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Nate Ruess erzählt: Fun in New York

In Deutschland ist er gerade mit dem Hit „We are Young“ in den Charts. Hier erzählt Nate Ruess, Sänger der Band fun., von seinem Leben zwischen Upper West Side, Broadway und Brooklyn.

Neulich habe ich in einer Zeitschrift gelesen, dass man sich nach fünf Jahren in New York einen New Yorker nennen darf. Ich lebe seit viereinhalb Jahren in der Stadt, und ich zähle jeden Tag, der mich näher an dieses Fünfjahresdatum bringt. Das ist mein größter Wunsch: endlich ein New Yorker zu sein. Einfach, weil ich mich hier zu Hause fühle, viel mehr als in Arizona, wo ich in Phoenix aufgewachsen bin.

Arizona müssen Sie sich als einen Bundesstaat vorstellen, in dem viele engstirnige Menschen leben. Es gibt Rassisten, religiöse Fanatiker und Schwulenhasser. Ich habe vor zehn Jahren die Rockband The Strokes verehrt, ihre schmal geschnittenen Jeans fand ich cool, wie sie auf den Bildern im East Village posierten, das fand ich erfrischend. Die Strokes sahen wie vier Jungs aus, die aus den späten 70er Jahren direkt im neuen Jahrtausend gelandet waren. Mit solcher Musik wollte ich nach dem High-School-Abschluss Aufmerksamkeit erregen. Aber wenn ich in engen Hosen die Straße in Phoenix entlanglief, riefen mir andere Jungs Schimpfwörter wie „Schwuchtel“ hinterher. Das hat niemanden gestört, das war völlig normal.

Wie froh war ich, als meine erste Band The Format 2002 einen Plattenvertrag von einer Firma in New York erhielt. Zur Unterzeichnung flogen wir zu dritt hin, das erste Mal nach Manhattan – und ich malte mir aus, dass an jeder Ecke ein Strokes-Klon stehen und Woody Allen über die Straße gehen würde. Und dann ereilte mich die Wirklichkeit. Als wir auf dem Flughafen landeten, stand da: Willkommen in New Jersey!

Ich war verwirrt. Damals hatte ich noch kein Gefühl für die dicht beieinanderliegenden Staaten an der Ostküste, in Arizona brauchte ich neun Stunden, um den Bundesstaat zu durchqueren. Ich fragte mich bang: Oh Gott, wenn wir erst in New Jersey sind, wie lange müssen wir jetzt noch fahren? Der Fahrer, der uns abholte, beruhigte mich: Keine Sorge, New York ist auf der anderen Flussseite.

So war es auch. Nur gab es in der Nähe unserer Plattenfirma, in Midtown East, weder Rocker noch Woody Allen, sondern Bürohochhäuser und Starbucks-Filialen. Ich war ein wenig enttäuscht. Bis ich zum Rockefeller Center ging, die kleine Eislaufbahn sah, die ich aus so vielen Filmen kannte, diesen kleinen Teich mitten in der Stadt – und ich verliebte mich in die Stadt.

Ein Jahr später lernte ich ein Mädchen kennen, das ihr College in Boston abgeschlossen und als Praktikantin bei meiner Plattenfirma gearbeitet hatte. Wir hatten unseren Vertrag in der Tasche, ich war 21, verfügte über ein wenig Geld und sagte: Hey, warum ziehen wir nicht zusammen nach New York?

Wir fanden eine Wohnung in der Upper East Side, an der Ecke von Dritte Avenue und 94. Straße. Ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, direkt über einer Eisdiele. Ich zog in das Apartment, aber im selben Moment überkam mich das panische Gefühl, dass ich meine Band in Phoenix betrügen würde, wenn ich ohne sie in New York bliebe. Ich unterschrieb den Mietvertrag, doch als ich am nächsten Morgen aufwachte, wollte ich nur noch zurück. Ich blieb vier Tage, löste den Vertrag auf, brach das Herz dieses Mädchens – und flog nach Phoenix zurück.

Es vergingen vier Jahre, The Format zerbrach schließlich, und ich lernte ein Mädchen kennen, das im West Village lebte. Im West Village gibt es kleine Straßen mit zweigeschossigen Backsteinbauten, tagsüber spazieren Touristen durch die Gegend, nach wie vor wohnen Künstler und Schauspieler in der Ecke. Als wir uns kennenlernten, gingen wir oft ins Piccolo Angelo, ein italienisches Restaurant mit wenigen Tischen und den besten Ziegenkäse-Ravioli der Stadt. Ich fühlte mich wohl mit ihr, merkte, das wird klappen und überlegte zum zweiten Mal, nach New York zu ziehen.

Ich fuhr nach Brooklyn rüber, der Stadtteil schien mir eine gute Lösung zum Ankommen zu sein, weil ich nicht sofort von Phoenix nach Manhattan gehen wollte. Ich hatte Angst, der Schritt könnte mich wieder überfordern. Ein Freund empfahl mir Carroll Gardens, ein Viertel nahe der Brooklyn Bridge. Viele etablierte Künstler leben dort, jeder schiebt einen Kinderwagen vor sich her und strahlt das Gefühl aus, schon etwas im Leben erreicht zu haben. Junge Familien aus Manhattan ziehen oft rüber, wenn sie Kinder bekommen, aber die Möglichkeit haben wollen, nur ein paar Subway-Stationen von Manhattan entfernt zu leben.

Meine Freundin war zuerst sauer. Sie war in Manhattan aufgewachsen und sollte auf einmal nach Brooklyn ziehen? Sie hatte das Gefühl, dass ich sie aus der Stadt herausriss. Widerwillig kam sie mit. Und nur zwei Jahre später war ich es, der sie aus Carroll Gardens herausholen musste. So sehr hatte sie sich in das Viertel verliebt. Zu dem Zeitpunkt beschlich mich das Gefühl, dass ich ein Leben mit angezogener Handbremse führte. Jeden Abend schaute ich sehnsüchtig nach Manhattan hinüber, wo ich eigentlich sein sollte. Und so besorgte ich uns eine Wohnung in der Upper West Side, wo wir nach wie vor leben.

Wir wohnen an der Ecke von 82. Straße und Central Park West, nur einen Block entfernt vom Museum für Naturgeschichte. Der Komiker Jerry Seinfeld soll in der Straße wohnen, ich habe ihn aber noch nie gesehen. Wir haben eine Etage in einem Brownstone-Haus, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer mit einem Hochbett. Die Decken sind für New York relativ hoch, knapp dreieinhalb Meter.

Was mir an dem Haus gefällt: Es ist nur zehn Blocks von meinem Lieblingsgebäude entfernt – dem Dakota Building am Central Park. Das Haus erlangte eine tragische Berühmtheit, weil John Lennon darin wohnte und davor erschossen wurde. Diese Geschichte zieht mich an, weil ich ein großer Beatles-Fan bin. Wenn ich durch den Central Park jogge und das Gebäude sehe, bekomme ich Gänsehaut.

In New York benimmt sich jeder wie ein Erwachsener, dem gesagt wurde, sich nicht wie ein Erwachsener zu benehmen. Man behandelt die anderen mit Respekt, aber man schreit sie auch mal an. Wenn mich in Arizona jemand anschnauzte, nahm ich die Füße in die Hand und rannte weg. Das kann ich in New York manchmal gar nicht. Ich weiß noch, als ich das erste Mal Auto in Manhattan fuhr – nur einmal den West Side Highway hinunter, eine Strecke von einer halben Stunde Fahrtzeit mehrspurig geradeaus. Ich wurde zehn Mal angehupt und beschimpft. Das würde mir nirgendwo sonst in den USA passieren.

Inzwischen gehe ich lieber zu Fuß durch die Stadt, selbst wenn ich 80 Blocks runter ins Village muss. Ich gehe zuerst durch die Upper East Side mit den jungen Familien, kleinen Cafés und Restaurants. Ich fühle mich noch beschützt von der Hektik der Großstadt. Dann geht es am Lincoln Center vorbei, wo großartige klassische Konzerte stattfinden. Ich erreiche Midtown West, die Straßen sind voller hupender Autos, ich mache einen Schlenker rüber zum Rockefeller Center, weil ich die Architektur beeindruckend finde, diese Betontürme, die endlos in den Himmel ragen.

Weiter Richtung Süden lande ich automatisch am Broadway. Wir alle in der Band mögen Musicals, wir sind in den vergangenen vier Jahren ziemlich oft in welchen gewesen. Am Anfang hat mich meine Freundin jeden Monat in eins geschleppt. Besonders gut gefiel mir „Xanadu“, ein Disco-Musical, das wie der Film in den 70er Jahren spielt. Was ich an der Aufführung toll fand: Es gab Bestuhlung auf der Bühne. Als wir das hörten, waren wir total scharf darauf, einen dieser Sitzplätze so nah am Geschehen zu bekommen. Meine Freundin ist Modedesignerin, sie kontaktierte eine Schauspielerin aus dem Musical und bot ihr an, Kostüme zu schneidern, wenn wir Sitze auf der Bühne bekommen würden. Und so kam es, dass wir drei Rocker und meine Freundin nahe an den Schauspielern saßen und total ausflippten.

Meine besten Konzerte habe ich im Beacon Theatre in der Upper West Side gesehen. Es ist ein altes Theater aus den 20er Jahren mit einer großen Leuchtreklame über dem Eingang. Van Morrison ist mir gut im Gedächtnis geblieben, Martin Scorsese hat seinen Konzertfilm über die Rolling Stones dort gedreht, die Allman Brothers spielen jedes Jahr zwei Wochen hintereinander. Für kleine Auftritte empfehle ich einen Club in der Lower East Side, das Pianos. Sonntags gibt es dort Stand-Up-Comedy umsonst, und hinter der Bar befindet sich eine Bühne, auf der man manchmal Karaoke singen kann.

Ich habe erst einmal in New York eine Karaoke-Bar besucht. Der Vater unseres Gitarristen Jack hatte Geburtstag, wir gingen mit ihm in Midtown essen und anschließend in diese Bar. Ich sang „Don’t Stop Me Now“ von Queen – und ein Typ rief mir „Schwuchtel“ hinterher. Meine Freundin jagte dem Typ wutentbrannt hinterher, bis auf die Straße hinaus, schrie ihn an und machte ihm ziemlich deutlich zu verstehen, wie beleidigend so ein Schimpfwort ist. Na ja, das passiert in Midtown, wo lauter Geschäftsleute abhängen, es ist leider manchmal wie Arizona.

Selten schlagen wir uns inzwischen die Nächte um die Ohren und wissen am nächsten Morgen nicht, wo wir eigentlich waren. Ich erinnere mich an einen Abend im vergangenen Jahr, da ging ich mit unserem Tour-Bassisten Nate in den Bowery Ballroom, weil Freunde von der Band Panic in the Disco auftraten. Angeblich hatte ich ein paar Wodka zu viel. Sagten die anderen, ich erinnere mich nicht daran. Obwohl es gar nicht so leicht ist, mich betrunken zu machen. Das würde ja heißen, ich hätte zehn Glas getrunken.

Auf jeden Fall erinnere ich mich noch, dass wir aus dem Club hinausgingen und sich plötzlich alles um mich herum drehte. Der Boden rutschte mir unter den Füßen weg. Nate sagte nur: „Okay, ab ins Taxi.“ Ein paar Ecken weiter musste ich mich sofort übergeben, der Fahrer schmiss uns aus dem Wagen raus, wir fanden ein neues Taxi, und ab dann habe ich einen kompletten Blackout. Nate erzählte mir am nächsten Morgen, dass wir noch einige Male anhalten mussten und ich mich aus dem Auto heraus übergab. Danach hatte ich die Idee für unser Lied „We Are Young“, der dieses Jahr zu einem Riesen-Hit wurde. So etwas kann man nur machen, wenn man noch jung ist.

Ansonsten leben wir so ein Woody-Allen-New-York: Wir lieben lange Abendessen in guten Restaurants. Da geben wir unser Geld aus. Mein Lieblingsrestaurant im Moment ist das Quatorze Bis in der Upper East Side, an der Ecke von 79. Straße und Zweite Avenue. Das Bœuf Bourguignon ist empfehlenswert. Auf Regalen stehen Bücher von Schriftstellern, Woody Allen und Michael Bloomberg gehen in das Quatorze, das Lokal hat eine reiche, eklektische Kundschaft – alte Ladies mit lilafarbenem Haar, Intellektuelle und wir jungen Rocker.

Im Grunde gibt es in New York nur zwei Typen von Menschen: Die einen wollen ihre Kinder in der Stadt erziehen, die anderen wollen so schnell wie möglich raus, wenn sie welche haben. Ich gehöre zur ersten Kategorie. Einfach weil ich mich überall sonst wie ein Außenseiter gefühlt habe. Ich will nicht, dass meine Kinder einmal dasselbe erleben. Sie sollen mit dem Wissen aufwachsen, dass es viele unterschiedliche Menschen gibt und ebenso viele Möglichkeiten des Zusammenlebens. Eben nicht nur das von weißen heterosexuellen Amerikanern.

Deshalb unterstützt unsere Band ein Wohltätigkeitsprojekt, wir haben einige schwule Freunde und setzen uns mit der „Marriage Equality“-Kampagne für die Gleichberechtigung schwuler und lesbischer Partnerschaften ein. Dieses Jahr werden meine Freundin und ich vielleicht zum ersten Mal am Christopher Street Day in New York teilnehmen. Ich brauche aber keine Schwulenparade, um mich mal als Frau zu verkleiden. Zu Halloween gehe ich manchmal als Jamie Lee Curtis, das ist mein bester Look. Sie hat nämlich genauso kurze Haare wie ich. Ich ziehe meinen Seitenscheitel etwas zurück, mehr auf die Mitte, dann sehe ich wie die Schauspielerin aus.

Von fun. ist gerade das Album „Some Nights“ (Warner) erschienen. Am 28. September treten die Musiker im Berliner Postbahnhof auf.

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