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© Universal

Schweden-Pop: Der Anfang vom Lied

Wunder mit Methode: Warum Schweden unentwegt erfolgreiche Popmusiker hervorbringt. "Der schwedische Staat macht es einem unheimlich leicht, Künstler zu sein," sagt Nina Persson, Sängerin der Cardigans.

Ein Klangteppich aus Gitarrengeschrammel und Keyboardsounds durchzieht die Konzerthalle des Berliner Astra-Clubs. Auch das letzte Paar Chucks hüpft jetzt auf und ab. Auslöser der Begeisterung ist die fünfköpfige Indiekapelle Shout Out Louds, die ganz unglamourös in T-Shirts und Jeans auftritt. Denn den Stockholmern geht es nur um die Musik. Und die ist, wie schon der Titel ihres neuen Album „Work“ (Universal) andeutet, solide Handwerksarbeit – nicht spektakulär, aber einfach gut: verspielte, präzise Gitarrenriffs, die an The Cure erinnern, eingängige Melodien, Mitstampfrhythmen,dazu die verhallte und leicht melancholische Stimme von Sänger Adam Olenius.

Vor der Show im Biergarten des Clubs zeigen sich Olenius und Bassist Ted Malmros optimistisch. Die Konzerte in Hamburg und Berlin seien schnell ausverkauft gewesen, berichten sie. „Sogar in Rostock war die Halle gut gefüllt – die Stadt kannten wir vorher nicht mal“, sagt Malmros. Nicht nur die Shout Out Louds sind derzeit auf der Überholspur. Gerade hat das aufstrebende Folkduo First Aid Kit sein Berliner Publikum verzückt. Auch sie kommen aus Schweden und stehen für die unglaubliche Poptradition des skandinavischen Landes, die in schöner Regelmäßigkeit internationale Hits hervorbringt.

Vor allem im Indierock und im Electropop ist Schweden heute gut aufgestellt, mit etablierten Bands wie den Cardigans, Mando Diao, Peter Björn and John und The Knife, aber auch einer steten Zufuhr an jungen Musikern wie etwa Lykke Li. Grund dafür ist eine Mischung aus protestantischer Arbeitsmoral, Gemeinschaftsgefühl, einer fast kostenfreien Musikerziehung und gutem Englisch. Und nicht zuletzt: die Gabe, Trends schnell zu erkennen und zu besetzen.

Erfolgreiche Bands aus Schweden sind nichts Neues: Bis heute verkauften Abba 370 Millionen Alben und reihen sich damit gleich hinter den Beatles ein. In den Neunzigern brachte Schweden Musiker wie Ace of Base, Roxette und Robyn hervor. Letztere startete ihre Karriere vor drei Jahren mit einem tollen Album neu, was ihr einen Platz im Vorprogramm der letzten Madonna-Tour einbrachte. Manchmal sind auch Schweden drin, wo USA draufstehen: Songwriter und Produzenten wie Anders Bagge und Rami Yacoub arbeiten für Pink und Britney Spears.

„Als die Cardigans in den frühen Neunzigern anfingen, war die schwedische Musikindustrie bereits international vernetzt“, erzählt Nina Persson, Sängerin der Cardigans, am Telefon. Sie lebt heute in New York, ist mit dem US-Musiker Nathan Larson verheiratet, und parliert, wie so viele ihrer Landsleute, fließend in Englisch. Mehr als 80 Prozent der Schweden beherrschen die Sprache, Kinder lernen sie von früh auf, und englischsprachige Filme werden im TV nicht synchronisiert, sondern mit Untertiteln gezeigt.

„Der schwedische Staat macht es einem unheimlich leicht, Künstler zu sein,“ sagt Persson. In den Nachkriegsjahren wurde ein Netz von kommunalen Musik- und Kunstschulen eingerichtet, um Kindern und Jugendlichen eine kostenfreie Musikerziehung zu ermöglichen. Von den 290 Kommunen des Landes besitzen 278 eine solche Einrichtung. „Die Beteiligung aller Klassen am kulturellen Leben war parteiübergreifender Konsens und Teil des Sozialstaatsgedankens“, sagt Bo Tobiasson, Professor an der königlichen Musikhochschule in Stockholm. Insbesondere in den Siebzigern und Achtzigern entstand in der Provinz eine Garagenbandkultur, die auch kommerziell erfolgreiche Bands hervorbrachte – fast alle Mitglieder der Cardigans lernten in diesen Schulen klampfen und trommeln.

Hinzu kommt die grundsätzliche Offenheit der Schweden für Moden. „Wenn es irgendwo auf der Welt einen Trend gibt, kann man sicher sein, dass eine schwedische Band ihn aufnimmt“, sagt Persson. Und Musik- und Modetrends verbreiten sich meist schnell unter den 9,1 Millionen Einwohnern. Die Schweden verstehen sich als eine Art große Familie, mit flachen Hierarchien, aber auch einer gewissen sozialen Kontrolle. „Wir sind nicht besonders individualistisch. Auffallen möchte hier keiner“, bekennt Ted Malmros von den Shout Out Louds.

Erfolg dient in der Selbstwahrnehmung der Schweden nicht primär dem Ziel, reich zu werden, sondern der Gemeinschaft. „Gute Musik hilft dem ganzen Land. Wir sehen uns auch als kulturelle Botschafter“, sagt Shout-OutLouds-Sänger Olenius. Für so viel Patriotismus revanchiert sich der Staat. Denn trotz Sparzwang greift er seinen Musikern nach wie vor mit Stipendien unter die Arme: Rund 11,5 Millionen schwedische Kronen, etwa 1,2 Millionen Euro, verteilt er jährlich unter mehr als 140 Bands, über 20 Millionen Euro gibt es für regionale Musikorganisationen. Zum Vergleich: Mit etwa zwei Millionen Euro fördert Deutschland über die „Initiative Musik“ Künstler und Musikunternehmen.

Im Jahr 1993 wurde der Branchenverband Export Music Sweden (ExMS) gegründet, der die schwedische Musik in alle Welt tragen soll. Jedoch: Reich sind auch in Schweden die wenigsten Musiker. Etwa zwei Milliarden Kronen, 205 Millionen Euro, nahm das Land im Jahr 2006 durch Musikexporte und Lizenzgebühren ein – ein kleiner Teil des Wirtschaftkuchens. Dennoch zählt ExMS-Chef Anders Hjelmtorp Schweden zu den größten Musikexporteuren der Welt: „Wir dürften auf Nummer 5 oder 6 liegen und verkaufen von Jahr zu Jahr mehr.“ Den nackten Zahlen nach haben Länder wie Deutschland und Kanada bislang die Nase vorn. Dieser Vorsprung könnte jedoch enger werden – dank der Schwedenrezeptur und dem Ethos, dem auch die Shout Out Louds ihr neues Album widmen: Work.

Lars Dittmer

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