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Pop: Saufen und Singen

Albumkritik

Ein Keller in Ekstase: Verrenkte Gliedmaßen, verschwitzte T-Shirts, grinsende Gesichter. Wir befinden uns im Berliner Mudd-Club. Es ist März 2007 und rund 200 Leute sind gerade von einen dürren Jungen mit rötlichen Haaren in eine andere Dimension katapultiert worden. Ins pure Pop-Glück.

Der Trick, mit dem der damals 21-jährige Jamie T diese magische Stunde herbeizauberte, bestand größtenteils aus einem Überraschungseffekt: Jeder im Raum kannten sein Debüt-Album „Panic Prevention“ (Virgin), ein toller Grime-Ska-Pop-Mix, für den er in seiner englischen Heimat überschwänglich gefeiert wurde. Doch wie auf der Platte klang im Konzert nichts mehr - zusammen mit vier Kumpels jagte Jamie T seine Songs durch einen überhitzten Garagenrock-Kompressor. Unversehrt blieb dabei nur der energetische Kern seiner Musik und der begeisterte restlos.

Der Hype hatte Recht behalten: Diesen blassen, kettenrauchenden Kerl aus dem Londoner Vorort Wimbledon musste man tatsächlich in die Rubrik Pop-Wunderkind einsortieren. „Panic Prevention“ wurde anschließen noch für den Mercury Prize nominiert, warf einen Top-Ten-Hit ab und tauchte in vielen Bestenlisten des Jahres auf.

Der Nachfolger „Kings & Queens“ (Virgin) hat nun mindestens das gleiche Potenzial. Denn dieses formidable Album ist bis zum Rand vollgestopft mit Hooklines, die sich schnell und unwiderstehlich in den Synapsen festkrallen. Die elf Songs sind  extrem konzentriert und haben eine eingebaute Gute-Laune-Garantie. So beginnt etwa „Chaka Demus“ direkt mit dem Refrain und einem Oh-oho-Chor. Wenn er zum zweiten Mal ertönt, könnte man schon einstimmen - mitschunkeln muss man auf jeden Fall.

Anders als auf seinem Debüt orientiert sich Jamie T nun stärker am  Strophe-Refrain-Format, was die Zugänglichkeit erhöht. Es wirkt als hätte er sein zugemülltes Teenager-Zimmer, das auf dem Cover von „Panic Prevention“ abgebildet war, einmal kräftig durchgefegt. Schließlich besitzt er inzwischen ja auch ein eigenes Haus. Ein Ordungsfreak ist Jamie Treays - wie der bürgerlich heißt - deshalb aber noch lange nicht: Er vermischt auf „Kings & Queens“ wieder die verschiedensten Einflüsse und wechselt von Song zu Song das Genre. Dies ist das Resultat seines ausgesprochen vielfältigem Musikgeschmacks, der von HipHop bis Heavy Metal reicht.

Der Sänger hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich vor allem als Fan sieht, dessen eigene Songs von seinen Helden inspiriert sind. Sie heißen The Clash, The Jam, The Specials, Billy Bragg und seit neuestem auch Bob Dylan. Neben dem Album „Freewheelin´ Bob Dylan“ hörte er während der Vorbereitung auch jüngere Songwriter wie Joanna Newsom, Conor Obersts und Ryan Adams, was deutliche Spuren hinterlassen hat. So erklingt in  „Spider`s Web“ eine Ukulele, es gibt ein Joan Baez‘-Sample und zwei folkige Balladen. Dabei schlägt sich der 23-Jährige  sowohl an der Gitarre (er ist eigentlich Bassist) als auch beim Gesang wacker. Überhaupt hat er stimmlich zugelegt, was sich besonders eindrucksvoll in „Earth, Wind & Fire“ zeigt, bei dem er die zackig gerappten Strophen mit einem croonerhaften Schmelz-Refrain kontrastiert.

In den Texten, die Jamie T in seinem typischen Südlondoner Akzent singt, geht es wie auf seinem Debüt um die  Themen Bier und Frauen. Dabei erweist er sich ein weiteres Mal als genialer Chronist der Vorstadtjugend, der in einer Zeile die Folgen des Dauerfeierns auf den Punkt bringen kann („A lot of people around here lost the white in their eyes“) oder in vier Zeilen einen Schlägertypen skizziert: „When theres no-one left to fight/ Boys like him don´t shine so bright/ Soon as I see the dust settle/ He´s out on the town tryin to find trouble“.

Auch politische Töne mischen sich erstmals in Jamit Ts Lyrics. So handelt „British Intelligence“ von einem Mann, der seine illegal in England lebenden Freundin heiratet sowie der damit einhergehenden Überwachunsparanoia. Ansonsten bleibt Jamie T auf der Scherz-Ebene, wenn er etwa Obama auf Osama reimt.

„Kings & Queens“ ist ein Höhepunkt des Popjahres, mit dem Jamie T  Konkurrenten wie die Arctic Monkeys, ebenso auf die Plätze verweist wie The Streets und Lilly Allen. Vielleicht kann er ja auch ein paar heimatlos gewordene Oasis-Fans auf seine Seite ziehen. Denn soviel steht fest: „Kings & Queens“ ist sein „(What‘s the Story) Morning Glory?“ Nadine Lange

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