das ist leicht. Ich schiebe sie einfach vom Band“, sagt er. In Griffweite liegt auch jetzt seine Gitarre. „Man findet Songs an den verrücktesten Orten“, sagt er. „Mir sind welche im Flugzeug eingefallen, sogar auf der Toilette oder nach Konzerten. Das hängt ganz von der Gemütsverfassung ab.“ Vermutlich auch vom Alkoholpegel. Die Band ist berüchtigt für ihr exzessives Rabaukentum. Bassist Max Rafferty ging allerdings zu weit. Die anderen haben ihn Anfang des Jahres hinausgeworfen.

Da waren die Aufnahmen längst abgeschlossen. 13 Songs blieben übrig. Sie gehören zum besten, was an Songwriting von einer jungen Rockband mit Pop-Ambitionen erwartet werden darf: durchsichtige Perlen, fast ausnahmslos Hits. Tropfende Gitarrenriffs wechseln mit hymnischen Melodien, da treffen glitschige Riffs auf scharfkantige Beats. Da ist das aufbrausende „Stormy Weather“, das sich aus einer krachend-rumpelnden Bassfigur erhebt und davon erzählt, wie lächerlich es ist, einander Szenen zu machen. „Gap“ überspannt verzweifelt die Lücke, die der Verlust der Geliebten hinterlässt. Doch Verzagtheit ist nicht das richtige Wort für die Dynamik, die The Kooks aus dem Schmerz herausholen. Es geht vielmehr um eine Güte und Warmherzigkeit, die auch von schroffsten Gitarrenklängen nicht beschmutzt wird.

Wenn Pritchard heute über sein Lieblingsthema Liebe singt, dann meint der 23-Jährige nicht mehr nur Sex wie auf dem umjubelten Debüt, wo er sein Genital als loaded gun feierte und vor pubertierendem Begehren bebte, weil es um erste sexuelle Erfahrungen ging. Nun drängen sich andere, seelentiefere Problemlagen ins Bild, obwohl den Kooks mit „Do You Wanna“ durchaus noch eine wuchtig-rockende Beischlafhymne von großer Schlichtheit einfällt.

Die Kooks haben von jeher ein breites stilistisches Spektrum verarbeitet. In der Band treffen so unterschiedliche Vorlieben wie für The Police, Dire Straits, Pink Floyd und Jam aufeinander. Wobei auf „Konk“ wieder das magische Zusammenspiel der Gitarristen Pritchard und seines 20-jährigen rotlockigen Kompagnons Hugh Harris verblüfft. Nicht nur, dass mit ihm ein Instrumentalist auftaucht, der vollkommen uneitle, lodernde Soli spielt. Seine Gitarrenfiguren schieben sich in jeden Spalt, der sich in der musikalischen Dramaturgie auftut. Er sorgt für den bratzenden, zwitschernden Sound, der die Songs trotz aller Eingängigkeit überraschend sein lässt.

Entstanden ist „Konk“ im gleichnamigen Studio von Kinks-Mastermind Ray Davies, der es den Newcomern schon zum zweiten Mal überlassen hat. Auch der Produzent ist wieder derselbe: Tony Hoffer, ein Amerikaner, der für Beck, Phoenix, The Thrills und Dave Gahan gearbeitet hat. Er hat Pritchard ermutigt, nicht immer nur von sich selbst zu singen. Das schlägt sich in einem Song wie „Mr. Maker“ nieder, der wunderbar gläsernen Ode an einen fügsamen Mann, der die katholische Kirche besser verstanden hat als sie selbst.

Pritchard besuchte mehrere Eliteinternate. Hautenge Jeans und ausgebeulter Cardigan verraten den Bürgerbengel in ihm. Aber jedwedem Drill setzt er eine provozierende Unlust entgegen. So kommt „Shine On“, ein für die Kooks untypischer Song, seiner lauernden Schläfrigkeit am nächsten. Der schleppende Backbeat, der psychedelische Klangzauber und die Stimmungswechsel kündigen einen Übergang an. Der Song unterstreicht Pritchards Ehrgeiz, es bald Pink Floyd gleich zu tun. Was für Indie-Musiker noch immer verbotene Gefilde sind. Auch müssten die Refrains dran glauben. Eine grausige Vorstellung.

Schließlich kommt Pritchards Manager mit einer Tüte voller Medikamente ins Zimmer. Von den grünen Pillen solle er drei Mal täglich eine nehmen, von den roten einmal täglich drei und den Saft jede Stunde. Oder war es umgekehrt?

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