zum Hauptinhalt
Komische Oper

© dpa

Musiktheater: China, wie es singt und kracht

Die Komische Oper in Berlin: Kirill Petrenko und Peter Konwitschny erobern Lehárs "Land des Lächelns“.

Vor zehn Jahren ist den Berliner Operettenfans das Lächeln vergangen. Am 1. Juli 1997 begann im Metropol-Theater planmäßig die Sommerpause. Es sollte eine ewige Ruhe werden – denn kaum waren die 380 Mitarbeiter des Operettenhauses in den Ferien, beantragte Intendant René Kollo die Insolvenz der Bühne. Zwar wurde der damalige Kultursenator Peter „Zigeunerbaron“ Radunski nicht müde, eine zeitnahe Rettung des Theaters wahlweise mit neuem Konzept oder neuen Betreibern anzukündigen, doch der Vorhang blieb unten. Seitdem irren die heimatlos gewordenen Liebhaber der leichten Muse durch die hauptstädtische Theaterlandschaft.

Dass seit einer Spielzeit in dem historischen Gebäude wieder Vorstellungen stattfinden, ist ihnen ein schwacher Trost, denn der neue Admiralspalast hat mit ihrem Begriff von Abendunterhaltung wenig zu tun. Andere Bühnen, die sich die Marktlücke zunutze machten und auch mal eine Operette ins Programm nahmen, gingen zumeist kläglich baden, ob nun das Deutsche Theater mit Offenbachs „Großherzogin“ und Strauß’ „Fledermaus“ oder die Lindenoper mit einer lausigen „Witwe“.

Hoffnung kommt nun ausgerechnet von der Komischen Oper, dem derzeit republikweit mutigsten Musiktheater. Auf den Tag genau eine Dekade nach dem Aus an der Friedrichstraße erlebte hier am Sonntag Peter Konwitschnys Inszenierung von Franz Léhars „Land des Lächelns“ seine umjubelte Premiere.

Gleichzeitig kehrt der Klassiker der silbernen Operetten-Ära an den Ort seiner Uraufführung zurück. Am 10. Oktober 1929 stimmt Richard Tauber zum allerersten Mal „Dein ist mein ganzes Herz“ an und schmetterte die sentimentale Chinoiserie des österreichisch-ungarischen Komponisten damit zum Welterfolg: Dieser historische Augenblick in der jüngeren Geschichte der Unterhaltungsmusik ereignete sich in eben jenen Räumlichkeiten, die heute von der Komischen Oper genutzt werden und damals unter dem Namen Metropol-Theater bei der amüsiersüchtigen Bourgeoisie der Weimarer Republik einen Ruf wie Donnerhall genossen. Peter Konwitschny freilich würde diesen Satz nicht unwidersprochen lassen, denn erstens hält der tiefsinnige deutsche Operndeuter das „Land des Lächelns“ keineswegs für Kitsch, sondern für ein höchst ernst zu nehmendes Stück Zeitgeschichte. Und zweitens würde er Lehárs Partitur kaum dem Genre der sogenannten U-Musik zurechnen wollen.

Dagegen sträubt sich auch Kirill Petrenko, der scheidende Generalmusikdirektor des Hauses, der sich das Werk zum Abschied gewünscht hatte. Und so lässt er denn auch die Ouvertüre prächtig erstrahlen, entfacht mit dem ihm ergebenen Orchester einen Klangfarbenrausch, der sagen will: Hört her, was da alles drinsteckt, was sich der ausgebildete Militärkapellmeister und dirigierende Komponist Lehár bei seinen Kollegen abgehorcht hat! Wird da nicht das ganze ästhetische Panorama der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts aufgerissen, von der üppigen Sinnlichkeit eines Korngold und den frech verfremdeten Schlagerrhythmen eines Krenek über Richard Strauss’ Raffinement und Puccini, der 1924 über seinem unvollendeten China-Thriller „Turandot“ starb, bis hin zu Expressionistischem und sogar Spurenelementen von Alban Bergs „Wozzeck“?

Mit dem gewinnenden Charme, den Petrenkos Interpretationen in den letzten fünf Jahren an der Komischen Oper immer entfalteten, mit festem Zugriff und drängenden Tempi verwandelt er den Schmachtfetzen handstreichartig in eine opera à grand spectacle, lässt zum chinesischen Hochzeitsmarsch AidaTrompeten, Piccoloflöten, kleine Trommel und Becken in den Proszeniumslogen aufmarschieren, schlägt mächtig Krach, bis Lehár klingt wie Schostakowitsch.

Lisas Ankunft in der verbotenen Stadt, die Bühnenbildner Jörg Koßdorff mit meterweise Metalllamellen zur Jaloucity erklärt, inszeniert auch Konwitschny als den wüstesten Moment, wenn prototypische Potentaten vom Neandertaler über Napoleon und Hitler bis zum US-Präsidenten die Ballettmusik (Choreografie: Enno Markwart) für einen grotesken G-8-Gipfel nutzen, nach dem Motto: Tanz den Kriegstreiber-Pogo! Der dreistündige Abend hat einige genialisch doppelbödige Momente, Szenen, in denen die Stimmung immer wieder von gnadenlos überzeichneter Komödien-Heiterkeit ins Lehrstückhafte kippt: Bert Brecht trifft Jérôme Savary trifft Walter Felsenstein trifft den Karneval der Kulturen. Konwitschny beherrscht alle Stilebenen meisterlich und schickt am Ende sogar eine ostasiatische Mutter Courage samt einer Schar von Migrantinnen auf die Bühne, die einen Heiner-Müller-Text deklamieren: Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen? – Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen. – Mein Herz ist rein.

Das alte Stück ächzt mächtig unter dem Deutungsballast, den Dirigent wie Regisseur ihm aufladen. Die Geschichte vom Wiener society girl Lisa, die aus Langeweile den Kick mit einem chinesischen Prinzen sucht, in Peking aber auf noch schlimmere gesellschaftliche Konventionen trifft als in der k.u.k-Monarchie und sich frustriert nach dem heimischen Spießerglück zurücksehnt, wird dadurch nicht besser (und auch nicht durch die wohlfeile Schlusspointe von Léhars Neufassung, in der Sou-Chong die Europäer ermorden lässt). Dennoch hält das Stück der Umarmung durch zwei so starke Interpreten stand. Und beweist damit seine Qualitäten.

Ein pures Vergnügen ist die Spielfreude aller Beteiligten. Die Chorsolisten sind laut Libretto zwar nur Stichwortgeber. Aber wenn sie auftauchen, verwandeln sie das Eröffnungsbild in eine rauschende Ballnacht des dekadenten Wien, entindividualisieren sich im Mao-Blaumann zur nicht nur lippensynchron lobpreisenden Arbeiterbewegung, um schließlich als Vielvölkergemisch den Migrationshintergrund auch des Komponisten ohrenfällig zu machen.

Tatjana Gazdik als Lisa und Karen Rettinghaus als ihre chinesische Busenfreundin Mi chargieren furchtlos als selbstbewusste Luxusgeschöpfe und bleiben auch beim finalen Absturz in die soziale Kälte glaubwürdig, können sich stimmlich allerdings nicht immer durchsetzen. Tom Erik Lees kerniger Bariton macht den Gustl zum ernst zu nehmenden Gegenspieler Sou-Chongs. Dem leiht Stephan Rügamer allerdings einen milchschokoladigen Tenor, wie man ihn sich zartschmelzender für diese Rolle nicht wünschen kann. Während er auf offener Bühne zum Monsieur Butterfly geschminkt wird, singt er so formvollendet, so lieblich, aber auch so erotisierend geheimnisvoll „Wie’s da drinnen aussieht, geht keinen was an“, dass man natürlich sofort einen Blick in dieses Herz erhaschen möchte. Und wenn ihm Regisseur Peter Konwitschny dann die Brust aufreißt, auf dass alle geheimen Gedanken und Sehnsüchte des modernen Menschen zum Vorschein treten, dann dankt das Premierenpublikum ihm dies mit donnerndem Applaus.

Einen einsamen Buhrufer allerdings gab es auch: Ihm war das ganze wohl irgendwie spanisch vorgekommen.

Wieder am 6., 10., 14. und 18. Juli

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false