zum Hauptinhalt
Medea

© DAVIDS/Hilse

Opernpremiere: Alles vliest

Berliner Premiere: Sasha Waltz choreografiert Pascal Dusapins "Medea" an der Staatsoper. Und beide Künstler verbinden ihr Können zu einer perfekten Symbiose.

Was aber ist Schönheit? Darüber muss man nach der Premiere von Sasha Waltz’ und Pascal Dusapins „Medea“ in der Berliner Staatsoper Unter den Linden lange nachdenken. Denn soviel Schönheit liegt in diesem kurzen Tanz- und Opernabend, dass man den Saal verlässt wie nach einer optisch-auralen Kur, irritiert schon durch die Üppigkeit von Gold und Stuck draußen, auf den Gängen der Staatsoper.

Nicht die Schönheit des Tiefen, Klassisch-Ausgewogenen aber ist es, die diesen Abend ausmacht, der in Berlin zur Premiere werden lässt, was Ende Mai in Luxemburg uraufgeführt wurde. Auch Ästhetizismus liegt der neuen Tanz-Produktion von Sasha Waltz fern. Mit ihrer zweiten „choreografischen Oper“ nach „Dido und Aeneas“ geht sie stattdessen einen ganz eigenen Weg: Die Schönheit ihrer „Medea“, ausgedacht auf das „Medeamaterial“ des französischen Komponisten Pascal Dusapin, besteht in ihrer absoluten Glanzlosigkeit. Nichts an diesem Opernabend glittert mehr, nachdem einmal die Überreste des goldenen Vlieses, von Jason mit der Hilfe Medeas geraubt, als Konfetti ausgestreut worden sind.

Nichts lenkt von Musik und Tanz ab

Es gibt kein Bühnenbild und nur wenige Licht-Effekte. Die Kostüme weigern sich, Kostüme zu sein und sind Gewänder in stumpfem Grau, Weiß oder Schwarz. Immer wieder lässt Waltz die Musik ruhen, etwa um jenen stummen pas de trois aufführen zu lassen, der die Widersacherin Glauke in den Tod bringen soll. Die Klänge selbst bleiben ohne Schmuck. Dieser Opernabend beginnt unmerklich, mit einem elektronisch verfremdeten Liegeton, der längst klingt, wenn das Publikum noch seine Plätze sucht. Dusapin lässt sich danach Zeit beim Hochfahren der orchestralen Möglichkeiten. Er instrumentiert zart und oft in langen Haltetönen oder Klangtrauben, bevorzugt kleine Intervalle wie die Terz, wickelt nur selten Tongirlanden und mutet seiner Solo-Sopranistin kaum große Höhen zu – obwohl die fabelhaft präsente, stimmlich absolut souveräne Caroline Stein damit gewiss keine Schwierigkeiten hätte.

Überdeutlich wird durch diese Strategien die Reverenz vor der Allgültigkeit der antiken Tragödie um Medea, die Mordende, die Verratene und Vergessene, schließlich Verrücktwerdende zur Schau gestellt. Doch ersetzen frappierende Augenblicke die Abgründigkeit, die sich ebenfalls daraus entwickeln ließe – wie der des mählichen Hineinrollens der Tänzer auf die Bühne gleich anfangs, die sich nach und nach auf dem Boden zum Kreis zusammenschließen, einem antiken Chor gleich, der von Anbeginn ahnt, wie unausweichlich beengend, ja erstickend sich das Geschehen entwickeln wird. Oder jener der plötzlichen Verlebendigung eines quasi-antiken Frieses an der Wand. Auf einmal beginnt sich das steinerne Gebilde zu regen. „Das gibt’s nicht,“ flüstert die Nachbarin zur Linken bestürzt.

Ein tänzerisch-musikalisches Gesamtkunstwerk

Über die siebzig Minuten dieses Abends hinweg erweist sich Waltz’ „Medea“ als ein tänzerisch-musikalisches Gesamtkunstwerk, das seine Aussagekraft weniger aus der Überzeitlichkeit der Tragödie bezieht, sondern eher aus den Mitteln des auf das 21. Jahrhundert übertragenen Mottos „Ornament ist Verbrechen“ (Adolf Loos), dessen Kühle und Sachlichkeit stetig durchkreuzt werden: durch Finger, Hände, Füße, Körper, durch die für Waltz’ Stil so typischen stilisiert-natürlichen Bewegungsabläufe, auch durch die Leiblichkeit des Gesanges.

Insofern hat man sich die richtige Musik ausgesucht, eine, die genügend Raum für Choreografie und Visualisierung freigibt und mit deren Einbindung sich zu gleicher Zeit zeigen lässt, welche Wege sich für das Opernschaffen und Operninszenieren in Zukunft noch eröffnen können. Denn schon der 1955 geborene Dusapin hält sich zurück. Für sein „Medeamaterial“ hat er die Textbearbeitung von Heiner Müller nochmals kondensiert. Dusapins Libretto wird allein von dem poetisch zerstückten inneren Monolog der Medea getragen, nur eingespielt werden die Sprechstimmen ihrer Amme (Laura Erceg-Simon) und von Jason (Thomas Lehmann). Dazu sieht Dusapin ein reduziertes Orchester und einen kleinen Chor vor, später, als Medea immer weniger bei sich sein wird, splittet er ihre Figur und stellt ihr weitere Frauenstimmen zur Seite.

Unbeschrieben von jeder Opernchortradition

So kann und wird seine Vertonung nicht als akustischer Quertreiber erscheinen, und auch der unter Marcus Creed spielenden Akademie für Alte Musik gibt diese Zurückhaltung Gelegenheit, beim Debüt mit Neuer Musik zu glänzen und die durch das Spiel mit barocker Musik erworbenen Kenntnisse einzubringen: Genauigkeit und klare Linie, Vibratolosigkeit und Kühle, die hörbare Fertigkeit, mit tänzerischen Rhythmen umzugehen, so kraus und atonal sich diese auch geben mögen. Ausgesucht und perfekt einstudiert klingt auch das knapp zwanzigköpfige Vokalconsort Berlin; die Männerstimmen tönen nach Messing, hell und substanzreich, ungefärbt dagegen die Frauen, als ob sie es bei der Stimmbildung nur darauf angelegt hätten, so unbeschrieben von jeder Opernchortradition wie möglich zu erscheinen.

Wären nun aber nicht die gegen Ende scharf anspringenden Windmaschinen, die die Geschlossenheit des Bühnengeschehens brechen und der überaus ästhetischen Melange aus Reduktion und Natürlichkeit einen geradezu gewalttätigen Kontrapunkt entgegensetzen (was zuletzt allerdings auch dazu führen wird, dass der Schluss aus leisen, fein repetierten Klängen vom Publikum zerhustet wird), man wäre versucht, an die doppelsinnige Etymologie des Wortes „Schönheit“ zu denken. Und an den großen Satz, dass Schönheit von „Schein“ komme: nicht nur also mit dem Leuchten von innen zu tun habe, sondern immer auch das Unechte, Substanzarme meine.

Wieder Dienstag, 18., sowie am 20., 22. und 23. 9.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false