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© Imago/David Heerde

Politpop: Die Revolution der kleinen Tritte

Neue Alben von Ja, Panik, Bernd Begemann und den Goldenen Zitronen nehmen die sozialen Kämpfe von morgen vorweg.

Der Lappen fängt sofort Feuer. Benzin. Flammen zündeln. Und schon fliegt der Molotowcocktail durch die Luft, in Zeitlupe, zerplatzt an einer Betonmauer. Junge Männer, in schwarzen Klamotten und durch Tattoos als harte Kerle ausgewiesen, springen im Kreis. Pogo. Das Video von Jochen Distelmeyers Song „Wohin mit dem Hass?“ spielt mit Motiven von Straßenkampf und Gewalt. Der Sänger, der noch vor kurzem in einem Interview hatte verlautbaren lassen, dass er „nicht mehr kämpfe“, steht in weißem Anzug in düsterer Tiefgaragenkulisse und singt, als gingen ihn die Flammen und das Geschubse tatsächlich gar nichts an: „Kennt ihr die Reichen und Mächtigen? Lasst ihre Wagen brennen.“ Was ist das denn? Ein Aufruf zur Sachbeschädigung? Oder der Hinweis, dass, wenn schon, dann wenigstens die richtigen Autos angezündet werden sollten?

Es rumort im Land. Und das nicht erst, seit mit Schwarz-Gelb eine Regierungskoalition an die Macht gelangt ist, die weit weniger gewillt scheint, die sozialen Härten der Marktwirtschaft auszubalancieren, als ihre Vorgänger. Schon die Hartz- IV-Gesetze haben das Klima verändert, das Vertrauen in die Reichweite des Wohlfahrtsstaates erschüttert. Die Unzufriedenheit mit der wachsenden sozialen Polarisierung lässt immer mehr Popmusiker zu einem politischen Ton zurückfinden, der bei Ton Steine Scherben und Fehlfarben schon einmal die Querverbindung zwischen Straßenbarrikade und Hitparade gesucht hat. Dafür stehen neue Alben von Altmeistern des Punk wie die Goldenen Zitronen , aber auch von gemäßigteren Songwritern wie dem Hamburger Bernd Begemann. Auch die Alben von Ja, Panik und Safi können als Resonanzraum für die erwarteten Spannungen und Krawalle gehört werden. Nicht dass sie den Soundtrack kommender Straßenschlachten liefern. Dafür sind die Popmusiker zu sehr mit ihrer eigenen Rolle als Verlierer beschäftigt, seit sie der Niedergang des Tonträgermarktes ans untere Ende der Polarität gerückt hat. Aber das Bemühen um eine Sprache des Widerwillens ist spürbar bis in die ungeschützte Zurschaustellung nervlicher Zerrüttung hinein.

Ein Nervenbündel ist der Hamburger Sänger Bernd Begemann schon immer gewesen. Seinen fülligen Körper wirft er mit Vehemenz in jeden seiner verspielten, kurvigen Rocksongs, schreit wie toll, echauffiert sich, schnauft und wütet. Seine Themen findet er im Vorgarten, wie er sagt – eine Auffassung von Pop, mit der Begemann seit seinem Debüt 1987 gegen alle Distinktionsbarometer ansingt. Politisches streift er dabei gelegentlich. „Ich erkläre diese Krise für beendet“, verkündet der 46-jährige „elektrische Liedermacher“ jetzt, jedenfalls prangt das als Titel auf seiner Mitte Oktober erscheinenden neuen Platte. Aber das bedeutet wohl, dass ihn die Wirtschafts- und Finanzkrise sowieso nie interessiert hat. Überfordert zeigt er sich stattdessen von einer Frau, der er sein Herz schenken würde, aber: „Sie redet Revolution, sie atmet Aufruhr.“ Das ist ihm eindeutig zu viel Alltagsumkrempelei. Wobei es nicht um Eskapismus geht in diesem zupackenden Song, sondern um die Zumutungen des Expliziten, wie sie jeder Politparole eigen sind. Ohne mich, sagt der Sänger zu dem zu erwartenden Chaos, wenn man die Welt wirklich verändern könnte.

Als Spießer, der Begemann nicht verhehlt zu sein, besingt er umso leidenschaftlicher eine desaströse Betriebsfeier. „Ich identifiziere mich nicht mit der Firmenphilosophie“ ist ein schönes, munter federndes Lied über die neuen dynamischen Arbeitswelten (Stichwort: horizontale Hierarchie). Was macht man eigentlich, wenn man am Arbeitsplatz einfach nur seine Ruhe haben und nicht bedrängt werden will von Sinnstiftungsmodellen der Firma, die emotionale Teilhabe fordert? Das fragt sich Begemann, der selbst nur knapp an der McJob-Existenz vorbeigeschrammt ist. „Ich wünsche mir wirklich die Zeit zurück“, singt er, „da wurde man unterdrückt und musste das nicht selber tun.“ Ein Luxusproblem, gewiss, das weiß der Musiker auch und fügt hinzu: „Es ist nicht wirklich schlimm, dass es so ist, wie es ist / Wirklich schlimm ist lediglich, dass es ab jetzt so bleeeeeiiiibt.“

Wie viel Ekel in diesem gedehnten Wort steckt! Und wie viel Wahrheit. Die wackeren Baadap-baadap-Gesänge zum Ausklang sind leer drehende, reinste Trostlosigkeit. Vorbei die Zeit, da Popmusiker sich als Spaß-Avantgarde abgeklärt und in ihren Nischen unberührbar gaben – hatten ja immer was Besseres, Aufregenderes vor. Hedonismus als Lebensentwurf ist nicht mehr angesagt, weil zu teuer. Aber richtig arbeiten, das haut auch nicht mehr hin. So gerät der freie Geist der Popkultur unter Druck, der von jeher für Selbstverwirklichung und Nonkonformismus stand. Was kann Popmusik noch wollen, nachdem sich ihre subkulturelle Sprengkraft erschöpft hat? Reicht es, nur ein bisschen unbequem zu sein?

„Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint / Gib mir in dieser schweren Zeit irgendwas, das bleibt“, dichteten Silbermond vor geraumer Zeit in „Irgendwas bleibt“. Das Video dazu zeigte die Sängerin der Band durch die dreidimensionale Animation einer Demonstration laufen, ebenso unbeteiligt und doch mittendrin wie Distelmeyer. Die pittoreske Gewaltszenerie sollte andeuten, dass ihre Beschwerde über die schnelllebige Gegenwart etwas mit linkem Protest zu tun habe. Der Song war ein Hit. Die Goldenen Zitronen, Fun-Punk-Veteranen der ersten Stunde und gerade nicht an Sicherheit interessiert, nehmen die regressive Sehnsucht der jüngeren Musikergeneration denn auch dankbar zum Anlass, um sich über deren verqueres, weinerliches Weltbild zu amüsieren. Auf ihrer neuen Platte „Die Entstehung der Nacht“ parodiert die sechsköpfige Band um Sänger Schorsch Kamerun und Gitarrist Ted Gaier wie ein irrer Clownschor die Silbermond-Zeilen, als wollte sie nachträglich verhindern, dass „Irgendwas bleibt“ ein weitverbreitetes Unbehagen formuliert – und tröstet.

Das ist die Methode des Agitprop. Im „Spex“-Interview beklagt Kamerun vor allem das defensive Verhältnis zur Einmischung, das Silbermond verkörpere. Sein eigener gehetzter, assoziativer Sprechgesang gibt derweil die Beschleunigung und Unmenschlichkeit des Systems ungeschützt an den Hörer weiter. Dazu rumpelt ein Schlagzeug, quäkt eine Gitarre und bollert monoton der Ein-Ton-Bass. Alpenhörner glühen in der elektronischen Krachkulisse. Die Dekonstruktion des Hitmaterials will zum Horror Vacui totaler Verunsicherung vorstoßen, getreu der Band-Devise, dass man ihre Lieder „im Stadion nicht mitsingen können“ soll.

Gewiss, spröde Hässlichkeit, wie sie die Goldenen Zitronen praktizieren, ist noch immer ein Ausweg in die Dissidenz. Wenn auch auf Kosten der Nachvollziehbarkeit. Deshalb begeistert dieser Tage die österreichische Band Ja, Panik mit ihrem Riecher für aufwühlende, unfertige Klangbilder, in denen die Dramatik neurotischer Ängste wunderbar plastisch eingefangen ist. „The Angst And The Money“ heißt das dritte Album der ursprünglich in Wien beheimateten, jetzt aber nach Berlin verzogenen Band. Hier hat sie ihre vorläufige Heimat bei dem „Schisserlabel“ Staatsakt des Musikers und Journalisten Maurice Summen gefunden. Der würde die Band „am liebesten kaputt reden“, was man sofort versteht. Denn Ja, Panik sind musikalisch die Schwesterband zu Summens eigener Formation Die Türen. Beide besingen in ihren Songs „die leeren Taschen der Taugenichtse“, die sich einem Türen-Song zufolge ständig sagen müssen „Pause machen geht nicht / Sonst bist du arbeitslos und pleite.“

Daran knüpft der hypernervöse Crash- Pop von Ja, Panik an. Assoziativ und ungenau stürzen hier Fragmente früherer Parolen ineinander, in Englisch, Deutsch und Französisch. Aber Wortführer Andreas Spechtl ist mit einer Gabe gesegnet, die der Diskurs- und „Klugscheißer-Pop“ der Hamburger Schule nicht besaß – absolute Identifikation. Hier wird nicht die distanzierte Geste von eigentlich nicht Betroffenen eingenommen. „Ich war außer mir und schwer entsetzt, war gegen mich selbst aufgehetzt. War schwärzestes Schwarz, war Minenfeld, war hässlich, schrecklich arg entstellt“, heißt es in „Alles hin, hin, hin“. Immer wieder wird der Song vom Ausruf „Ach, verflixt, alles hin“ unterbrochen. So hat der Lebenskünstler und Bohemien, der früher stolz darauf war, nichts Nennenswertes zu besitzen, weil es ihm frei machte, aufgehört, sich als positiven Gegenentwurf zu den Leistungssklaven zu sehen. Die ungewisse Existenz nagt am Rockmusiker. So weit ist es gekommen.

„Ohne Geld keine Angst“, glauben Ja, Panik, „ohne Angst kein Geld“. Das ist zwar eine reichlich defensive Theorie menschlicher Antriebskraft, aber sie führt direkt in die angefressene Grundstimmung einer um ihr existenzielles Überleben kämpfende Dropout-Szene, die sich im Gegensatz zu früher ihr Außenseitertum nicht mehr aussuchen kann. So verkehren sich die Vorzeichen. Es ist nicht mehr nötig, von subkulturellen Gegenpositionen aus gegen das System zu wettern. Da es kein Außen gibt, ist die Entfesselung ein gegen sich selbst gewandtes Wüten, das sich gelegentlich auf die Straße verlagert. „We will turn demons into kings“, versprechen Ja, Panik.

Ja, Panik, aus dem Burgenland, jetzt in Berlin ansässig, bringen mit „The Angst And The Money“ ihr drittes Album heraus (Staatsakt).

Bernd Begemann
macht seit 1987 Platten, als Mitglied von Die Antwort, später solo. Mit der Band Die Befreiung hat er „Ich erkläre diese Krise für beendet“ eingespielt. Das Album erscheint am 16.10. (Tapete).

Die Goldenen Zitronen bringen „Die Entstehung der Nacht“heraus (Buback).

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