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Justice

© promo

Neuerscheinung: Mehr Schmutz

Digitaler Schweinerock: das französische Duo Justice und ihr Debütalbum „Cross“. Sie schaffen es, elektronische Tanzmusik zum Rocken zu bringen.

Es ist beinahe religiös, mindestens aber wegweisend, was da aus Frankreich kommt. Die CD ist pechschwarz, nur ein kleines goldenes Kreuz ziert das gute Stück. Viel mächtiger prangt dagegen das Goldkreuz auf dem Cover, das im Booklet gar als überdimensionale Rakete abhebt. Die Songs passen zum Rahmen: „Genesis“ oder „Waters of Nazareth“ heißen die Stücke. Doch letztlich geht es nicht um Mystisches, Biblisches oder Christliches. Sondern um etwas Heiliges: den Tanzboden, den Rock ’n’ Roll und die Gerechtigkeit. „Justice“ heißt das Projekt der beiden Franzosen Xavier de Rosnay und Gaspard Augé, und den beiden ist etwas gelungen, was zwei ihrer Landsleute mit „Daft Punk“ vor zehn Jahren schon mal geschafft haben: Sie haben die elektronische Tanzmusik zum Rocken gebracht.

Die Musik auf Justices Debütalbum „Cross“ ist nichts anderes als durch und durch digitalisierter Schweinerock. Nur das hier nicht wie sonst üblich bei musikalischen Grenzgängen einfach mal ein Gitarrenriff geklaut und mit ein paar elektronischen Beats untermalt wurde. Bei Justice wird kopiert, adoptiert und vor allem neu gestaltet. Nicht die Bässe, das Artifizielle, bestimmen die Musik, sondern Gitarrensound, der verzerrt aufgenommen und elektronisch weiter verfremdet wird. Am Anfang tut das weh, wie da Bruchstücke schnell und scheinbar willkürlich aneinandergeheftet werden. Doch wenn sich die Struktur erst einmal erschließt, wenn sich all die Pianos, Orgeln und Bläser mit ihren Melodien, die man aus zweitklassigen Sciencefiction-Filmen zu kennen glaubt, ins Ohr gewühlt haben, beginnt das Herz langsam zu hüpfen. Später wird es beben und Blut in die Beine treiben. Schließlich ist diese Musik mit ihrer Härte nichts für Zuhause. Aber nicht mit dumm donnernden Beats hauchen Justice der Elektromusik neues Leben ein – sie vereinen vielmehr Funk, Disco und Rock ’n’ Roll digital und kreieren so etwas wie Discorock.

Und damit erinnern sie ungemein an 1997, an jenes Jahr, in dem ihre französischen Kollegen von Daft Punk den Dancefloor eroberten und mit „Homework“ einen Meilenstein der Elektromusik schufen. Es war der Höhepunkt eines Techno-Jahrzehnts: Elektro war die Innovation, epische Synthieflächen in Trance, schrilles, lautes Gezwitscher aus der analogen Roland-303-Maschine, die zum Synonym des Acid wurde und in Josh Winks „Higher State of Consciousness“ zum Exzess getrieben wurde. Und dann kam „Homework“. Mit seinen groovigen Rhythmen, seinem Discosound und seinen Rockelementen kreierten Daft Punk den perfekten Sound zur Zeit und markierten damit auch den Endpunkt der Entwicklung. Der Elektronik ging die Puste aus. Es gab noch ein wenig Big Beat, ein bisschen Minimal-House. Und das war’s. Dann wurde Achtziger-Jahre-Pop geremixt und gefeiert, von Innovation keine Rede mehr. Die Jugend strebte zum echten Rock ’n’ Roll. Sie wollten Gitarren, kurz und knallig. Daft Punk hatten den Weg bereitet, ihre Jünger aber sind abgewandert und rocken jetzt auf Arctic-Monkeys-Konzerten.

Justice aber haben die Kraft, die verlorenen Söhne und Töchter zurückzuholen. Mit ihren treibenden Riffs, dem eingestreuten lieblichen Gesäusel einer Discoqueen, mit mitreißenden Drums im Hintergrund. Ihre Musik ist eine Mischung aus gnadenlosem Gitarrenrock und feinem Discosound. In „Waters of Nazareth“ erinnern die knatternd verzerrten Gitarren an AC/DC. Und ihre erste Singleauskopplung „D.A.N.C.E.“ könnte mit ihrem fein gezupften Bass, dem Knabenchor und den Gitarrenriffs glatt eine Kooperation der Jackson Five mit Chic sein. Überhaupt fällt es nicht schwer, Referenzen für ihre Musik zu finden. Schließlich haben sie all ihre Idole und Anknüpfungspunkte gleich ins Booklet geschrieben, um langes Nachdenken zu ersparen. Michael Jackson, Prince und Queen. Aber genauso Britney Spears, 50 Cent und Donna Summer. Und, logisch, Daft Punk.

Die Parallele zu ihren Elektrorock-Vorgängern kommt nicht von ungefähr. Denn in den zehn Jahren, die zwischen den beiden Werken liegen, war der Rock ’n’ Roll nicht tot. Er schlummerte nur in einem kleinen Büro im beschaulichen Montmartre, im Norden von Paris. Dort, wo sonst nur alte Männer mit Ziehharmonika französische Chansons für die Touristen spielen. Dort hat Ed Banger sein Büro, und der Name dieses Labels ist Programm – er ist die französisch gehauchte Version des „Headbangers“. Daft-Punk-Manager Pedro Winter hat das Label 2003 gegründet, seither ließ es immer mal wieder mit knalligem Elektrorock aufhorchen. Vor einigen Wochen erschien bereits die Label-Werkschau „Ed Rec. Vol. Two“. Künstler wie DJ Mehdi, Sebastian oder Mr. Oizo, der mit „Flat Beat“ bereits 1999 einen ersten Hit landete, und natürlich Justice. Die Musik ist immer ein Wechselspiel aus laut und leise, anstrengend und entspannend, aufwühlend und beruhigend. Und insofern sind Justice in letzter Konsequenz doch irgendwo religiös: Sie sind Hoffnung und Apokalypse zugleich.

Justice: „Cross“ (Ed Banger/Warner). Diverse: „Ed Rec. Vol. Two“ (Ed Banger).

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