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Musiklegenden: Sieben Galaxien

Traumzeit: Return to Forever in Neuhardenberg. Retro, Techno, Psychedelic, Indigenes: Die RTF-Oldies sind Meister der Metamorphosen.

Es regnet Bindfäden. Stanley Clarke klappt seinen Schirm zu und besänftigt den Wettergott, Chick Corea hilft auf der Fender Rhodes nach: Klangzerstäuber gegen Grauwolkenschleier. Return to forever: Szenenwechsel auf offener Bühne. Schon stanzt das Quartett kantigen Rock in die Dämmerung, unerbittlich, impertinent – und der Regen hört auf.

Der Schlosspark von Neuhardenberg war schon immer ein verzauberter Ort. Vor zwei Jahren, beim Open Air mit Element of Crime, hing ein Gewitter über den Baumkronen: Before the rain mit Sven Regener, pünktlich zur Zugabe schmetterte Jupiter Blitz und Donner hernieder. Diesmal ist es umgekehrt: Kaum dass die ersten Töne erklingen, schließt der Himmel die Schleusen. After the rain, ein Nachspiel: Wo, wenn nicht hier, in diesen aus der Zeit gefallenen Gefilden, wäre die Erinnerung besser zu Hause?

Ein Wiedersehen nach einem Vierteljahrhundert. Seit März ist die legendäre Fusion-Band aus den Siebzigern wieder auf Tournee, in der hochkarätigsten der drei Return-to-forever-Formationen: Chick Corea mit Keyboard, Synthesizer und Flügel, Stanley Clarke, der Gottvater aller Bassisten, Schlagzeuger Lenny White und Gitarrist Al Di Meola mit seinen Elektroschockwellen. In Deutschland gastieren sie noch in Essen (19.7.) und Bonn (20.7.), die Doppel-CD „Antholoy“ ist bei Concord Records erschienen. „Wir sollen schneller spielen?“ White kontert einen Zuruf aus dem Rasenrund: „Boybands gibt’s genug. Wir sind eine Männerband.“ Quartett der Jazz-Dinosaurier, Reunion der Fusion-Pioniere, vier Freunde für eine Revolution. Corea ist 67! Wenn sie an den eigenen Klassikern entlangspintisieren, laufen sie noch im Oldie-Alter den Boygroups von heute locker den Rang ab. Sehr souverän, sehr lässig, sehr cool.

Die Klassiker: „Hymn of the Seventh Galaxy“, „No Mystery“, „Romantic Warrior“, „Spain“ und noch viel mehr. Sein gesamtes Œuvre lässt Corea in Pianowirbelstürmen anklingen, jede Note, die sie je spielten, jedes Genre, das sie tangierten, ist ihnen zur Natur geworden. Flamenco meets Chicago Blues meets Jazzclub, Funk wird zum Glockengeläut zum Xylophon-Register zur Bass-Elegie zu dekonstruierter Percussion. Die Jungs – pardon, die Männer – gehen von Null auf Hundert, um gleich darauf in träumerisches Stop and Go zu verfallen. Nostalgie? Di Meola zerschreddert sie mit rasenden Riffs.

Retro, Techno, Psychedelic, Indigenes: Die RTF-Oldies sind Meister der Metamorphosen. Sie wechseln nicht die Register, sie ziehen sie alle zugleich, amalgamieren Titel und Themen, fusionieren ihre Reminiszenzen, gehen in der eigenen Musikgeschichte spazieren, leichtfüßig, gedankenverloren. Sphärisches, Atmosphärisches: Chick Corea besänftigt die Wilden und beugt sich zugleich den schlagenden Argumenten des Rock.

Es tröpfelt wieder, die Pause fällt aus. Corea kündigt Stücke aus den Seventies an. Oder waren’s die Sixties? Egal. Alle Musik ist Erinnerung. Die Vier tauschen die elektrischen Instrumente gegen akustische ein und widmen einander lange Soli. Al di Meola beschwört den Geist von Paco de Lucia, Corea singt Children’s Songs am Flügel, Lenny White lässt seine Schlagstöcke in ein Vorspiel zur Ewigkeit stolpern, und Stanley Clarke unternimmt am Kontrabass eine Reise zum Erdmittelpunkt. Herzschlag, Holzschlag, Taktschlag: Clarke lässt den Ur-Rhythmus des Rock durch die Nacht dröhnen, erschüttert das Ohr mit den tiefsten Tönen der Welt, kitzelt, streichelt und zupft, weckt wieselflink die Schlossparkgeister und buschtrommelt so lange ins Wolkengebirge hinein, bis der Mond sich hervorwagt.

Nach dem Regen: Auf dieses Sound-Universum scheint er unerhört gerne.

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