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Oper: Scherz über Bord

Erotisches Handgemenge: David Alden inszeniert Rossinis "Turco in Italia" an der Staatsoper in Berlin.

Der Streit über den kulturgeschichtlichen Wert von Richard Paulicks Staatsopern-Ausstattung aus dem Jahr 1955 hat ja auch sein Gutes. Man betritt den altvertrauten Bau mit neuer Aufmerksamkeit. Herrlich, dieses körperbetonte Flanieren beim Einmarsch der Gäste. Schade nur, dass nicht gerade Winter ist: Da kommt beim Warten vor der Abendkasse noch der erquickende Zugluftfaktor dazu. Ohne Hast drängelt man sich durch den Brutkasten des Parkettfoyers, dann folgt der erhebende Abstieg in die Katakomben zu Garderobe und Bar. Hier schüchtert keine Herrschaftsarchitektur den Besucher ein, bei Deckenhöhen wie im heimischen Neubau fühlt man sich gleich zu Hause. Über fadenscheinig gelatschten Nesselfilz geht es nun zu den Toiletten.

Hier sind Vergangenheit und Gegenwart mit Händen zu greifen, billigste Baumarkt-Keramikware aus der Nachwendezeit steht im Dialog mit den originalen Plastekonsolen unter den Spiegeln, die Wände zieren authentische DDR-Fliesen in Steingrau und Schimmelgrün. Jetzt aber endlich in den Saal: Dich, teure Halle, grüß ich wieder! Tief einatmen – und sofort stellt sich die süße Kindheitserinnerung ein, als man beim Versteckspielen in Mutters Kleiderschrank schlüpfte. Die Hand streicht über den Sitzbezug. Ja, so fühlte sich der Stoff ihres Mantels an, eine Kunstfaser, geschaffen für die Ewigkeit und garantiert fleckenfrei, wie der Praxistest mit dem Pausen-Rotwein beweist.

Sollte das Licht nicht immer brennen in diesem Saal, so wie zu seligen Zeiten, bevor Richard Wagner die Zuschauer ins Dunkle verbannte, damit man Paulicks einmaligen Rokoko-Talmi bestaunen kann? Von der Bühne sehen die meisten sowieso wenig. Wer im Parkett unter 1,80 Meter misst, hat garantiert einen Über-1,80-Mann vor sich, der ständig hin und her ruckt, weil er nicht weiß, wo er seine Beine lassen soll. Auf den Seitenrängen sieht man noch weniger. Dafür hört man hier auch am schlechtesten. Keksdosentrockene 0,5 Sekunden Nachhallzeit statt der erstrebenswerten 1,6 Sekunden. Zum Glück funktioniert der Saal ja wie ein gigantisches Hörgerät. 60 Lautsprecher sorgen für eine perfekte synthetische Akustik.

Oper ist eben Illusionstheater. Wie passend, wenn vorne harmloses, hintersinnfreies Musiktheater-Entertainment gezeigt wird wie jetzt bei der Neuinszenierung von Rossinis „Turco in Italia“. Die Hingucker des Abends stammen von Paul Steinberg und Buki Shiff. Der Bühnenbildner hat eine Art 3-D-Katzenzunge erfunden, eine psychedelisch vor dem Auge flimmernde geometrische Figur, und damit alle Bühnenwände tapeziert. In diesem fiesen Seventies-Ambiente feiert die Bühnenbildnerin eine Couture-Orgie, die so richtig nach der 10-Millionen-Euro- Etataufstockung aussieht, die die Staatsoper gerade eingestrichen hat.

Eine Modenschau bei Neureichs. Solisten, Chor und Statisterie, alle sind eingespannt bei diesem Drei-Stunden-Defilee, es gibt Petticoats und breit gestreifte Anzüge, Abendmode in Schwarz-Weiß-Variationen, Gauchos und Copacabana-Mädels, Playboy-Häschen und Smokingträger. Drei Paare wie aus dem „Moulin Rouge“ haben einen 90-Sekunden-Auftritt, die Damen in Strass und Straußenfedern, die Herren in weißen Fräcken mit Paillettenzylindern. Alles maßgeschneidert, alles sündhaft teuer, alles dramaturgisch total zweckfrei.

Regisseur David Alden interpretiert nicht, er bebildert diese Buffo-Oper, mit der Rossini an den Erfolg seiner „Italiana in Algeri“ anknüpfen wollte. Ein türkischer Fürst besucht Italien, verguckt sich in eine verheiratete Frau, versucht, sie dem Ehemann abzukaufen, und geht dann doch wieder mit seiner Ex Zaida an Bord. Die ganze Handlung wird von einem Theaterautor vorangetrieben, der sich die Realität zum bühnentauglichen Zweiakter zurechtbiegen will. David Aldens Gespür für Timing aber ist schlecht, seine Personenführung hilflos, Alfredo Daza als dichtender Spielmacher wirkt auf die Dauer zu zappelig, Alexander Vinogradov als Türke ist ein schauspielerischer Totalausfall, der lediglich saubere Töne liefert, und als Ehezicke auf Hausfreundsuche bleibt Christine Schäfer, die große Künstlerin im ernsten Fach, erschreckend blass. Wenn sie am Ende zerknirscht zum Gatten zurück will, dann hat sie ihren intensivsten musikalischen Moment. Um zur Primadonna des Abends zu werden, müsste sie aber wissen, wie man Koloraturen als Waffe im erotischen Handgemenge einsetzt. Wie das geht, demonstriert Lawrence Brownlee: Hier ist alles Exhibitionismus, hier vibrieren die Stimmbänder vor Erregung, jeder Ton geht ihm wie ein wohliger Schauer durch den ganzen Körper.

In der undankbaren Rolle der Zaida macht die kluge Katharina Kammerloher Bella Figura – und das, obwohl sie zwischen all den Fashion-Opfern im Samtsack herumlaufen muss. Renato Girolami kann zwar das „R“ wunderbar knallen, gibt im Übrigen aber routiniert die Boulevard-Knallcharge. Im Orchestergraben müht sich Constantinos Carydis im Schweiße seines Angesichts um Brio und Leichtigkeit, um scharf akzentuierte Linien und plastischen Klang, und bringt es doch nur zu zuchtmeisterlich überdrehten oder zerdehnten Tempi, denen jegliche Lockerheit fehlt. Die Staatskapelle spielt ebenso willig wie glanzlos. Rossinis Partituren aber funktionieren nur ganz oder gar nicht. An diesem Abend bleibt es bei tödlich langweiliger Spieluhrmusik.

Unterdessen hat sich Daniel Barenboim aus Mailand, wo er gerade an der Scala dirigiert, zu Wort gemeldet und sich noch einmal für eine mutige Renovierung der Staatsoper starkgemacht. „Die Diskussion ist für mich ein Zeichen für die Krise um die Identität von Gesamtberlin“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Wenig Verständnis hat er für den Freundeskreis der Oper um Peter Dussmann, der sein Sponsoring zurückziehen will, sollte der moderne Entwurf des Architekten Klaus Roth realisiert werden. Klaus Wowereit müsse eine „historische Chance“ nutzen: „Wenn der Bau eine Sensation wird in der Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart und Futurismus, dann ist das ein Zeichen für die Zukunft des neuen Berlin.“

Wieder am 24., 27. und 30. Juni.

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