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Paul Kalkbrenner im Interview: "Ich bin ein bisschen wie Ramses"

Wenn Paul Kalkbrenner in den Spiegel schaut, packt ihn der Größenwahn. Ein Gespräch über Rias 2, Begrüßungsgeld und seine Hochzeit auf Schloss Herzfelde.

Herr Kalkbrenner, Sie sind gerade von einer Nordamerika-Tour zurück. Spüren Sie noch den Jetlag?

Eastbound ist es am schlimmsten, also wenn man Richtung Osten reist. Ich bin heute schon seit Mitternacht wach ...

Jetzt ist es elf Uhr morgens. Und nächste Woche müssen Sie weiter nach Tokio und Singapur.

Mit den Jahren ist das Reisen stressfreier geworden. Ich muss meine Technik nicht mehr selbst mitnehmen, das macht jetzt mein 20-köpfiges Team, das ist immer schon anderthalb Tage vorher da. Ich hab nur mein Handgepäck im Rimowa-Koffer.

Sie spielen vor Zehntausenden.

Ich mache halt Stadion-Techno. Und kann mir Dinger leisten, die früher nicht drin waren. Zum Beispiel: zwischendurch aufs Klo gehen. Wenn du das im kleinen Club wagst, leert sich sofort die Tanzfläche. Bei meinen Konzerten ist das kein Problem. Wenn ich drei Stunden spiele, geh ich zwischendurch zwei Mal hinter die Bühne, pinkle, wechsle das durchgeschwitzte T-Shirt, und wenn ich zurück komme, sind alle noch da.

Arte feiert Sie als „Elektrohelden der Nation“, das Technofachblatt Debug unterstellt Ihnen eine ordentliche „Portion Größenwahn“. Wer hat recht?

Das ist kein Widerspruch, im Gegenteil. Ich will mich unter Druck setzen. Zu Hause vor dem Spiegel herrscht privater Größenwahn, immer.

Erklären Sie uns das bitte.

Nehmen wir Zlatan Ibrahimovic ...

... den schwedischen Fußballer, der neulich gegen England 4:2 alle vier Tore schoss ...

... der behauptet doch täglich, dass er der Größte sei. Damit setzt er sich unter Druck. Und ich glaube ganz fest, dass dieser Druck dann auch motiviert und Leistungen erst möglich macht.

Es heißt, Ihr bekanntester Hit „Sky & Sand“ werde von Techno-DJs nicht gerne aufgelegt.

Höchstens noch in Dorf-Diskos. Die großen Techno-Läden spielen generell nichts von Paul Kalkbrenner. Das ist der Lauf der Dinge. Da muss jeder durch, der klein anfängt und groß wird.

Woher kommt die Ablehnung?

Wenn jemand Underground ist, also nur einer begrenzten Gruppe bekannt oder sogar irgendwie avantgardistisch, und dann plötzlich mehr Menschen interessiert, auch außerhalb seiner Subkultur, dann gilt derjenige automatisch als blöd.

Kränkt Sie das?

Nein, weil ich weiß, dass es gar nicht anders sein kann. Das ist ein bisschen wie bei den Typen in den Business-Loungen. Die essen keine Hummerschwänze mehr, sobald es der Normalo kann.

Welche Vorteile hat der Erfolg noch?

Ich muss nichts mehr selbst aufbauen. Selbst den Soundcheck übernehmen andere.

Sie müssen sich gar nicht vorbereiten?

Doch, ich ziehe meine Schnürsenkel fest, damit die Turnschuhe richtig sitzen. Das gibt mir eine gute Körperspannung. Dann noch einen Energydrink, und los geht’s.

Uns ist aufgefallen, dass Sie beim Spielen ein bisschen leidend aussehen. Sie gucken auch die ganze Zeit nur auf Ihre Regler.

Hab’ ja auch zu tun. Ich fühle mich wie unter einer Käseglocke, schon nach wenigen Minuten. Ich bin auch ganz froh, dass die ersten Fans in acht Metern Entfernung und zwei Meter tiefer hinter der Absperrung stehen.

Herr Kalkbrenner, mögen Sie keine Menschen?

Doch, aber jetzt kann keiner mehr kommen und mir sein Bier auf mein Mischpult kippen. Ich hatte da früher so einige negative Erfahrungen. In der Maria, einem Club hier in Berlin, kam mal ein Fremder an und hat mir drei Winterjacken übers Pult gereicht – der dachte, ich sei die Garderobe.

Sie sprechen auf der Bühne nicht zu Ihren Fans.

Richtig, bei mir gibt es auch keine Zwischenansagen. So ein „Ey Berlin, seid ihr gut drauf, yo?“, das will ich nicht.

Sven Väth als abschreckendes Beispiel und absurde Song-Titel

Von Ihrem Frankfurter Kollegen Sven Väth kursiert auf Youtube ein Video, in dem er während eines Sets das Publikum unterhält – mit Sprüchen wie „Es ist all about gude Laune“ oder „Die Message is Feierei“.

Ich halte gar nichts von „Gude Laune“. Ich kann auch für großen Jubel sorgen, ohne irgendeinen Ton zu sagen. Ein bisschen wie Ramses. Der hat auch nie was gesagt, Ramses stand immer nur da.

Aber warum?

Ich will meine Musik nicht verschandeln.

Immerhin haben Ihre Lieder Titel. Die Ihres neuen Albums „Guten Tag“ heißen etwa „Speiseberndchen“, „Das Gezabel“ oder „Schnurbi“. Was soll uns das sagen?

Gar nichts. Der Einzige, der damit vielleicht etwas anfangen kann, bin ich selbst.

Okay, dann mal exemplarisch: Was genau fangen Sie mit dem Wort „Schnurbi“ an?

Das ist reines Dada. Buchstabensuppe. Manches ist blödes Gequatsche aus Teenagerzeiten. So Sachen, die man auf Diktierkassette aufgenommen hat und sich dann auf seinen ersten Joints halb schlapp gelacht hat.

Geben Sie damit nicht denen recht, die sagen: Techno hat keine Botschaft, keine Inhalte?

Meine Musik ist der Inhalt, der Rhythmus, der Beat. Und ich empfinde Freude beim Gedanken daran, dass ich Radiomoderatoren zwingen kann, meine Quatschtitel anzusagen.

Wenn ein Außerirdischer käme, der Ihre Musik gar nicht kennt – wie würden Sie dem erklären, was Sie da eigentlich machen?

Ich würde ihn vollknallen mit meiner Musik, danach hätte er keine Fragen mehr.

Von welchen Künstlern lassen Sie sich inspirieren?

Ich höre gar keine andere Musik, vor allem nicht in Phasen, wenn ich komponiere. Weil ich ein guter Kopist bin. Sobald mich irgendwas inspiriert, mach ich genau das. Wer nichts hört, ist auch dagegen gefeit, irgendwelchen Trends hinterher zu laufen. Meine Musik kommt von innen.

Wie genau muss man sich das vorstellen?

Ich drehe unter Druck auf und werde erst richtig gut, wenn die Deadline sichtbar ist. Mein Onkel ist Maler, der sagt: Ein Maler malt immer, selbst wenn er nicht vor der Leinwand steht. So ist das auch bei mir. Als elektronischer Musiker arbeitet man ja an Dutzenden Ideen gleichzeitig. Die Schwierigkeit besteht darin, die Stücke fertig zu machen. Wie arrangiere ich die Tonspuren so, dass ich auf 5 Minuten 21 komme? Was dann folgt, ist Handarbeit. Dazu muss ich mich am Ende fast zwingen. Theoretisch könnte ich mich ja immer weiter in Feinheiten verlieren. Wichtig ist, den Zeitpunkt zu erfühlen, an dem man sich von dem Stück löst und sagt: So, das ist jetzt nicht mehr antastbar.

Sie haben niemanden, der Ihnen Feedback gibt?

Früher musste ich meine Platten dem Label vorzeigen. Da hat man mir in die Songs reingequatscht, mach mal so, mach mal so. Das ist jetzt vorbei, denn ich habe mein eigenes Label. Ich muss mich nicht mehr beschränken lassen. Außerdem kann mir niemand besseres Feedback geben als ich. Auch zur Länge der Songs und Reihenfolge. Ich gebe mir da viel Mühe. Ach nee, das erzähle ich nicht.

Nur zu.

Naja, das ist bei mir ein grafisches Ding. Ich nehm für jeden Song ein großes Stück Papier, schreib den Titel drauf und noch ein paar Wörter, die das Stück beschreiben. Wie lang es ist und wie schnell. Klingen Schellen dabei oder nicht? Dann leg ich die Zettel auf den Fußboden und schieb die so rum, wie man Möbel rückt. Eine Woche lang hin und her. Vor ein paar Jahren konnte ich das noch nicht.

Wann haben Sie das letzte Mal so heftig gefeiert, dass Sie es hinterher bereut haben?

Ich bereue es schon, wenn ich nach einem meiner Konzerte noch Backstage anstoße und dann statt acht Stunden nur vier schlafen kann. Da bin ich schon bedient. Wenn ich in meinem Alter mal richtig loslegen würde, ginge es mir anschließend richtig schlecht. Eine halbe Nacht Gas geben und dafür drei Tage krank im Bett liegen? Nein, danke. Das steht einfach in keinem Verhältnis mehr.

Stimmt es, dass Sie nach drei Uhr nachts nicht mehr auftreten?

Ich bin doch schon 35, ich muss haushalten. Wenn ich von zehn Uhr abends bis ein Uhr auftrete, habe ich mehr Kraft. Ich bin ein Abendtyp, kein Nachttyp.

Wann haben Sie das letzte Mal durchgemacht?

Das ist ewig her.

Vielleicht im August auf Ihrer Hochzeit? Sie haben drei Tage auf Schloss Herzfelde in der Uckermark gefeiert.

Nein, da sind wir irgendwann ins Bett. Da waren ja die ganzen Omas und Tanten und Eltern dabei.

Wer hat sich bei Ihrer Hochzeit eigentlich um die Musik gekümmert?

Freunde von mir und meiner Frau. Die haben vorab eine Liste bekommen mit Liedern, die wir gerne hören wollten.

Verraten Sie uns, was da drauf stand?

Das ist eine viel zu private Frage, und genau weiß ich’s auch nicht mehr, denn darum hat sich meine Frau gekümmert. Ich musste nur erscheinen.

Erinnern Sie sich an die Musik, die in Ihrem Elternhaus lief?

Meine Eltern waren keine großen Musik-Fans. Bei uns liefen DDR-Schallplatten, „Der Traumzauberbaum“, Reinhard Lakomy, so was. Aber auch nordirische Folkmusik oder Western. Ennio Morricone, Winnetou-Musik. Ich habe viel Radio gehört. Meine Eltern wollten mich immer für DT 64 begeistern, aber das fand ich nicht so gut. Ich mochte Rias 2, saß stundenlang vorm Radio und habe die Songs auf Kassette mitgeschnitten.

Haben Sie die Bänder noch?

Die nicht mehr, dafür ein paar alte Techno-Kassetten. Die hatte ich neulich mal wieder in der Hand und wollte sie mir anhören. Nachdem ich minutenlang vor- und zurückgespult habe und total genervt war, wusste ich, warum dieses Medium heute ausgestorben ist.

Das erste Mal Mc Donald's und Lichtenberger Nazis

Als die Mauer fiel – sind Sie da gleich in den erstbesten Plattenladen?

Nein, das begann etwas später.

Das Begrüßungsgeld ging nicht für Musik drauf?

Das haben meine Eltern einkassiert. Die wollten nicht, dass ich mir davon irgendeinen Unsinn kaufe. Ich war natürlich stinksauer. So lange, bis ich mir ein Deutschland-Trikot kaufen durfte. Es war aber kein offizielles vom DFB, sondern ein nachgemachtes für 35 Mark. Und ich war mit meinem Vater bei Mc Donald’s am Ku’damm. Für uns DDR-Kinder war Mc Donald’s ja das gelobte Land. Der Hamburger schmeckte natürlich noch viel besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Nachdem ich fertig war, nahm ich das Papier mit nach Hause, um abends noch daran riechen zu können.

Mit 15 haben Sie angefangen, elektronische Musik zu machen.

Im Jugendclub BBC, einem grauen Zweistöcker an der Bernhard-Bästlein-Straße in Lichtenberg. Dort habe ich immer samstags von 18 bis 24 Uhr gespielt, zusammen mit meinem Freund Sascha Funke. Wobei ich die ersten Monate nie bis zum Ende bleiben konnte, ich musste um elf zu Hause sein. Das heißt, ich musste spätestens die Straßenbahn um 22.47 Uhr nehmen und drei Stationen fahren. Ich hatte auch meinen kleinen Wäschekorb dabei, mit den 20 Vinyl-Platten, die ich anfangs besaß.

Über diesen Teil von Lichtenberg heißt es gelegentlich, er sei eine No-Go-Zone für Ausländer.

Damals in den frühen Neunzigern war es für jeden eine No-Go-Zone, der irgendwie jugendlich aussah und kein Nazi war. In die Weitlingstraße konnte man sich nur in Mannschaftsstärke trauen. Da hingen die Nazis ab, Treffpunkt war ein besetzter Altbau, Hausnummer 122. Furchtbar.

Ab wann wussten Sie, dass Sie hauptberuflich Techno-Produzent sein wollen?

Ich bin ja Schulabbrecher, habe nicht mal die elfte Klasse geschafft. Und mit meinem Abgangszeugnis konnte ich mich nirgendwo bewerben wegen der vielen unentschuldigten Fehltage. Es waren 79.

Wie haben Sie das denn geschafft: 79 Fehltage?

Ich bin einfach nicht mehr zur Schule gegangen. Das lag auch am Techno. Gerade montags war ich nicht mehr da. Wenn doch, oft erst ab der dritten Stunde, und dann schon bekifft. Meine Eltern wollten, dass ich zur Bundeswehr gehe.

Und Sie haben ihnen das ausgeredet?

Ich habe freiwillig ein Praktikum gemacht, um zu beweisen, dass ich diszipliniert sein und auch mal vier Monate am Stück hart arbeiten kann. Das war bei einer Rohrlegerfirma. Wir mussten hinten in der Clayallee einen US-Bunker entkernen. Ich hab mich mit ner riesigen Hilti, so einem Bohrhammer, hingestellt und musste Wände wegstemmen. Ich wusste: Wenn ich das durchziehe, ist die ganze Armee-Scheiße vom Tisch, und ich kann mich um die Musik kümmern.

Wissen Sie, was Ihre Eltern heute über Ihren Beruf denken?

Mein Vater bekommt kaum den Knopf oben zu! Er sieht mich manchmal live, war zum Beispiel im September beim „Berlin Festival“ auf dem Flughafen Tempelhof. Er weiß montags immer genau, wo ich am Wochenende gespielt habe – weil er sich die Videos auf Youtube anschaut, die Fans von meinen Auftritten hochladen. Natürlich auch die von meinem kleinen Bruder.

Das ist Fritz Kalkbrenner, er ist ebenfalls ein erfolgreicher Techno-Produzent. Gibt es da Konkurrenzkampf?

Nee, den kann ich nicht als Rivalen empfinden, er ist halt Klein-Fritzchen.

Sie lachen. Doch über Fritz’ letztes Album schrieb der Rezensent des Tagesspiegels: „Wenn der kleine Bruder der größere ist.“

Soll er nur! Da freu’ ich mich und denke: Mein Album kommt ja noch.

In der Geschwisterforschung gibt es eine Studie, nach der der Erstgeborene vier IQ-Punkte mehr hat als der Nächste.

Das muss auch so sein, er muss sich ja kümmern. Das hat die Natur schon richtig eingerichtet. Früher erbte der Erstgeborene ja den Hof, trug die ganze Verantwortung. Da sage ich: Gut so, Evolution!

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