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Salzburger Festspiele: Auf zum nächsten Fortissimo

Riccardo Muti dirigiert einen "Otello" aus der Mottenkiste. Diese Desdemona beflügelt allerdings die Karriere der Moskauerin Marina Poplavskaya.

Wir könnten ja schon einmal üben – und eine Stimme entdecken. Ein erstaunliches Register mit noch jungen Tiefen und mädchenhaften Spitzen, eine strahlende, volle Mittellage und Höhe, ein Timbre wie aus Seide, Sekt und Sandpapier, ein großer lyrisch-dramatischer Sopran. Die Moskauerin Marina Poplavskaya hat gerade an der Met ihren Einstand gegeben und singt in London Partien wie Natascha in Prokofjews „Krieg und Frieden“ (unter Valery Gergiev) und Elisabeth in Verdis „Don Carlos“ (unter Antonio Pappano), außerdem wird sie als Marguerite in Gounods „Faust“ an der Berliner Lindenoper zu erleben sein. Eine hoch gewachsene, slawische Schönheit mit langem Blondhaar, ganz der Melisanden-Typ (die hat sie natürlich auch im Repertoire, ebenso wie Tatjana, Rosina, Violetta, Donna Anna und Donna Elvira) und in Ausstrahlung und Ausdruck einer Magdalena Kozena zum Verwechseln ähnlich.

Poplavskayas Debüt bei den Salzburger Festspielen als Desdemona dürfte ihrer Karriere einen kräftigen Schub verpassen. Bei aller beklagenswerten Krise der Gesangskunst (die ja nie das stimmliche Material meint, sondern Technik, mangelhafte Stilistik und das notorische Sich-Wegwerfen für den schnellen Erfolg): Salzburg ist nach wie vor das Silbertablett, auf dem Agenten, Intendanten und Plattenchefs sich kredenzen lassen, was eine Saison später ihre Covers und Konten ziert.

Zum Beispiel eine Desdemona, die nicht nur in quasi-elisabethanischen Gewändern eine gute Figur macht (Kostüme Emma Ryott, immerhin geht Arrigo Boitos Libretto für Verdis „Otello“ auf Shakespeare zurück), sondern sich im Duett des ersten Akt auch höchst dekorativ an die gepanzerte Brust des glücklich heimgekehrten Mohren schmiegt und zum bösen Ende hin gar die Herzen rührt: im weißen Nachthemd und allein vor flackerndem Kerzenlicht, betend, bangend, irre werdend an der Lächerlichkeit des Schicksals. Eindringlich, wie Marina Poplavskayas Stimme überschnappt, ja vor Todesangst und Entsetzen schier zu bersten droht: ein gestohlenes Taschentuch, eine mittelmäßig kunstvolle Intrige, schon wird der Mann als Mann zum Tier. Belcanto, so erfährt man hier, heißt beim späten Verdi alles andere als Schöngesang oder balsamischer Wohllaut.

Nichts anderes freilich scheint Riccardo Muti im Sinn zu haben. Was er am Pult der mäßig interessiert wirkenden Wiener Philharmoniker aus Verdis fortschrittlichster, kühnster, intelligentester Partitur macht, grenzt ans Skandalöse. Alter Trick: Solange die Musik laut genug ist, merkt’s keiner. Und sie ist mehr als laut im akustisch ohnehin nicht gerade gesegneten Großen Festspielhaus – Ovationen also und rote Rosen für den Maestro. Da ruft das Blech gleich in der Sturmmusik des Beginns zum Jüngsten Gericht, da kreischt das Holz in den höchsten Tönen, als wäre der Dirigent mit dem Schlachtermesser hinter ihm her, da pressen die Streicher die letzten Leimreste aus ihren Instrumenten.

Verdis „Otello“ hat solche Momente, in denen die ganze Welt zum Himmel schreit, gewiss. Diese aber entfalten ihre Implosionskräfte nur, wenn die doppelten Böden dafür bereitet sind. Wenn sowohl das Liebeswerben des Duetts als auch alle kriegerische Heldenverehrung sich stets als infiziert erweisen, als kränkelnd: Leidend an Jagos schmählicher Absicht und also an der menschlichen Urangst, es könnte mit einem Schlag aus und vorbei sein mit der Akzeptanz, den gewonnenen Schlachten und blonden Frauen. Als gesellschaftlicher Außenseiter, so komponiert Giuseppe Verdi, ist sich Otello, der Mohr von Venedig, seiner Sache niemals sicher. Was für ein Thema. Riccardo Muti indes schert dies alles nicht. Er steht in den Startlöchern zum jeweils nächsten fünffachen Fortissimo und nimmt gern in Kauf, dass so manches in Gleichgültigkeit auseinander fällt. Ein Puls, ein Feuer, eine innere Dramatik oder Dramaturgie sucht man vergebens, und das macht es auch jenen Sängern schwer, die stimmlich weniger privilegiert sind als Marina Poplavskaya. Aleksandrs Antonenko etwa, der Lette, der einen soliden, ausgeglichenen, charakterlich aber kaum überschäumenden Otello gibt und durchaus Probleme hat, übers Orchester zu kommen; oder Carlos Álvarez’ Jago, dessen Dämonie sich in lateinisch-selbstgefälligen Grenzen hält. Einzig der Cassio des jungen Amerikaners Stephen Costello lässt aufhorchen: welch feiner, sirenisch timbrierter, empfindsamer Tenor!

Einen neuen „Otello“ gab es bei den Salzburger Festspielen zuletzt im Jahr 1972. Musikalische Leitung und Regie: Herbert von Karajan. Ganz in dessen konservativem Geist agiert nun der englische Regisseur Stephen Langridge. Wellen schäumen, Flammen lodern, Schwerter werden in die Erde gerammt. Statische Tableaus vor einem düsteren Festungsbollwerk (Bühne George Souglides), ein „Otello“ aus der Mottenkiste. Das wiederum dürfte in Zeiten von Barack Obama fast als Kunststück gelten.

Wir konnten jetzt also schon einmal üben, wie gesagt – bevor die georgische Sopranistin Nino Michaidze in Salzburg womöglich eine Weltkarriere startet. 25-jährig, furchtlos, proper anzusehen und Einspringerin für die schwangere Anna Netrebko an der Seite Rolando Villazons. Er ist Romeo, sie Juliette (bei Gounod), und die gesamte Medienlandschaft übt sich seit Wochen hysterisch im Kaffeesatzlesen. Wird sie’s, kann sie’s? Netrebko kannte niemand, damals in Salzburg. Aber das muss kein Vorteil sein.

Christine Lemke-Matwey

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