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Musik: Kratzer im Lack

Alle Macht den Dilettanten: das wichtigstes Instrument der brasilianischen Girlband "Cansei de Ser Sexy" ist Stil.

Solche Leute machen heute Musikerkarrieren. Der 18-jährige Brite Nick Haley bastelte letztes Jahr an seinem Computer einen Werbespot für Apples I-Pod-Touch, nur so zum Spaß. Das Video wurde auf Youtube so populär, dass Apple ihn beauftragte, den Clip professionell zu produzieren und ihn weltweit im Fernsehen ausstrahlte. Einen Tag lang war es das meistgesehene Video auf Youtube, und das Lied, das ihm zugrunde lag, knackte die US-Charts als erfolgreichste Single, die je aus Brasilien kam: „Music is my hot, hot Sex“, ein prickelndes Dance-Pop-Stück von ein paar durchgeknallten Hipstern aus der Kunstszene von São Paulo.

Damit hätte die Band nicht gerechnet. „Hätten wir gewusst, dass wir so erfolgreich werden würden, hätten wir uns einen gescheiten Namen gesucht“, erklärt Sängerin Lovefoxxx in Interviews. „Cansei de Ser Sexy“ ist die portugiesische Übersetzung eines Ausspruchs von Beyoncé Knowles, sie sei es leid, sexy zu sein. Nur ein Scherz also, wie fast alles an diesen fünf Frauen Mitte 20 und einem 36-Jährigen, der sich in der Rolle des netten schwulen Onkels ganz prächtig in die Mädchenband einfügt.

Es ist eine Gründungsgeschichte wie aus dem Punk-Bilderbuch: Die Grafikdesignerinnen Lovefoxxx und Carolina Parra, die Modedesignerin Ira Trevisan, die Filmstudentin Ana Rezende, die Kunststudentin Luiza Sá und Musiker Adriano Cinta lernten sich 2003 in Clubs und auf Fotoblogs kennen und beschlossen die Bandgründung. Keine der Frauen beherrschte ein Instrument, also schnappte sich jede das Nächstbeste. Cinta jedoch musste genau das spielen, das er nicht konnte: Schlagzeug. Das wichtigste Instrument beherrschen sie allerdings alle: Stil. Ihr Ruhm vermehrte sich im Netz, bevor sie überhaupt etwas veröffentlicht hatten, alleine durch die charmanten Fotos auf ihrem „Flickr“-Profil. Dort posierten sie in Secondhand-Klamotten wie eine aus der Zeit gefallene Hippie-Familie auf Glückspillen. Auch die Musik verbreitete sich zunächst über Blogs. Bald wurde das einstige US-Grunge-Label Sub Pop auf die Band aufmerksam und brachte das selbst betitelte Debüt international heraus. Der knallige Elektrorock mit den eingängigen Kaugummi-Melodien erinnerte Kritiker an frühen 80er-Artpop Marke Tom Tom Club. Pop, radikal runtergebrannt auf die Kernthemen Trinken, Feiern, Sex – und Pop. Affirmation, Baby, Affirmation, hieß die Devise, nicht zuletzt ausgedrückt durch einen unschuldigen Gesang, der sich um nichts zu scheren schien. Diese Platte war wie das genüssliche Kratzen mit dem Autoschlüssel über den Lack fremder Luxuskarossen. 2006 brachen CSS zur Welttournee auf, spielten mit Bonde do Rolê (dem anderen Hype aus Brasilien), Gwen Stefani oder den britischen New Ravern The Klaxons. Mit deren Sänger teilte Lovefoxxx sich die vorderen Plätze auf der „Cool List 2007“ des „NME“ und mit dem Gitarristen Simon Taylor-Davis das Bett – sie sind verlobt. Vier Chartplatzierungen in Großbritannien folgten. Scheinbar ohne große Anstrengung waren die fünf Spinnerinnen aus São Paulo mittendrin im großen Pop-Spiel. Ein weiterer Beleg dafür, dass in Zeiten von Youtube und Myspace der Erfolg mit jenen ist, die nicht Stars sein, sondern Stars spielen wollen.

Nun liegt mit „Donkey“ das zweite Album vor. Eselhaft gibt es sich allerdings nicht gerade: Weder ist es störrisch noch tritt es nach hinten aus. Der rotzige Klang des Debüts ist durch eine glatte Produktion ersetzt worden. Gitarren und Keyboards schwirren nicht mehr durcheinander wie Insektenschwärme, sondern sind fein säuberlich getrennt.

Im Booklet inszeniert Luiza Sá mit ihren Fotos ein ausuferndes Jetset-Leben, immer entlang an den Grenzen der Nacht und des eigenen Körpers. „Who’s got the nerves to loose / In times like this?“ Keine Zeit zum Lockerlassen, keine Zeit für große Gefühle: Liebe ist, sich als Fliege vom Geliebten aushusten zu lassen („I Fly“) oder aus dessen Augen einen Baum zu ziehen („Believe/ Achieve“). Zu selten aber spürt man noch den rohen Charme des Debüts, etwa in den schrägen Pixies-Gitarren am Ende der Rachehymne „Rat Is Dead“. Nicht dass die Band von Pop nichts mehr wissen will. „Move“ beginnt mit synkopischen Dance-Synthies, „Left Behind“ ist ein wunderbarer Popsong. Es ist alles nur eine Spur zu berechenbar.

Vielleicht geht es Cansei de Ser Sexy ja zu gut. Die erste Platte verdankte ihre Radikalität der Tatsache, dass hier ohne Angst gearbeitet wurde. Sollte es mit der Musik mal nicht mehr laufen, blieben immer noch Design und Mode. Iracema Trevisan etwa schon ist wieder ausgestiegen. Diese Entspanntheit nährt aber auch Zweifel, ob diese Band wirklich was zu sagen oder loszuwerden hat.

Mit dem Debüt traten Cansei de Ser Sexy auf wie Partysprenger: nichts zu verlieren, zu allem bereit. Mit „Donkey“ haben sie sich am Buffet eingerichtet. Schade eigentlich.

Cansei de Ser Sexy: Donkey (Sub Pop)

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