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© promo

Neues Eels-Album "Hombre Lobo": Ein echtes Hundeleben

Wie Mark Oliver Everett auf dem neuen Eels-Album „Hombre Lobo“ die Liebe entdeckt.

Der Amerikaner Hugh Everett III war ein junger, aufstrebender Physiker, als er Ende der fünfziger Jahre eine kühne Hypothese aufstellte: Was, wenn nicht nur die bekannte Welt existiert, sondern zeitgleich eine ganze Reihe paralleler Universen? Seine aus der Quantenmechanik abgeleitete Viele-Welten-Theorie wurde seinerzeit von prominenten Kollegen wie dem Nobelpreisträger Niels Bohr als Humbug abgetan. Ihre wissenschaftliche Rehabilitierung erlebte Everett nicht mehr: Er erlag 51-jährig einem Herzinfarkt. Für seinen Sohn Mark Oliver Everett war es der erste einer Reihe von Todesfällen in der Familie: Seine Schwester beging 1996 Selbstmord, kurze Zeit später starb die Mutter an Lungenkrebs.

Everett Junior machte die Verarbeitung seiner Traumata zur professionellen Obsession: Er wurde Musiker, gab sich das Pseudonym E und gründete die personell fluktuierende Bandformation Eels als technisch bedingte Verlängerung seines Künstleregos. Ihre wie mit melancholischem Mehltau überzogenen Alben machten die Eels zur festen Größe des Indierocks. Vor allem das 1998 erschienene „Electro-Shock Blues“ ist als Manifest der Trauerbewältigung eine der aufwühlendsten Platten der Neunziger. Als sich E endlich auf der sicheren Seite fühlte, hielt das Schicksal noch eine grausame Pointe bereit: Wenige Tage vor der Veröffentlichung des Albums „Souljacker“, auf dem Everett mit schepperndem Garagen-Soul die Geister der Vergangenheit auszutreiben schien, starb seine Kusine bei den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001.

Doch all diese Nackenschläge haben E nicht gebrochen. Auf „Hombre Lobo“, dem siebten Album der Eels, zeigt sich der notorische Grantler sogar von einer neuen Seite: „12 Songs of Desire“ verspricht der Untertitel, was keine Übertreibung ist. Der 46-Jährige streift als vollbarttragender Werwolf den zivilisatorischen Firnis des Über-Ichs ab und geht als triebgesteuerter Tiermensch auf die Pirsch. Und er kommt schnell zur Sache: „Birds do it / Bees do it / I wanna do it“ faucht er nach nur 40 Sekunden in dem krachenden Zitteraal-Blues „Lilac Breeze“. „Tremendous Dynamite“ beschwört ein weibliches Gegenüber, das seinen animalischen Leidenschaften gewachsen ist, im Opener „Prizefighter“ treibt ihn der amouröse Furor buchstäblich mit dem Kopf durch die Wand, „Flesh Blood“ zelebriert mit Wolfsgeheul den Sexhunger des „Hombre Lobo“.

Die libidinöse Metaphernwelt rumpelt in Gestalt bösartig verzerrter, hinreißend primitiver Blues- und Trashrock- Dreiminüter daher, die manchmal Ähnlichkeiten mit dem letzten Album von Beck aufweisen, dem anderen großen Indie-Einzelgänger der Neunziger. Doch wo dieser aus der postmodernen Freiheit des „Anything goes“ schöpft und sich jeden Stil leichthändig aneignet, verbeißt sich E mit existenziellem Impetus in das atavistische Gelärme.

Dies ist allerdings nur eine Seite der Medaille. In einer zunächst mechanisch wirkenden, aber einleuchtenden Dramaturgie wird jedem Krawall-Stück ein sanftmütiges Lied gegenübergestellt. Da mutiert der unbezähmbare Wolfsmensch zum schmachtenden Liebespatienten, der zu zartester Akustikgitarre die – natürlich bereits vergebene – Favoritin ansäuselt („That Look You Give That Guy“) oder in dem beatlesken „The Longing“ noch die Fehler seiner Angebeteten auf ein Podest hebt. Auffallend ist der kategorische Konjunktiv, der E’s Liebessehnen durchzieht: Es bleibt immer ein kleines, aber entscheidendes Hätte, Könnte, Wäre, das seinem Glück im Wege steht.

Ein echtes Hundeleben, das selbst über den optimistischen „You can’t hurry Love“-Groove von „Beginner’s Luck“, dem Hit der Platte, einen Schatten wirft. Erst das behaglich schnurrende „Ordinary Man“ am Ende lässt die Möglichkeit aufblitzen, der Außenseiter E könne jemanden finden, der sein Nicht-Gewöhnlichsein zu schätzen weiß. Ehe er das Thema anderweitig – in der jüngst auf Deutsch erschienenen Autobiografie „Glückstage in der Hölle“ (KiWi) und der Mitwirkung bei einer BBC-Fernsehdokumentation über seinen Vater – vertiefte, hatte Everett 2005 mit dem Album „Blinking Lights and other Revelations“ die musikalische Aufarbeitung seiner Vergangenheit eigentlich abgeschlossen. „Hombre Lobo“ hat nicht diese kompositorische Tiefe und Vielschichtigkeit, bleibt als Seelenwanderung eines großen Zweiflers aber hochinteressant.

„Hombre Lobo“ erscheint bei Cooperative Music/Universal

Jörg W, er

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