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Musik-Rezension: Spiel mit den Wurzeln

Das einzig Berechenbare an DJ Vadim ist seine Unberechenbarkeit. Wie gut die klingen kann, zeigt er auf seinem neuen Album "The Soundcatcher".

Es gibt Musiker, die samplen ihre Werke aus dem Aneinanderklackern von Purpurschneckenhäusern und dem Quietschen einer schlecht geölten Berliner Trambahn. So etwas muss man bei DJ Vadims neuem Album nicht befürchten, auch wenn es "The Soundcatcher" heißt. Vadim ist keiner von denen, die Geräusche wie Briefmarken sammeln und dann zu hochgradig originellen, aber auch hochgradig anstrengenden Collagen zusammenfrickeln. In den Neunzigern durchbrach er mit minimalistischen Beats die Hörgewohnheiten der Breitwand-Hip-Hopper, schuf aber schon damals ungewöhnlich eingängige Grooves und wilderte in der Film-Musik. Spätestens seit "U.S.S.R.: Life from the Other Side" (1999) gehört Vadim zur Crème de la Crème experimenteller Hip-Hop-DJs - neben Krush, Cam und Shadow. Für "The Art of Listening" (2002) holte der Londoner mit russischen Wurzeln sich eine ganze Menge frischer Stimmen ins Studio - ein Rezept, das auch jetzt wieder bestens funktioniert. Nicht weniger als elf Gast-Sänger und -Rapper haben zu seinem neuen Album beigetragen.

"The Soundcatcher" beginnt für vadimsche Verhältnisse erstaunlich poppig. "Fear feats" ist ein sommerlich federnder Reggae, über den Sänger Emo seinen angenehm weichen Gesang legt. Auch beim nächsten Track, "Talk to me", verzichtet Vadim weitestgehend auf Experimente und rückt eine außergewöhnliche Stimme in den Vordergrund. Wer den unberechenbaren Vadim nicht kennt, wird jetzt vielleicht schon die Schublade mit der Aufschrift "Gefällige Grooves für lauschige Lounge-Abende" öffnen. Doch die geht beim Weiterhören ganz schnell wieder zu. Schon das nächste Stück ("Them say") wird von einem völlig entschlackten, aber unwiderstehlich treibenden Ragga-Rhythmus dominiert. Auch der Folge-Track "Soundcatchers" ist "stripped to the bone", wie vielleicht nur Vadim es vermag: Über Paukenschläge, Händeklatschen und Synthie-Fiepen brilliert Ex-"Freestyle-Fellowship"-Rapper Abstract Rude mit extrem lässigem Sprechgesang.

Synthie-Südsee

Vadim lässt nun seinem Spieltrieb zunehmend freien Lauf. Das druckvolle Ragga-Stücke "Kill kill kill" - mit einer sagenhaften Performance von Big Red - steht neben dem wunderschön melancholischen "Milwaukee", das sich ein bisschen anhört wie "Gotan Project" ohne Tango. Auf "Like the wind" schleicht Rapper Deuce Eclipse durch eine Wüstenlandschaft - orientalische Flöten und spanische Reime fügen sich hier bestens zusammen. "Balistic Affairs" kombiniert Froschquaken, Glocken und Computer-Drums zu einem hochabstrakten Rhythmus-Geflecht, über das Skinny Man seine feierlichen Vocals legt. Die wahrscheinlich beste Stimme unter Vadims Gästen hat Kathrin DeBoer: Warm und sehnsüchtig infiziert sie uns auf "Black is the night" mit Fernweh nach Südseehimmel und Piratenkaschemmen. Allerdings zeigt sich besonders bei diesem Track die Zwiespältigkeit von Vadims Herangehensweise: Die abgespeckten, synthetischen Beats mögen vielleicht zu einem futuristischen Rap passen, wirken aber bei einem Reggae-Stück sehr künstlich. Man kann genau das mögen; vielen Reggae-Fans wird dabei aber die nötige "Erdigkeit" fehlen.

Die große Vielfalt des Albums ist gleichzeitig auch sein größtes Manko. Fast jeder Track kann für sich glänzen, in seiner Gesamtheit wirkt "The Soundcatcher" nicht wirklich aus einem Guss. Aber vielleicht soll es das auch gar nicht sein. DJ Vadim ist ein Entdecker, der ständig neue Pfade beschreitet. Mit seinem aktuellen Album ist er wieder einmal über Grenzen gegangen. Wir folgen ihm gerne.

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