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Keys

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Pop: Alicia Keys: Liebe, ein Meer

Pop für die iGeneration: Alicia Keys veröffentlicht ihr bislang bestes Album.

Eine Dekade neigt sich, verneigt sich vor sich selbst. Die nuller Jahre, geboren in den Rauchfahnen des World Trade Centers, haben den Ort des Angriffs von sich selbst entfremdet. Statt die coolste Stadt auf dem Planeten zu sein, war New York plötzlich ein empfindliches Gebilde und gar nicht mehr berauscht von sich selbst. Der Satz, „If I can make it here, I can make it every where“, hatte seinen Glanz verloren. Popmusiker eilten zu Hilfe, aber ihre New-York-Hymnen feierten nur ein verlorenes oder zerkratztes Lebensgefühl, eher stoisch als stolz.

Niemand brachte die Kraft auf, die Alicia Keys jetzt in eine so simple Zeile legt wie „New Yooooork, concrete jungle where dreams are made of / There’s nothing you can’t do / Now you’re in New Yooooork.“ Und da sie es hinausschreit, den Ton lange hält und wie ein Ausrufezeichen in die Welt pflanzt, ist das Universalitätsempfinden plötzlich wieder spürbar, das die Stadt auf besondere Weise mit der Welt zu verbinden pflegte. Man fühle sich hier wie neu, zählt Keys die Vorzüge in „Empire State Of Mind (Part II) Broken Down“ auf. Die Taschen voller Träume inspirieren einen die Neonreklamen ebenso wie das Elend an der Straßenecke, singt sie. Diesen Rausch der Behauptung sowie das Bewusstsein, sich in New York für vollkommen zu halten, hat man lange nicht mehr vernommen.

Es mag für Alicia Keys, diese zierliche Person von 28 Jahren, nahe gelegen haben, eine New-York-Hymne zu schreiben. Immerhin ist sie in Hell’s Kitchen, einem Stadtviertel von Manhattan aufgewachsen. Doch dass der bezaubernde Song jetzt am Ende von Keys viertem Studioalbum „The Element of Freedom“ aufflammt, ist eine Überraschung. Gerade erst hatte der Rapper Jay-Z mit demselben Lied – einer Kooperation von beiden – einen Hit. Keys Version ist mit perlenden Pianofiguren versehen, eine Ballade von zeitloser Eleganz. Damit rückt sie nach dem Selbstfindungsmanifest „As I Am“ wieder in die Mitte des Mainstream- Pop, die sie zuletzt zugunsten deutlich rauerer, erdigerer Soul- und R & B-Elemente aufgegeben hatte.

In der ungeschützten Akrobatik der Stimmführung erinnert „Empire State Of Mind“ an den ersten Keys-Hit „Fallin’“. Im Jahr der 9/11-Katastrophe ebnete er dem Wunderkind aus der sozialen Abstiegszone den Weg in die Superstarliga, wo sie heute mit über 30 Millionen Platten neben Britney Spears, Beyoncé und Mariah Carey thront. Schon die ersten Töne in „Fallin’“, ansatzlos gesungen, ließen damals keinen Zweifel an ihrem Format, das sie dadurch noch untermauerte, dass sie sich ihre Songs nicht von versierten Produzenten vorsetzen ließ, sondern an ihrer Entstehung federführend mitwirkte. Das ging zuerst gründlich schief, bis der alte „Hit Maker“ Clive Davis das enorme Talent des gerade volljährig gewordenen Mädchens entdeckte. Er kaufte es aus einem unerquicklichen Vertrag heraus und beging nicht den Fehler, es formen zu wollen. Es war einer der letzten Coups des „großen Überlebenden“ der Musikindustrie.

Im April letzten Jahres musste Davis mit 76 Jahren seinen Chefsessel räumen. Unfreiwillig. Man traute ihm nicht mehr zu, die iTunes-Generation zu erreichen. Ob Alicia Keys es auch ohne sein Gespür für Geschmack und Stardom geschafft hätte? Die Rezeptur ihrer Musik ist simpel: geschmeidiger Gesang, Hip-Hop- Beats und die Klassizität des Pianos – das macht ihre tief in der emotionalen Dynamik des Soul verwurzelten Lieder für die Masse interessant. Andererseits war sie als das Straßenmädchen, als das sie aufwuchs und lernte, sich die Kerle vom Leibe zu halten, viel zu eigenständig. „I was thinking of Alicia Keys“, sang Bob Dylan einmal ergriffen, „I couldn’t keep from crying/ While she was born in Hell’s Kitchen/ I was going down the line.“ Keys brauchte die guten Kontakte ihres Mentors Davis in die Fernseanstalten hinein.

Längst hat sie sich emanzipiert. Welchen künstlerischen Status sie heute besitzt, zeigt ein Blick auf das Jahr 2009, das sie geprägt hat: Erst spielte sie mit Jack White den Bond-Titelsong „Another Way To Die“ ein, dann schrieb sie für Whitney Houston die Comeback-Single „Million Dollar Bill“, bevor sie Jay-Z beschenkte und mit „Doesn’t Mean Anything“ einen weiteren Top-Ten-Hit landete. Und der Song ist nur der Vorbote eines brillant arrangierten, organischen Albums, auf dem sich mit dem schleppend kühlen „Love Is Blind“, dem bollernden Schmerzgesang von „Try Sleeping With a Broken Heart“ und dem düsteren „Like The See“ weitere Höhepunkte finden. Sie haben die Nestwärme von Genres hinter sich gelassen. Das müsste der iGeneration gefallen.

„The Element of Freedom“ von Alicia Keys ist bei Sony erschienen.

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