zum Hauptinhalt
Maria Callas

© AFP

Musikgeschichte: Die Callas

Sie war die "Primadonna Assoluta", denn auf der Opernbühne beherrschte Maria Callas alle Rollen. Dann machten die Medien sie zur Jetset-Diva. Die Sopranistin verstummte. 1977 starb sie einen einsamen Tod. Onassis will aus ihr eine zweite Grace Kelly machen.

Wann starb Maria Callas? Heute vor 30 Jahren, natürlich, in ihrem Pariser Luxusapartment in der Avenue Georges Mandel Nr. 36. Drogen, Tabletten, Alkohol, die schiere Verzweiflung und splitternackte Einsamkeit? Was weiß die Welt. Vielleicht nur so viel: dass man mit 53 Jahren nicht stirbt, schon gar nicht als „beste Künstlerin der Welt“ und patentierte „Götterbotin“, als „Primadonna assoluta“ und erste und letzte „Kunstheilige“ des 20. Jahrhunderts. Oder eben gerade darum und deshalb.

Zehn Jahre lang lebt die Callas in diesem Apartment im vornehmen 16. Arrondissement, und man meint förmlich, die Gardinen hinter den Fenstern der klassizistischen Fassade wehen zu sehen, rascheln zu hören, so wie sie bei der Garbo, bei Marlene Dietrich, ihrer „Star-Großmutter“ (die ihr zur Beruhigung der Nerven zuweilen eine kräftige deutsche Rinderbrühe gekocht haben soll), bei Romy Schneider und auch bei der Dichterin Ingeborg Bachmann in Rom wohl geweht und geraschelt haben. Der verhohlene Blick als letztes Lebenszeichen. Große Frauen sterben oft allein und in großen Städten.

Herzversagen, so lautet die offizielle Diagnose. Am 20. September findet der Begräbnisgottesdienst statt, fast ein Staatsakt, nach griechisch-orthodoxem Ritus in der Kirche in der Rue Georges Bizet. (Die Figur der Bizet’schen Carmen übrigens verdammte die Callas zeitlebens als moralisch grob und indiskutabel: „Carmen nimmt sich, was sich nur Männer nehmen.“) Monacos Fürstin Gracia Patricia und deren älteste Tochter Caroline folgen dem Sarg an der Spitze eines langen Trauerzuges, nicht Onassis also, der neue Mr. Jackie Kennedy und schäbige Ex-Geliebte, nicht Luchino Visconti, der innige Kunstfreund, keiner ihrer hochmögenden Freundesfeinde aus der Kunst oder der feinen Gesellschaft. Im Krematorium des Friedhofs Père Lachaise wird der Leichnam verbrannt. Zwei Wochen später verfliegt die Asche über dem Ägäischen Meer in alle Winde. Eine marmorne Gedenktafel, ja, die gibt es in Paris.

Wann starb Maria Callas? Auf der Bühne rund 500-mal, als Bellinis Norma, Verdis Traviata, als Tosca, Lucia, Medea, Gilda, Leonora, Mimi ... Nur 500-mal, möchte man sagen, denn die aktive Laufbahn der Callas war vergleichsweise kurz, reicht lediglich auf dem Papier von einem ersten Konservatoriumskonzert am 11. April 1938 in der Athener Parnassos-Halle bis zur letzten Station ihrer Abschiedstournee am 11. November 1974 im japanischen Sapporo: ein Klavierrezital an der Seite des Tenors Giuseppe di Stefano, mit dem sie sich zudem in eine späte Affäre stürzt. Künstlerisch ist das Ganze ein Debakel, ein lächerlicher, gänzlich überflüssiger Sargnagel. Di Stefano – ohnehin nie ein Ausbund an differenzierter Gesangskultur – kann buchstäblich nur noch brüllen, Callas hingegen muss wie auf Zehenspitzen singen, um ihren perforierten Stimmbändern nicht den Garaus zu bereiten. Was für ein Ende.

„Ich habe ein Leben, das ich mir, was meine Karriere betrifft, nie so vorgestellt hätte, nicht im tollsten meiner Träume“, erzählt die Diva in einem Interview. „Nun will ich nichts Weiteres, als mir einen glänzenden Abgang verschaffen.“ Zu diesem Zeitpunkt hat Maria Callas vier Jahre lang keinen einzigen Ton mehr öffentlich gesungen. Und die vier Jahre davor war sie unzufrieden mit sich selbst.

Die sängerische Hoch-Zeit der Callas beschränkt sich, so sagen es Puristen, auf die Periode zwischen 1949 und 1959. Italien also: Rom, Neapel, Venedig, später vor allem die Mailänder Scala, an der sie Triumphe und Skandale feiert, die die Musikwelt seit Caruso nicht mehr gesehen hat; wichtige Tourneen nach Argentinien, Mexiko und in die USA: Chicago und die New Yorker Met, an der sie nicht recht glücklich wird. Zehn Jahre, von Mitte 20 bis Mitte 30, in denen „La Divina“, die Göttliche, wie die sprichwörtliche Kerze – und diese Metapher wirkt nicht erst heute überstrapaziert – an zwei Enden brennt, ja verbrennt.

Was das für eine Sängerin bedeutet, hat Jürgen Kesting („Die großen Sänger“) einleuchtend beschrieben: „Ein leidvolles Leitmotiv in der Geschichte des Singens ist das frühe, das vorzeitige Verstummen. Die emotionale Identifizierung mit einer Rolle und ihren Affekten gehört zu den größten Gefahren der Stimme: Sie kann den Liebestod sterben durch den Verbrauch aller Gefühle. Callas verbrauchte mit ihrer Stimme alle ihre Gefühle und verstand sich nicht auf jene Sparsamkeit, die das Kapital der Stimme unangetastet lässt.“

Die Stimme mag das eine sein. Aber was ist mit dem Kapital des Lebens, was bleibt für den Menschen, wenn die Kunst alle Gefühle frisst?

Wann also starb Maria Callas, wann kam sie der Welt abhanden? Schon als sie den Thron der „Assoluta“ bestieg, der perfekten, alles beherrschenden Sängerin, und im lyrischen, im jugendlich-dramatischen wie im hochdramatischen Sopranfach gleichermaßen reüssierte – um sich damit ebenso hingebungsvoll wie erwartbar zu überfordern?

Die Grenzenlosigkeit ihres Wollens und Könnens, ihre unbändige Gier nach Intensität, nach Ausdruck, dieses Timbre, das Seelen zerschnitt – all das hatte die Callas groß werden lassen, überlebensgroß und zum Synonym für das Metaphysische in der Musik schlechthin. Und all das stand also auf dem Spiel. Oder starb sie, als sie 1958 in Rom – legendäre Szene! – eine Vorstellung der „Norma“ im zweiten Akt wegen akuter Halsschmerzen abbrach und (nicht nur) den in der Loge sitzenden italienischen Staatspräsidenten Giovanni Gronchi düpierte? Als sie ebenfalls 1958 im Streit von der Scala schied vielleicht, nach ruhmreichen 157 Vorstellungen, und Intendant Antonio Ghiringhelli, um den Ovationen des Publikums Einhalt zu gebieten, kurzerhand den eisernen Vorhang herunterließ, ihr nachrufend: „Primadonnen kommen und gehen, aber die Scala bleibt“?

Oder tatsächlich erst an jenem 5. Juli 1965, nach einer wiederum äußerst ökonomisch, äußerst vorsichtig gesungenen Londoner Wohltätigkeitsgala als Puccinis Tosca, ihrem Abschied von der Opernbühne – von dem sie damals gewiss nicht ahnte, dass er es werden würde? „Vissi d’arte, vissi d’amore“ (ich lebte der Kunst, ich lebte der Liebe), Toscas Credo, sie soll es an diesem Abend, glaubt man den Kritiken, inniger gesungen haben denn je, mehr zu sich selbst als zu irgendjemandem sonst auf der Welt.

Man hat der Callas Sellerieknollen und Radieschen auf die Bühne geworfen, man hat sie mit Hymnen, Präsentkörben und Juwelen überhäuft und in einen Kunsthimmel gehoben, aus dem es schon sehr bald kein Entrinnen mehr gab, und man hat sie – als sie bereit war, sich an der Seite des griechischen Society-Löwen Aristoteles Onassis in die vermeintlich rettenden Niederungen der Wirklichkeit zu begeben – um die halbe Welt gejagt, um mit Nachrichten aus genau diesen Niederungen die Boulevardpresse zu füttern und bei Laune zu halten. Geliebt aber hat die Welt die Callas nie. Die Italiener nicht, weil sie Griechin war und herb, der Inbegriff einer Furie. Die Griechen nicht, weil sie jenseits von Epidaurus von der Oper viel zu wenig verstanden. Die Männer nicht, weil sie zu rebellisch war. Und die Frauen nicht, weil sie ihnen vor Augen (und Ohren!) führte, was in den ach so prüden fünfziger Jahren alles möglich war in Sachen Emanzipation und Unabhängigkeit – wenn man es selbst nur wollte, nur forderte. Die Franzosen, ja, doch, die haben sie wahrscheinlich gemocht.

Sie sei immer und überall so schwierig gewesen wie nötig, hat die Künstlerin einmal gesagt, und selbst das hat man ihr natürlich als Allüre ausgelegt, als Häme, als Primadonnen-Arroganz und Provokation. Auch Onassis schlägt diesen Weg ein und das bemerkenswert früh in der Beziehung, als er merkt, dass sie die Lichtgestalt war und bleiben würde und er der Schattenmann. Seine Demütigungen ihrer Person sind Legende: Sie, die schwerst Kurzsichtige, die keine Kontaktlinsen verträgt, darf in seiner Gegenwart keine Brille tragen; ihre Garderobe ist ihm nicht mondän genug, ihre Haare zu lang und ihre Beine zu kurz; und überhaupt trachtet er danach, aus der Hohepriesterin des Belcanto eine Filmschauspielerin zu machen, eine zweite Grace Kelly, eine ganz nach den Maßen seiner Entourage. Und dies alles, lange bevor Jackie Kennedy ins Spiel kommt, die zum Zeitpunkt der ersten gemeinsamen Kreuzfahrt auf der „Christina“ übrigens noch nicht Witwe ist. Was Männer sich nehmen?

Auf die Idee, dass die Callas auf der Opernbühne schlichtweg ein anderes Berufsethos verkörpert und einzuführen sucht, kommt vorerst niemand. Die meisten der Callas-Kriege und -Konflikte sind Auseinandersetzungen um die Bedingungen der künstlerischen Arbeit: Anzahl und Länge der Proben, Bühnenpartner, Kostüme, das Licht, ja nahezu jedes Detail. Dahinter verbergen sich auch Eitelkeiten und Ängste, gewiss, Walter Legges Wort von den „riesigen Minderwertigkeitskomplexen“ der Diva ist hier ein treffliches. Schon als Studentin aber, so berichtet ihre Gesangslehrerin Elvira de Hidalgo, sei Maria die Erste gewesen, die kam, und die Letzte, die ging, ein Muster, ein absolutes Wunder an Strebsamkeit, Folgsamkeit, Auffassungsgabe, Intelligenz und nie versiegender Arbeitswut. Eine Besessene so recht von Anfang an.

Ihr damaliges Erscheinungsbild indes legt den Erfolg nicht unbedingt nahe: „Schon die Idee, dass dieses Mädchen Sängerin werden wollte, wirkte unsagbar lächerlich“, schreibt de Hidalgo in ihren Erinnerungen. „Sie war groß und fett und trug eine Brille mit dicken Gläsern. Ihr ganzes Auftreten wirkte hässlich. Sie steckte in einem zu weiten und formlosen Kleid und kaute, weil sie mit ihren Händen nichts anfangen konnte, auf den Nägeln.“ Es soll allerdings noch 15 Jahre dauern, bis Maria Callas einsieht, dass der Mensch – der des frühen Medienzeitalters zumal! – zunehmend auch mit den Augen hört. In der Saison 1953/54 nimmt sie ihr Äußeres in die Hand, auf Callas’sche Weise, versteht sich, und notiert eisern: „Gioconda 92, Aida 87, Norma 80, Medea 78, Lucia 75, Alceste 65, Elisabetta 64.“ 28 Kilo in wenigen Monaten. Ein Parforce-Ritt. Eine Metamorphose. Ein Verrat auch, eine Selbstvergewaltigung?

Callas’ Stimme hat darunter zunächst nicht essenziell gelitten. Das Klischee will es zwar so, die griechische Tragödin, die sich weniger im Dienst an der Kunst als vielmehr im Dienst an der Gesellschaft opfert, aufopfert, zu Tode hungert und alsbald ihr göttliches Instrument einbüßt – das hätte die internationalen Herzschmerz-Gazetten über Jahre hinweg mit Stoff versorgt. Den Gefallen tut Callas der Welt nicht. Sie habe es für die Bühne getan, lautet ihre so einsilbige wie notorisch wiederholte Erklärung. Und in der Tat: Die hart erkämpften Modelmaße (die niemals solche waren) geben ihr ein Stück Sicherheit, befreien sie aus der Haft des hässlichen Entleins und eröffnen ihr künstlerisch, schauspielerisch aufregend neue Möglichkeiten. Jetzt ist sie die unangefochtene „Regina della Scala“. Und darf mehr denn je, wie Ingeborg Bachmann in ihrer berühmten „Hommage“ schreibt, auf der Rasierklinge leben und tanzen.

Dass ihre Gegnerschaft – etwa die Clique um ihre Konkurrentin Renata „die Engelsstimme“ Tebaldi – dazu übergehen würde, fortan die „Hässlichkeit“ ihrer Stimme zu schmähen, ist nur eine Frage der Zeit. Wobei Maria Callas nie schön gesungen hat, im Sinne eines perfekt verblendeten Registers oder eines süffigen, gefälligen Wohllauts gar. Sie begreift sich vielmehr als Belcantistin im Sinne der Wahrhaftigkeit. Was in den Opern des 19. Jahrhunderts passiert, handelt nicht selten von den Abgründen der menschlichen Seele und Natur. Warum sollte ausgerechnet die menschliche Stimme diese Abgründe nicht kennen dürfen?

Am 20. April 1969 ist Maria Callas Gesprächsgast im französischen Fernsehen. Die um sie herum gruppierten Herren (einschließlich Visconti) blasen ihr Zigarettenrauch ins Gesicht, erinnern sie daran, dass sie keineswegs immer so schlank gewesen sei, und stellen in fadenscheinige Komplimente verpackte Fragen nach ihrer Krise. Callas, mit schweren Augenlidern und einer Frisur wie aus Beton, tritt die Flucht nach vorn an und hält in rollendem-grollendem Französisch ein Plädoyer – für die Diva als Mensch: „Irgendetwas funktionierte nicht mehr. Meine Technik oder meine Nerven. Oder mein Privatleben. Was ich tat, ermüdete mich zu sehr. Ich ermüdete mich für die Kunst. Ich musste wieder Gefallen am Gesang finden. Ich habe mich ausgeruht und seit anderthalb Jahren mache ich weiter, seit anderthalb Jahren übe ich wieder. Bis ich wieder so weit bin.“

Dass sie nie wieder soweit war, hat ihr die Welt bis heute nicht verziehen.

Christine Lemke-Matwey

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false