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Oper: Da lacht das Xylofon

Künstlerdrama, Künstlerliebe: Katharina Thalbach inszeniert in Köln die Uraufführung der Oper "Rotter" nach Thomas Brasch.

Es gibt einen kurzen Moment an diesem langen, verstörend retrospektiven Abend, da öffnet sich unverhofft doch der Hallraum deutscher Geschichte. Das Ende vom Lied, Rotter, die Ratte, der geborene Opportunist und emsigste aller Mitläufer, wird von seinem eigenen, plötzlich riesenhaft projizierten Konterfei verschluckt, final rauschen die Geigen auf, geübter Breitwandsound. Der Jubel des Kölner Opernpublikums sinkt der Musik ins Wort, erschöpft, erlöst. Dann Applausordnung. Chor, Statisten, Tänzer, wuselige Menschenmassen. Und mittendrin, klein und mit schiefer Krawatte, steht Katharina Thalbach, die Regisseurin, und weint und ringt um Fassung.

Für sie kommt hier wohl einiges zusammen. Der Druck einer Uraufführung (nachdem sie der Kölner Oper mit „Salome“ und „Jenufa“ bereits zwei erfolgreiche Inszenierungen beschert hat); und der Hintergrund der persönlichen Erinnerung und deutsch-deutschen Geschichte natürlich. 1976 wird Thalbach im Zuge der Biermann-Affäre mit ihrem damaligen Lebensgefährten Thomas Brasch aus der DDR ausgebürgert, 1977 findet an Peymanns Stuttgarter Schauspiel in der Regie von Christoph Nel die Uraufführung von Braschs „Rotter“ statt, 1979 spielt Thalbach in Schlöndorffs „Blechtrommel“-Verfilmung, 1980 ist sie in Köln Jürgen Flimms legendäres Käthchen von Heilbronn, Brasch schreibt Gedichte, dreht Filme, verweigert sich dem Schicksal eines Dissidenten und Exil-Schriftstellers, erst die Wende lässt ihn verstummen, 2001 stirbt er in der Berliner Charité an Herzversagen, Thalbach ist bei ihm.

Die eigene Biografie wie im Blitzlichtgewitter. Man kann Katharina Thalbach jene Verquickung von Kunst und Leben gewiss nicht verübeln, im Gegenteil. Vielleicht war es aber einfach keine gute Idee, ausgerechnet sie als Co-Librettistin (gemeinsam mit Christoph Schwandt) und Regisseurin für die Oper „Rotter“ zu gewinnen. Authentizität ist der Kunst oft ein schlechter Ratgeber. Ja, vielleicht war es überhaupt und von allem Anfang an keine gute Idee, aus „Rotter“ eine Oper zu machen. Braschs Text mag musikalisch sein und sogar arienhaft, hoch artifiziell montiert und von einer eigensinnigen Ost-Stacheligkeit und poetischen Wut getragen: Alles Gründe, in seine Klanglichkeit, seinen Ton besser nicht einzugreifen, jedenfalls nicht von kompositorischer Seite her. Alles Gründe, diesen Text auf seine alles Zeitstückhafte überwölbenden Kräfte hin abzuklopfen, auf das, was bleibt, bis heute, wenn man das Historische, allzu Historische darin – Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR bis 1953 – beiseite ließe. Rotter als Wendeverlierer oder Hartz-IV-Opfer, das wäre sicher zu platt. Aber Rotters Bart als Metzgersgehülfe, NS-Scherge und Partei-Funktionär ist eben auch verdammt lang und filzig.

Es nimmt wunder, wie wenig Thalbach zu derlei Konkretionen auf Distanz geht, wie bierernst sie sie nimmt – und wie sehr sie bestrebt ist, dem Stück kein Haar zu krümmen. Als würde es vor unseren Augen und Ohren luftdicht versiegelt, so glotzt und grüßt das ach so sperrige politische Sprechtheater von vor 30 Jahren an diesem Abend aus dickwandigen Weckgläsern. Gestützt von einer Theaterästhetik, die man schier nicht glauben will, als hätten Bühnenbildner Momme Röhrbein und Kostümfrau Angelika Rieck im Fernsehen wochenlang abwechselnd „Die Gustloff“ und „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ geguckt: eine Bahnhofshalle, Waggons – zisch, qualm – von links, Waggons – qualm, zisch – von rechts, ein echter Mops für die Charleston-Tänzerinnen der Goldenen Zwanziger, ein Schäferhund für die DDR-Grenzposten, Juden mit Judensternen, rote Nelken, ein dekoratives Schützengraben-Ballett. Alles nur Theater, alles „falsch“, alles zäh. Nicht die geringste Spur von Zitat oder Ironie. Auweia. Und nicht der leiseste Gedanke daran, dass Brasch mit „Rotter“ doch eigentlich ein Künstlerdrama erzählt, sein Drama.

Mit Torsten Rasch hat die Kölner Oper einen Komponisten beauftragt, der dieses Konzept der Unantastbarkeit keinesfalls stören würde. Der 43-jährige Dresdner hat im Kreuzchor gesungen, Lieder von Rammstein neu vertont und in Japan Filmmusiken geschrieben. Und exakt so klingt auch seine „Rotter“-Partitur (musikalische Leitung: Hermann Bäumer): Ein bisschen nach Richard Strauss und Korngold und Zweiter Wiener Schule, ein bisschen nach Revue; wenn gelacht wird auf der Bühne, lacht das Xylofon mit, wenn’s unheimlich wird, unken Schlagwerk, Blech und Pauke, die Reichskristallnacht ergeht sich in gepflegten Kakophonien, Rotters Frau Elisabeth (sauber: Regina Richter) ist die Zwillingsschwester der „Wozzeck“-Marie, und am Ende, wenn Rotter sich ganz allein in der weiten Welt wiederfindet, begleitet eine Solovioline seine Himmel- respektive Höllenfahrt.

Der Chor der „Alten Kinder“, gewiss, darf mancherlei Schlichtschönes singen. Und Hans-Georg Priese arbeitet sich so wacker wie blässlich durch die Titelpartie, während Albert Bonnema den Gegenspieler Lackner mit allen hysterischen Finessen ausstattet. Fürs Theatermuseum mag der Stoff taugen – für einen derart historischen Opernabend indes sind dreieinhalb Stunden entschieden zu lang.

Christine Lemke-Matwey

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