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© Warner

Neues Album: Neil Young: E-Gitarre mit E-Motor

Zurück in die Zukunft - mit der Umweltlimousine: Neil Young und sein Album „Fork in the Road“.

Immer wieder toll, wie schnell Popmusik sein kann. Gerade hat Präsident Obama den amerikanischen Autokonzernen eine zweimonatige Frist für bessere Zukunftskonzepte gesetzt, da hat Neil Young die Lösung schon parat. „Runnin’ low on the people’s fuel“, singt er und propagiert eine neue ökologische Mobilität. An Kleinwagen denkt er dabei allerdings nicht: „Riding in something that’s really cool on the proud highway“. Gemeint ist ein weißer Lincoln Continental, Baujahr 1959, zweieinhalb Tonnen schwer, den Young zum Elektrofahrzeug umrüsten ließ. Mit dieser Umweltlimousine fuhr er dann vor das Werkstor in Detroit, um zu tun, was er am liebsten tut: es mal wieder allen zu zeigen. Mit der skurrilen Liebhaberei zwingt er virtuos die – wie es im Songtitel heißt – „kollidierenden Welten“ zusammen: das Alte, an dem sein Herz hängt, und das Neue, dessen Notwendigkeit er einsieht.

Dass sogar ein Schwergewicht wie Neil Young Tempo zeigt, wenn es drauf ankommt, dass er sich auf „Fork on the Road“, seinem 34. Soloalbum, der Finanzkrise annimmt und lamentiert, „der Welt geht das Geld aus und die Menschen verlieren ihre Jobs“, dass er die Lärmgitarre als sein bestes Argument einsetzt und sich energisch in aktuelle Debatten einklinkt, lässt ihn als geistigen Nachfahren eines Wolfram von Eschenbach erscheinen. Er zieht wie jener freie Minnesänger und Poet von Stadt zu Stadt, um seine Spott- und Klagegesänge auf die herrschende Klasse anzustimmen. Der Furor, für den er seit zehn Jahren ein immer wieder unbequemes, aufbrausendes Klangbild findet, ist der eines Volkssängers. Viel Mühe verwendet der 63-Jährige auf seine Platten nicht mehr. Wahrscheinlich aus Zeitnot. Aber das macht sie nur noch besser. Jede steht unter dem Eindruck eines anderen Ereignisses.

Auf dem Soul-Versuch „Are You Passionate?“ lastete 9/11, die Kleinstadt- Oper „Greendale“ zeichnete ein Sittengemälde Amerikas in der Krise, „Living with War“ war die Abrechnung eines Alt-Hippies mit der US-Kriegspolitik. Während zuletzt „Chrome Dreams II“ von Autos handelte, die sich nicht mehr fortbewegen ließen, weil sie zu alt und kaputt waren und auf einer Lichtung seiner Kalifornischen Ranch vor sich hinrosteten, hat Neil Young die Karre jetzt aus dem Dreck gezogen. „She’s not the car that she used to be“, lobt er sein rundum erneuertes Gefährt und kriegt sich beinahe nicht mehr ein vor grünem Messianismus. Songs wie „Get Behind the Wheel“, „Hit The Road“ oder „Johnny Magic“ über einen besessenen Automechaniker sind der Soundtrack zu Youngs Lincvolt-Projekt und erzählen uramerikanisch vom Unterwegssein, von Fernweh und Heimwollen. Die Scheu, seinen Songs das Bedeutungsschillernde durch zu viel Nähe zum Gegenstand zu nehmen, ist von ihm abgefallen. Jedes Mal, wenn eine „Sie“ als cool, topless und beautiful gefeiert wird, kann man sicher sein, dass nicht eine Frau gemeint ist. „She’s a machine“, heißt es in „Fuel Line“. Weiter ist die Analogie von Weiblichkeit und Karosserie selten getrieben worden.

Die Botschaft ist so einfach wie obamamäßig: Wenn wir uns ändern, sagt Young, bleiben wir frei. Er kann darüber beinahe sentimental werden, wie die Ballade „Light A Candle“ demonstriert. Das Drei-Minuten-Stück gehört zum Anrührendsten, was der alte Mann mit den lauten, bratzenden Gitarren seit langem geschrieben hat. Hier hört man ihn zur Akustischen eine jener Sehnsuchtsmelodien singen, die seiner dünnen, herben Stimme so viel Grazie verleihen. Tief christlich propagiert das Kerzenschimmer-Lied rückhaltlose Zukunftszuversicht.

Es ist schon kurios, wie der chronisch unzufriedene, abweisende Grantler nach Jahren des Missmuts wieder zu luftigeren Stimmungslagen findet. Young scheint immer mehr in die Rolle eines Nationalökologen hineinzuwachsen, der seinen Landsleuten das hohe Lied vom green way of life singt, ohne sich dabei auf jenen Entsagungsgestus zu stützen, der hiesige Umweltapostel so nervig macht. Er kennt nicht nur seine moralischen Grenzen, er weiß sogar hörenswerte Songs daraus zu machen. „Just singing a song won’t change the world“, lautet das Credo, während Youngs metallisches Saitenscheppern einen wuchtigen Rocksound erzeugt. Und weiter: „You can sing about change while you make your own“.

Das klingt wie ein Kommentar zu seinem zuletzt furios gescheiterten Bemühen, die Protestkultur der Sechziger durch eine Wiedervereinigung von Crosby, Stills, Nash & Young in die Gegenwart zu beamen. Der Film „Deja Vu“ erzählte davon. Neil Young, der letzte große Magier der E-Gitarre, ist auf einem Politisierungstrip. Die Begleitmusiker sind längst zu derselben Lautstärke fähig wie Crazy Horse, die er sich sonst immer geholt hatte, wenn es ihn nach Orgiastischem verlangte. Allerdings fehlt „Fork on the Road“ trotz etlicher sehr guter Momente das Bedrohliche einer an sich selbst berauschten Musik. Aber wen soll diese Schwäche wundern, bietet Neil Young in einem Song doch tatsächlich an: „You can play my guitar, see where it goes“. Wohin das führt? Das Mitmachzeitalter ist der Tod von Rockmusik.

Neil Young spielt mit seiner Band am 16. Juni in der Berliner O2-World

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